# taz.de -- „Kitchen Culture“ in Pinakothek München: Als das Private polit… | |
> Die moderne Küche ist erst 100 Jahre alt. Vorher bestand sie aus | |
> einzelnen Gegenständen. Eine Ausstellung zeigt auch ihre politischen | |
> Dimensionen. | |
Bild: Einbauküchen, hier eine aus dem Jahr 1946 von Le Corbusier, vereinfach… | |
Man verbringt ja jeden Tag Lebenszeit [1][in der Küche] und missachtet sie | |
doch mit Ignoranz. Essen und Trinken sind wichtig, Arbeitsflächen und | |
Ablageschränke weniger. Je nach Veranlagung und Prioritätensetzung der | |
Nutzer ähneln manche Küchen Müllhalden, andere sehen aus wie noch nie | |
benutzt. | |
Der Einbauküche und ihrer Geschichte widmet sich die Münchner Pinakothek | |
der Moderne in einer [2][Ausstellung]. Sie ist fast 100 Jahre alt – davor | |
bestanden Küchen aus einzelnen Kochgeräten und Möbelstücken. Der Urtyp ist | |
die „Frankfurter Küche“, die ab 1926 in Serie gefertigt und in 10.000 | |
Sozialwohnungen der hessischen Großstadt eingebaut wurde. | |
Die Idee: Arbeitsoptimierung. Die [3][österreichische Architektin] | |
Margarete Schütte-Lihotzky hatte sie schon als 27-Jährige entwickelt. | |
„Sowohl die Frauen des Mittelstandes“, so sagte sie, als auch „Frauen des | |
Arbeiterstandes“, welche häufig auch berufstätig sind, seien so | |
überlastet, „dass ihre Überarbeitung auf die Dauer nicht ohne Folgen für | |
die gesamte Volksgesundheit bleiben kann.“ | |
Die in München ausgestellte Frankfurter Küche – aus der Florstädter Straße | |
13 – ist wie alle anderen nur 6,5 Quadratmeter groß. Wer darin steht und | |
arbeitet, muss sich fast nicht vom Fleck bewegen. Der Wasserhahn und die | |
Spüle sehen ebenso antiquiert aus wie der Herd mit seinen drei Kochplatten. | |
Heute sind vor allem die „Schütten“ zu Liebhaberstücken geworden – | |
[4][Vorratsbehälter] aus Aluminium, die in einem Schrank stehen und | |
beschriftet sind mit „Bohnen“, „Erbsen“ oder „Zucker“. Farblich dom… | |
braunes Holz sowie das Beige der Schubladen und Hängeschränke. | |
## Superfunktional | |
Diese Küche wird durchaus auch als politischer Raum gesehen, der den Frauen | |
manches an der bisherigen Schufterei ersparen soll. Von Gleichberechtigung | |
war in dieser Zeit auch in der Linken noch keine Rede. Margarete | |
Schütte-Lihotzky übrigens war die erste Architektin Österreichs überhaupt | |
und starb 2000 wenige Tage vor ihrem 103. Geburtstag. | |
Ähnlich funktional und sogar noch etwas kleiner als die Frankfurter zeigt | |
sich die Küche des Architekten [5][Le Corbusier], des Meisters des | |
Bauhauses, aus den späten 1940er Jahren. Sie ist deutlich farbenfroher: | |
Manche Küchenfächer haben eine Schiebetür, andere sind braun. Die | |
Arbeitsflächen bestehen aus ocker-dunkelroten Steinkacheln. Ein sehr | |
kleiner Kühlschrank mit einem altertümlichen Verschlussgriff sticht hervor. | |
Eingebaut wurden die Küchen 1946 bis 1952 in einem von Le Corbusier selbst | |
entworfenen ziemlich hohen und sehr langen Hochhaus in Marseille, der „Cité | |
radieuse“, also der vertikalen Stadt. Jedes Stockwerk sollte ein eigenes | |
Dorf sein mit Einkaufsmöglichkeiten, Dienstleistungen, Gemeinschaftsräumen. | |
Ob das Konzept funktioniert, darüber gehen die Ansichten auseinander. Bald | |
nach Errichtung wurden die Miet- zu Eigentumswohnungen, in denen | |
Architekturbegeisterte hoffentlich noch mit ihren | |
Original-Le-Corbusier-Küchen leben. In Berlin gibt es mit dem Corbusierhaus | |
ein ähnliches Bauwerk. | |
Die Idee der bunten Küche wurde in der DDR weiterentwickelt mit dem | |
geräumigen Eschebach-Modell von 1956. Die Elemente sind in Pastell gehalten | |
wie Rosa oder Hellgrün. Das Produkt vom VEB Küchenmöbel Radeberg war sowohl | |
im eigenen Land als auch beim sowjetischen Bruder sehr beliebt. | |
## Das Grauen vor dem Küchenstudio | |
In die Welt der modernen Bungalow-Bürgerlichkeit zieht einen der dänische | |
Architekt Arne Jacobsen mit seiner Wohnküche von 1957. Den Küchenelementen | |
ist ein großer Holztisch zum Sitzen vorgelagert. Die typischerweise sehr | |
tief hängende Lampe darüber mit dem großen halbrunden Schirm darf nicht | |
fehlen. Diese Küche war ein Statement gegen Gelsenkirchener Barock und | |
bayerischen Landhausstil. | |
Aus neuerer Zeit wird eine Bulthaup-„Küchenwerkbank“ (1984) des Designers | |
Herbert H. Schultes gezeigt, aus blankem Stahl. Sie erinnert an eine | |
Großküche oder einen Seziertisch. | |
Die Kochinsel „Erlkönig“ des Kollektivs J*Gast von 2020/21 ist ganz in | |
flirrendem, kleinteiligem Zebradesign in Schwarz und Weiß gehalten, auch | |
die Spüle, die abgedeckten Kochplatten und selbst der Wasserhahn. | |
Nicht jedem dürfte die Farbgestaltung gefallen, könnte sie doch nach einer | |
gewissen Zeit zu Gereiztheit oder Kopfschmerz führen. Ist eine neue Küche | |
nötig, so graut es manch einem vor dem Gang ins Einrichtungshaus oder | |
Küchenstudio. Vor den Ausmessungen, der Dicke der Bretter, der Auswahl der | |
Beschläge. | |
Induktion, Gas oder ganz normal? Mikrowelle eingebaut oder nicht? | |
Verschraubt oder geleimt? Welche Front überhaupt, die doch, wie es in der | |
Werbung heißt, „mehr als schöne Fassade“ ist? Fragen über Fragen. | |
Wie schön Einbauküchen doch sein, was sie erzählen können, was sie | |
bedeuten, das zeigt diese kleine Ausstellung. Von den Anstrengungen zur | |
Proletarierinnenbefreiung bis zum elitären Protzstück. | |
11 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Der-Kuechentisch-als-Meme/!6046732 | |
[2] https://www.pinakothek-der-moderne.de/ausstellungen/kitchen-culture/ | |
[3] /Frauen-in-der-Maennerdomaene-Architektur/!5825887 | |
[4] /Tupperware-und-Frauen/!6034258 | |
[5] /Charlotte-Perriand-visionaere-Architektin/!5691519 | |
## AUTOREN | |
Patrick Guyton | |
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