| # taz.de -- Die Wahrheit: Die kleine Kneipe in der anderen Straße | |
| > In der norddeutschen Provinz sind gastronomische Angebote rar gesät, die | |
| > mediterrane Küche ist oft nur mit dem Auto zu erreichen. | |
| Das Schöne am Essen ist ja: Es wird nie langweilig!“, meinte neulich ein | |
| Freund. Nun ja. Der Liebste und ich wohnen auf dem Land, weitab von allen | |
| Futterquellen, auch wenn mir Uber Eats per Werbemail angesagte Restaurants | |
| mit Lieferservice anbietet. Ich befürchte aber, die Ramensuppe aus Brooklyn | |
| ist nur noch lauwarm, wenn sie in Niedersachsen ankommt. | |
| In Süddeutschland soll es in jedem Dorf einen brillant kochenden Gasthof | |
| geben, aber wahrscheinlich ist das eines dieser Bayernmärchen, oder warum | |
| isst Söder ausgerechnet bei MacDonalds? Um zu zeigen, dass er das kann? | |
| Wir in Norddeutschland kochen selbst. Auf die ewig wiederholte Frage „Was | |
| gibt es heute?“ kannte ich lange nur eine Antwort. Meine Oma, die ungefähr | |
| ebenso viel Lust auf tägliches Kochen hatte wie ich, erwiderte stets | |
| überzeugend: „In den Wind gestippte Kellertreppen.“ | |
| Seit ich damit nicht mehr durchkomme, antworte ich: „Nudeln. Oder Reis. | |
| Oder was anderes.“ Auf dem Tisch landet dann eins von circa sieben | |
| Standardgerichten. Manchmal kocht der Liebste plötzlich ganz was Neues, | |
| dann rufen wir beide im Chor: „Das muss auf die Liste!“ Leider ist nicht | |
| bekannt, wo sich diese Liste aufhält, sodass wir rasch zu Nudeln oder Reis | |
| zurückkehren müssen. | |
| Inzwischen gibt es wieder zwei Gasthäuser im Nachbardorf. Ein griechisches | |
| Lokal, in dem Vegetarier unter leckeren Fetaburgern begraben werden, und | |
| ein deutsches Etablissement, das mit All-you-can-eat-Buffets zu | |
| Dumpingpreisen große Erfolge verzeichnet. | |
| Montags gibt es dort mehr Schnitzel, als Alice Weidel und Markus Söder in | |
| einer Woche verzehren können. Es wird auch mit Veggiebratlingen und üppiger | |
| Gemüseauswahl geworben, aber die Idee, bergeweise Blumenkohl mit Erbsen, | |
| Bohnen und Pommes einzuwerfen, während niedersächsische Nachbaraugen sich | |
| beim Blick auf meinen Teller zu argwöhnischen Schlitzen verschnitzeln, ist | |
| nicht attraktiv. | |
| Wegen des kulinarischen Notstands mussten wir uns schon vor Jahren ein | |
| anderes Nachbarschaftsrestaurant suchen und haben es auch gefunden. | |
| Appetitliche türkische Küche zu moderaten Preisen, serviert unter einer | |
| gipsgestalteten Tropfsteinhöhlendecke, die uns irgendwann erschlagen wird, | |
| falls wir nicht schon vorher wegen orientalischer Musik ohne störende | |
| harmonische Abwechslung ins Koma fallen. Die anderen Gäste sind perfekte | |
| Nachbarn: hungrige Sportmannschaften, maulfaule Paare, geschwätzige | |
| Freundinnen, junge Studierende und alte Menschen, die aussehen, als ob sie | |
| schon seit ihren Studientagen hier essen gehen. | |
| Nicht zu vergessen die Wirtin, die uns stets aufmerksam begrüßt: „Auch mal | |
| wieder hier?“ Naja, es sind immerhin 45 Kilometer zu fahren, erwähnten wir | |
| irgendwann kleinlaut und in der Hoffnung, ihr zu schmeicheln, aber sie fand | |
| unsere kulinarische Reiselust eher unheimlich. Sie weiß nicht, wie schön es | |
| ist, neben der realen auch eine virtuelle Nachbarschaft zu pflegen. | |
| 12 Mar 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Fischer | |
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