# taz.de -- Nikotinbeutel Snus: Wie ein Pflaster – aber mit Style | |
> Nikotinbeutel, die einmal abgelutscht spuckeversetzt unter Schulbänken | |
> kleben – geht es uncooler? Oder sind Sie vielleicht einfach zu alt für: | |
> Snus. | |
Bild: Sitzt der Snus? | |
Jedem ist es schon mal passiert. Dieser ekelhafte Moment, wenn man in der | |
Schule in eine klebrige Masse unterm Tisch fasst, die im schlimmsten Fall | |
frisch angebracht und noch feucht ist. Früher war die Diagnose klar: | |
Kaugummi. Doch jetzt gibt es einen neuen Chef im Ring der Tischunterseiten: | |
[1][Snus]. | |
Klingt nach Schlaf, macht aber wach. Snus, das sind Nikotinbeutel, die | |
Nikotinsalze enthalten und in verschiedenen Geschmacksrichtungen verkauft | |
werden. [2][Nicht in Deutschland] aber, denn hier sind sie bisher verboten. | |
Besonders beliebt sind die Beutel in Skandinavien, doch der Snus-Markt | |
wächst weltweit. Das beweist: Nikotin wird zur Privatsache. Denn man | |
platziert die Beutel von außen unsichtbar aufs Zahnfleisch, bis sie nach 30 | |
Minuten aufgebraucht und ausgelutscht sind und man sie wegwerfen oder an | |
diverse Oberflächen kleben kann. Wer sich so ein Teil schon mal unter die | |
Lippen geschoben hat, weiß, wie stark sie sind. Zwar gibt es keine vom | |
Rauch erzeugten Schmerzen in Hals oder Lunge – dafür aber eine volle Ladung | |
Nikotin, die einen vor Schwindel fast aus den Socken kippen lässt. Bis die | |
Gewöhnung einsetzt. | |
Snus ist effektiv, stark und diskret. Das ist neu. Denn beim Nikotinkonsum | |
galt bislang immer das Gegenteil: Die allererste Zigarette – und wenn man | |
ehrlich ist auch die nächsten paar – hielt man nur deswegen durch, weil man | |
wusste, wie cool es später irgendwann aussehen würde, qualmend an einer | |
Ecke zu stehen. Wie in einem französischen Film, irgendwie mysteriös, | |
melancholisch, nonchalant und rebellisch zugleich. Nichts so vollkommen wie | |
„der kleine Parthenon einer geöffneten Zigarettenschachtel“, wie Leonard | |
Cohen in [3][„The Cigarette Issue“] schrieb. Diesen Traum hat uns die | |
Tabakindustrie verkauft. | |
## Aus dem Maul zu ziehen | |
Vergleicht man das mit Snus, einem leicht ins Beige neigenden | |
Miniaturteebeutel, kann man sich keinen James Dean, keine Audrey Hepburn, | |
keinen Clint Eastwood snusend vorstellen. Ein Snus schiebt man sich unter | |
die aufgeklappte Lippe ans Zahnfleisch, um den labbrigen Beutel dann später | |
in aufgeweichter Form – vielleicht hängt noch ein Spuckefaden dran – aus | |
dem Maul zu ziehen. Das hat Charme. | |
Aber vielleicht ist Coolness auch einfach neu definiert. Cool ist es | |
nämlich, nicht zu rauchen. Das hat auch die Tabakindustrie verstanden. | |
Zigaretten werden bei den Jüngeren immer unbeliebter, aber da diese | |
potentiellen Käufer_innen nicht einfach verloren gehen dürfen, braucht es | |
Alternativen. Zuerst gab es Vapes in spaßigen Geschmacksrichtungen. „Apple | |
Peach“, „Banana Ice“, „Pink Lemonde“ und andere fruchtige Namen. Wie … | |
diese Powerbanks mit Totenkopfsymbol drauf sind, ist allerdings fraglich. | |
Dagegen hat Snus doch einige Vorteile: weniger Lungenkrebsrisiko, keine | |
stinkenden Finger, keine vergilbten Schnurrbärte, und so viel Nikotin wie | |
drei bis sechs Zigaretten. Im Grunde ist Snus ein Nikotinpflaster mit | |
Style: einem coolen Namen und bunter Verpackung. Dass der Trend Richtung | |
Nichtrauchen geht, weiß „Big-Tobacco“: [4][Philipp Morris kaufte Swedish | |
Match] – den Mutterkonzern der Snus-Marke „Zyn“ – 2022 für etwa 16,6 | |
Milliarden US-Dollar. | |
Auch der rechtspopulistische Moderator Tucker Carlson berichtet in einem | |
Podcast, wie geil er Snus findet: „Es war eine riesige Bereicherung für | |
mein Leben. Ich kann es nur empfehlen.“ Seine Lieblingsgeschmacksrichtung | |
ist übrigens Minze. Eigentlich sollte als Faustregel gelten: Bei allem, | |
wofür Carlson wirbt, muss man vorsichtig sein. Doch wenn snusen bedeutet, | |
dass man weniger raucht, warum nicht? | |
## Und aber Zahnausfall | |
Das findet auch das Bundesamt für Risikobewertung und sagt, das Schaden bei | |
aktiven Rauchern gemindert werden könne. Damit anfangen sollte man aber | |
nicht. Wegen des hohen Nikotingehalts macht Snus extrem süchtig. Zwar | |
kriegt man vielleicht keinen Lungenkrebs oder Krankheiten, die Vapes | |
irgendwann hervorbringen werden, doch auch pures Nikotin ist nicht gerade | |
gesund. Es erhöht den Blutdruck, beschleunigt die Herzfrequenz und verengt | |
die Arterien. Die Beutel können außerdem schlecht fürs Zahnfleisch sein und | |
sogar zu Zahnausfall führen. | |
Also, auch was man sich heimlich an die Schleimhäute schiebt, ist nicht | |
ganz Privatsache. Die Risiken sollte man nicht ignorieren und gerade bei | |
jungen Leuten wäre die beste Prävention, den Konsum zu regulieren. Im | |
Zweifelsfall gilt, wie bei so gut wie allen Drogen, lieber aufklären und | |
legalisieren. Unter den Tischen kleben die Beutel sowieso schon. | |
3 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Snus | |
[2] https://www.bundestag.de/resource/blob/934682/76303f347908f93e947d4d86ffd36… | |
[3] https://alexandrajeancoffey.wordpress.com/2010/01/20/the-cigarette-issue/ | |
[4] https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/tabakkonzern-p… | |
## AUTOREN | |
Valérie Catil | |
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