# taz.de -- Über Wohltätigkeit: Das Ding mit der Charity | |
> Ob ein Weihnachtsmenü für Obdachlose oder Supermarktwaren für mehr als | |
> eine halbe Million Euro: Spenden sind wichtig, es bräuchte aber etwas | |
> anderes. | |
Bild: Frank Zander bei seiner Weihnachtsfeier für Obdachlose in Berlin 2018 | |
Alle Jahre wieder veranstaltet der 82-jährige Schlagersänger [1][Frank | |
Zander] sein Weihnachtsessen für Obdachlose. Auch dieses Jahr sollen 2.500 | |
Menschen von Promis und Politiker*innen mit einem festlichen Gänsemenü | |
bewirtet werden. In der vergangenen Woche wurde außerdem bekannt, dass der | |
Youtuber „MrBeast“ eine ganze Edeka-Filiale leergekauft hat, um die Waren | |
an verschiedene Hilfsorganisationen zu verteilen. Umgerechneter Geldwert: | |
mehr als eine halbe Million Euro. | |
Laut dem Deutschen Spendenrat wird im Dezember am meisten gespendet. Das | |
mag daran liegen, dass die bevorstehenden Feiertage traditionell eng mit | |
Nächstenliebe und Barmherzigkeit verbunden werden. Aber nicht alle Gründe | |
fürs Spenden sind altruistisch: Neben ehrenamtlichen Tätigkeiten sorgen | |
auch Geld- und Sachspenden für ein gutes Gefühl, das sogenannte „Helper’s | |
High“. | |
Mit Spenden lassen sich außerdem Steuern sparen – und sie bringen soziales | |
Prestige. Seht her, was ich alles gebe, ich bin ja so ein guter Mensch! | |
Also hört meine Musik und kauft meine Schokolade, die zufällig von | |
derselben Supermarktkette vertrieben wird, bei der ich gerade medienwirksam | |
meinen gigantomanischen Einkauf für den guten Zweck erledigt habe. | |
Klar, private Spenden sind in einer Gesellschaft, in der der Sozialstaat | |
mehr und mehr beschnitten wird, oft das letzte Mittel, um wenigstens etwas | |
Linderung zu verschaffen. Deshalb ist auch jede Spende wichtig, die | |
Menschen brauchen sie. Behandelt werden dabei oft trotzdem nur Symptome | |
anstelle der Ursachen für Armut und Ungleichheit. Wo Ausbeutung | |
stattfindet, wird automatisch Armut produziert. Das macht Wohltätigkeit | |
überhaupt erst notwendig. | |
## Geld und Macht muss umverteilt werden | |
Während die Reichen ihr Vermögen gerade in nie da gewesener Geschwindigkeit | |
vermehren, muss sich die Mehrheit psychisch, körperlich und finanziell | |
verausgaben, um würdig leben zu können. Diese Mehrheit ist damit letztlich | |
[2][einem Obdachlosen viel näher als einem Elon Musk], auch wenn das vielen | |
nicht bewusst ist. | |
Wer im großen Stil spendet, tut Gutes, hat aber auch die Macht zu | |
entscheiden, wann, wie und wem geholfen wird – und wem nicht. Soziale | |
Härten werden dadurch zwar etwas abgemildert, aber der Status quo bleibt | |
erhalten. Armut ist ein strukturelles Problem, und noch nie haben Spenden | |
die Armut abgeschafft. Dafür müssten schon Geld und Macht umverteilt | |
werden, aber dazu sind die allerwenigsten bereit. | |
Besonders perfide: Wer sich ohnehin schon um Wohnraum kloppt und in | |
präkeren Jobs ackert, hat weniger Kraft, für bessere Lebens- und | |
Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Und so manchen Reichen freut es, wenn | |
gemeinhin die Doppelbödigkeit des Spendens übersehen wird. | |
## Politiker bei „Ein Herz für Kinder“: Gar nicht cool | |
Apropos Reiche: Bei der diesjährigen Charity-Gala „Ein Herz für Kinder“ | |
knüpfte Kanzlerkandidat Friedrich Merz die Höhe seiner Spende zunächst an | |
die Umfragewerte seiner Partei, frei nach dem Motto: Ich gebe mehr, wenn | |
mir mehr gegeben wird. Und der frisch entlassene Christian Lindner scherzte | |
über die eigene „Bedürftigkeit“, nur um im Anschluss einen winzigen | |
Bruchteil seines Vermögens herzugeben. Erst neoliberale Politik machen und | |
dann bei Armutsbetroffenen Stacheldraht im Portemonnaie haben. Gar nicht | |
cool. | |
Zum diesjährigen Gänseessen in Neukölln hat sich auch Berlins Regierender | |
Bürgermeister Kai Wegner (CDU) angekündigt. Der fuhr auch schon im Kältebus | |
mit und [3][schenkte in der Bahnhofsmission Kaffee aus.] Auf eine sozialere | |
Politik wartet man bei Wegner derweil vergeblich. Die eklatante Wohnungsnot | |
und [4][die Sparmaßnahmen] sprechen für sich. | |
20 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Anna Fastabend | |
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