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# taz.de -- Die Wahrheit: Lauern in Leipzig
> Kleine Nachbetrachtung zur kürzlich besuchten Frühjahrsbuchmesse und
> ihren Skurrilitäten aus der Ferne des verdienten Literatenurlaubs.
Diesmal bin ich wie all die fantastisch coolen Teilnehmer des
Literaturbetriebs direkt nach der Buchmesse in den Urlaub gestartet, aber
ein bisschen hängt mir das Ganze doch nach: Man stolpert in Leipzig aus dem
Bahnhof zwischen die Wohnungslosen, die dort versuchen, zumindest einen
Fair Share vom Besucher-Overkill abzuzweigen.
Von oben rauscht aus Lautsprechern ein Wiener Walzer über die Szene, der
dazu dienen soll, diese weniger erwünschten Bahnhofsgäste zu vertreiben,
stattdessen aber nur die ganze Angelegenheit endgültig in die Skurrilität
verrückt. Skurrilität ist das, was mir vom Leben schon seit Längerem
anstelle der Realität geboten wird. Naja, man muss nehmen, was man kriegen
kann, vor allem, wenn man nicht weiß, wo die Beschwerdestelle zu finden
ist.
Einer der stark alkoholisierten Vorplatzbewohner springt auf zwei Passanten
zu: „Du bist verflucht! Und du auch!“ Warum nicht ich, denke ich,
schließlich fahre ich zur Buchmesse. In der Realität ist das eine
fantastische Party, man führt wertvolle Gespräche, macht gute Geschäfte und
fühlt sich wohl wie ein Fisch im Wasser. In der Skurrilität wird man von
Cosplayern totgetreten, noch ehe man den eigenen Stand erreicht hat, wo
neben ausnehmend reizenden Besuchern auch wieder diejenigen lauern, deren
pure Existenz schon die Frage nach dem Sinn des Lebens aufwirft, nämlich,
was der ganze Bums hier soll, als ob man sich das nicht sowieso dauernd
fragen tät.
Am Abend ist die heißeste Skybar Leipzigs leider nicht zugänglich, weil
dort eine geschlossene Gesellschaft tagt. Welcher Verlag hier Hof hält,
erschließt sich uns nicht, während wir die Drinks im Foyer nehmen: Es
laufen ausschließlich Männer mit Sektflaschen unter dem einen Arm und einem
Plastikelch in der Hand an uns vorbei Richtung Lift. Vermutlich ein
Sektentreffen oder ein Elchverlag.
Am nächsten Morgen im vollen Frühstückssaal frage ich eine Frau, deren
einzige Gesellschaft am Vierertisch ihr Buch ist, ob ich mich dazusetzen
dürfe. Sie schaut auf, und ich erkenne eine bekannte Literaturkritikerin,
mit der ich mehrfach beruflich zu tun hatte; da ich aber nur eine
unbekannte Wahrheit-Reporterin bin, hat sie das vergessen. Nein, sie
erwarte noch jemanden. So entkomme ich knapp der Hölle eines
Semi-Bekanntschafts-Smalltalks über dem halbgaren Frühstücksei. Der Fluch
des Obdachlosen hat mich tatsächlich verfehlt.
In der folgenden Dreiviertelstunde bleibt sie dann allerdings allein mit
ihren imaginären Freunden. Sie simuliert interessierte Lektüre, weil sie
wahrscheinlich glaubt, dass man als Literaturkritikerin beim
Messe-Frühstück so aussehen muss, während ich mich frage, was an meiner
Gesellschaft so falsch sein kann, dass man lieber die Krampfeule auf dem
Präsentierteller gibt, als den Sinn des Lebens und den ganzen Bums mit
einer ausgewiesenen Skurrilitätsexpertin zu diskutieren. Ich hätte ihr auch
einen Wiener Walzer vorgesummt.
9 Apr 2025
## AUTOREN
Susanne Fischer
## TAGS
Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2025
Leipzig
Bahnhof
Kolumne Die Wahrheit
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