# taz.de -- Die Wahrheit: Ich will die Socken | |
> Reisende Weihnachtsmarktprofis haben nur einen Gedanken: In welche | |
> glühweindampfende Festgegend verschlägt es sie im nächsten Jahr? | |
Obwohl das in Deutschland offiziell verboten ist, stehe ich | |
Weihnachtsmärkten neutral gegenüber. Man soll sie lieben oder hassen, aber | |
nicht mit den Achseln zucken und „mir egal“ sagen, wenn einnahmebedürftige | |
Budenbesitzer in der Nähe ihre fetttriefenden und glühweindampfenden Lager | |
aufschlagen. | |
Andererseits sichert mir das willkommene Neutralität beim Marktcheck. Am | |
ersten Advent treffe ich im Café der Kreisstadt auf drei ältere Paare, na | |
ja, nicht älter als ich, aber älter als andere. Die sind von irgendwo im | |
rostigen Ruhrgebiet nur wegen unseres als pittoresk geltenden Marktes | |
angereist. Leider erfahre ich von ihnen nichts über Vorzüge und Nachteile | |
des hiesigen Angebots, obwohl es echte Profis sind: „Aschaffenburg, Bremen, | |
Dresden, waren wir schon.“ | |
Nun zücken alle ihre Handys, um zu diskutieren, wohin es nächstes Jahr | |
gehen soll: „Göttingen! Standardzimmer reicht, da schläfst du eh bloß. | |
Erster Advent wieder! Können wir jetzt mit Rabatt buchen!“ – „Können wir | |
immer noch stornieren!“ – „Oder lieber doch nicht?“ | |
Und immer so weiter – ein interessantes Konzept, einen Weihnachtsmarkt zu | |
besuchen, nur um sich dann abseits des Geschehens bereits mit der Planung | |
für das nächste Jahr zu beschäftigen. Wahrscheinlich halten aber diese | |
Rentner im Gegensatz zu mir die Republik am Laufen und ich sollte ihnen | |
dafür eine Dubai-Schokoladentorte ausgeben. | |
Lieber gucke ich nun selbst raus auf den Markt, vielleicht finde ich ja | |
Weihnachtsgeschenke. Hahaha. Da komme ich doch noch eher auf das Angebot | |
der Freunde zurück, die sich wegen ihres Umzugs von allerhand Dingen | |
trennen wollen. Zur Wahl stehen für mich ein Terrassen-Dönergrill, | |
unbenutzt, natürlich ein ehemaliges Geschenk, oder mehrere solide | |
Türstopper. „Damit kann man jemanden erschlagen!“, preist der Freund die | |
polierten Metallzylinder an. Na, dann ist es eine Überlegung wert. | |
Ob ich mir selbst was wünsche? Hm, handgestrickte Socken gehen immer. | |
Leider ist die schöne Zeit der Nachkriegsweihnachten vorbei, bevor die FDP | |
gegründet wurde, man sich zu Weihnachten zu fünft eine Bockwurst teilte und | |
die Menschen das Gute in Ehe, Familie und Wolle zu schätzen wussten. | |
Inzwischen beglücken sie einander mit Popcorn-Maschinen, Party-Woksets und | |
peinlichen Lustigkeiten. | |
Eine Freundin hatte angesichts der immer schwierigeren Geschenkefrage | |
angeregt, dass man sich künftig Weihnachten gegenseitig lieber etwas | |
wegnehmen solle (Terrassen-Dönergrill), statt einander in Glanzpapier | |
eingeschlagene Verzweiflungsideen zu überreichen. Falls sich allerdings | |
jemand mit meinem Crème-brûlée-Brenner, meinem Haarglätteisen oder meinem | |
gasbetriebenen Unkrautvernichter mit Piezozündung, alle unbenutzt, | |
davonmachen will, werde ich ihn oder sie mit einem meiner neuen Türstopper | |
im Flur erwarten. Was man hat, das hat man. | |
11 Dec 2024 | |
## AUTOREN | |
Susanne Fischer | |
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