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# taz.de -- Bezahlkarte für Asylbewerber: „Überwacht und kontrolliert“
> Der Brandenburger Landkreis Märkisch-Oderland preschte mit einer eigenen
> Version der Bezahlkarte vor. Widerstand wächst.
Bild: Die Bezahlkarte für Asylbewerber im Landkreis Märkisch-Oderland
Seelow taz | Weißer Grund, links zwei geschwungene Formen, rot und blau, in
der oberen rechten Ecke der Schriftzug „MOL – Landkreis Märkisch-Oderland�…
unten rechts das Emblem von Mastercard. Der Landkreis Märkisch-Oderland,
östlich von Berlin an der polnischen Grenze gelegen, konnte es mit dieser
Bezahlkarte für Geflüchtete kaum abwarten. Als erster und einziger
Landkreis in Brandenburg führte er sie bereits am 6. Mai ein – lange bevor
eine landesweite Regelung überhaupt in Sicht war.
Schon Ende 2023 hatten sich alle Bundesländer bis auf Bayern und
Mecklenburg-Vorpommern auf gemeinsame Standards geeinigt. Der bundesweite
Start der Bezahlkarte war eigentlich für Herbst 2024 geplant, verzögert
sich aber derzeit wegen einer Klage eines im Vergabeverfahren unterlegenen
Unternehmens.
Im Landkreis Märkisch-Oderland sieht die Realität für die rund 1.000
Asylbewerber:innen seit Mai so aus: Einmal im Monat müssen sie mit dem
Bus in die Ausländerbehörde nach Diedersdorf fahren, um die Bezahlkarte
aufladen zu lassen. Vorher hatten sie auf demselben Wege Barschecks
erhalten, die sie bei der Sparkasse gegen Bargeld tauschen konnten. Nach
Einführung der Bezahlkarte kommen nun monatlich nur noch 50 Euro aus dem
Automaten, künftig soll jede Abhebung Geld kosten. Im Raum stehen derzeit
1,10 Euro.
Die Karte ist eine Debit Mastercard und funktioniert dementsprechend
überall dort, wo eine reguläre Mastercard auch funktionieren würde.
Überweisungen sind mit der Bezahlkarte nur möglich, wenn das Sozialamt
vorher die Freigabe für den Zahlungsempfänger gegeben hat. Überweisungen
ins Ausland oder an private Konten sind nicht möglich.
Asylbewerber:innen müssen demnach sämtlichen Zahlungsverkehr gegenüber
dem Amt angeben und genehmigen lassen – sei es eine
Fitnessstudiomitgliedschaft, der Handyvertrag oder Kosten für
Rechtsbeistand. So weit die Rahmenbedingungen der Karte, aber wie sieht das
in der Praxis aus?
„Ich bin frustriert über die Karte, ich fühle mich durch sie überwacht und
kontrolliert“, sagt ein Geflüchteter aus dem Landkreis Märkisch-Oderland,
der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will. Zu groß ist die
Angst, dass negative Äußerungen über die deutsche Asylpolitik seine noch
ausstehende Asylentscheidung beeinflussen. Er bemühe sich, Deutsch zu
lernen, grüße die Menschen auf der Straße und verstehe nicht, warum es ihm
zusätzlich schwergemacht wird. „Einen Döner mit Karte zahlen? Nicht
möglich“, sagt er. Und je mehr man nachfragt, je länger wird die Liste der
Orte, an denen Kartenzahlung zum Problem wird: günstige Friseure, der Bus,
der erschwingliche Krims-kramsladen in der Kreisstadt Seelow, Flohmarkt,
Wochenmarkt – die Aufzählung ließe sich fortsetzen.
## Ein gesonderter Status
„Das ist dann eben so“, quittiert Vizelandrat Friedemann Hanke diese
Umstände. „Asylbewerber haben nun einmal einen gesonderten Status.“
Der CDU-Politiker ist als Sozialdezernent federführend bei der Bezahlkarte
zuständig. „Das sind ja nicht Menschen, die hier leben, sondern Menschen,
deren Asylanspruch geprüft wird“, sagt Hanke. Den Anspruch, ihr Geld frei
zu nutzen, könnten Menschen dann stellen, wenn sie „Teil der Gesellschaft
geworden sind“.
Nach Hankes Verständnis soll die Karte vor allem „ein Zeichen setzen“, das
sich so zusammenfassen lässt: Hier gibt es das Geld nicht einfach so. Vor
der Bezahlkarte sei das „dramatische“ Zeichen an Menschen auf der Flucht
gewesen: Wer nach Deutschland kommt und einen Asylantrag stellt, bekomme
sofort monatlich Geld zur freien Verfügung. Noch dazu mehr als das, was
Menschen in ihren Heimatländern zur Verfügung gehabt hätten. So gesehen sei
die Bezahlkarte doch vielleicht eine „charmante Maßnahme“, findet Hanke.
„Na ja, charmant ist vielleicht das falsche Wort, aber ich halte die Karte
für eine gute Lösung“, verbessert sich Hanke.
## „Politik der Abschreckung und Abschottung“
Um die fehlenden Belege dafür, dass Instrumente wie die Bezahlkarte
tatsächlich irgendeinen [1][Einfluss auf Fluchtentscheidungen] haben, weiß
Hanke. Auch, dass die Karte lokalpolitisch wenig ausrichten kann, weil sich
Asylbewerber:innen ohnehin nicht aussuchen können, wohin sie verteilt
werden. Die Karte hat für Hanke daher eine „psychologische Wirkung“.
Kirstin Neumann vom Flüchtlingsrat Brandenburg findet für die
Entscheidungen des Landkreises andere Worte: „Anders als rassistische
Symbolpolitik kann man das gar nicht nennen“, sagt sie. Die Karte sei Teil
einer „Politik der Abschreckung und Abschottung“. Es sei „schikanierend u…
diskriminierend“, dass man Menschen nicht eigenständig über ihr Geld
entscheiden lässt.
Laut Flüchtlingsrat falle der Landkreis Märkisch-Oderland immer wieder
durch restriktive Politik im Bereich Asyl auf. Da wäre zum Beispiel ein
Mitte des Jahres [2][geplantes „Ausreisezentrum“, praktisch eine
Abschiebeeinrichtung, auf der Oderinsel Küstrin-Kietz]. Mit Hankes
damaligen Worten habe der Landkreis den unattraktivsten Ort für das Zentrum
ausgewählt, damit „Menschen einfach nur noch wegwollen“.
Kritik übt der Flüchtlingsrat auch daran, dass der Landkreis
Märkisch-Oderland sich mehrere Jahre lang gegen elektronische
Gesundheitskarten für Asylbewerber:innen sperrte und stattdessen
weiter auf eine komplizierte Überweisungsmethode mit Behandlungsschein
setze. Es entstünde der Eindruck eines „Diskriminierungswettbewerbes“, bei
dem sich der Landkreis Märkisch-Oderland einen Vorteil verschaffen wolle,
so Kirstin Neumann.
## Gegenmaßnahmen im Kreis
Doch im Landkreis regt sich auch Widerstand gegen den
Bezahlkarten-Alleingang von Friedemann Hanke und Landrat Gernot Schmidt
(SPD). Zwei, die sich mit ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement gegen
das migrationsfeindliche Klima stellen, sind Jutta Krause und Sabine
Grauel. Gemeinsam sind sie bei den Omas gegen rechts und der Initiative
Offenes Märkisch-Oderland aktiv – „damit der Landkreis weiterhin bunt
bleibt“, wie sie sagen. Auch das geplante „Ausreisezentrum“ war in der
Vergangenheit schon Gegenstand einer Mahnwache des Bündnisses.
„Bitte helft uns, bitte macht was“ – so hätten sich die Geflüchteten we…
der Bezahlkarte gemeldet, erzählen Krause und Grauel. Und so seien sie Ende
Oktober das erste Mal gemeinsam mit einer geflüchteten Person in den
Supermarkt gegangen, um Bargeld gegen Gutscheine zu tauschen. Daraus sei
dann eine organisierte Tauschaktion geworden. „Bisher ist das Modell noch
nicht ganz ausgereift“, sagt Sabine Grauel. „Besonders auf dem Land ist so
eine Tauschaktion logistisch schwierig“, ergänzt Jutta Krause. Über eine
E-Mail-Adresse organisieren sie Menschen im Landkreis, die den
Asylbewerber:innen Gutscheine der gängigen Supermarktketten abkaufen.
„Und das wiederholen wir so lange, bis es keine Bezahlkarte mehr für
Geflüchtete gibt“, heißt es auf dem Flyer der beiden.
Sozialdezernent Hanke zeigt sich davon unbeeindruckt: „Das kann man eh
nicht verhindern“, sagt er. Ebenso wenig sieht er eine Ungleichbehandlung
von Geflüchteten, die durch die kommunal unterschiedliche Ausgestaltung der
Bezahlkarte entsteht. Auf die landesweite Lösung habe er nicht setzen
wollen, denn die Entscheidung läge klar in den Händen der Landkreise. „Der
Flickenteppich ist auch ein Teppich – manchmal sogar ein sehr schöner.“
Bisher ist die landesweite Einführung der Bezahlkarte in Brandenburg für
Februar geplant. Ob Brandenburg den Termin aber aufgrund der ausstehenden
Klage gegen das Vergabeverfahren einhalten kann, ist unklar. Derweil will
ausgerechnet die Landeshauptstadt Potsdam die Karte nicht ausgeben, wie die
Potsdamer Neuesten Nachrichten berichteten. Widerstand gegen die
Bezahlkarte kam von der Potsdamer SPD, aber auch von den Fraktionen Die
Grünen/Volt/Die Partei, Die Andere und Die Linke. Eine Weisung des
Brandenburger Innenministeriums, die Potsdam zur Einführung zwingen könnte,
gibt es bisher nicht.
Dass es auch Wege geben könnte, die Bezahlkarte so auszugestalten, dass sie
Integration und Teilhabe fördert, zeigt sich [3][an dem Beispiel von
Hannover]. Dort hatte der grüne Oberbürgermeister Belit Onay die
„SocialCard“ so gestaltet, dass Asylbewerber:innen den vollen
Leistungsbetrag in bar bekommen konnten. Dieses Modell musste allerdings
nicht mal ein Jahr nach Einführung dem niedersachsenweiten Modell mit den
üblichen Beschränkungen weichen.
19 Dec 2024
## LINKS
[1] /Debatte-um-Bezahlkarte/!6050229
[2] /Ausreisezentrum-in-Brandenburg/!6019188
[3] /Sanktionen-gegen-Gefluechtete/!6045295
## AUTOREN
Katharina Wulff
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Schwerpunkt Stadtland
Asylsuchende
Brandenburg
Migration
Geflüchtete
Asylpolitik
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