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# taz.de -- Provozieren in der Psychotherapie: „Es geht darum, sich selbst ni…
> Heilen mit Witz: Der Psychotherapeut Federico Sarink erklärt, wie Humor
> die Symptome von Depressionen und Angststörungen lindern kann.
Bild: Wer das nicht lustig findet, kein Problem: Humor lässt sich trainieren
taz: Herr Sarink, als Psychotherapeut bringen sie Ihre Patient*innen
bewusst [1][zum Lachen]. Warum sollten wir psychischen Problemen mit Humor
begegnen?
Federico Sarink: Es geht darum, die emotionale Flexibilität der Patienten
zu stimulieren. Wenn Menschen Hilfe [2][in der Psychotherapie] suchen,
heißt das meistens, dass sie sich zu sehr an ihre Gedankenmuster gewöhnt
haben. Sie denken ständig darüber nach, was hätte passieren können, anders
hätte laufen sollen, verlieren den Zugriff auf die Gegenwart: Was jetzt
passiert und passieren kann.
taz: Wie sieht diese fehlende Flexibilität aus?
Sarink: Ich denke zum Beispiel an eine Person mit geringem Selbstwertgefühl
und großer Angst, zu scheitern. Jemand ohne Angststörung hat vielleicht
Bedenken, um eine Gehaltserhöhung zu bitten, aber schafft es, die Angst zu
überwinden und sich zu sagen: „Ja, das ist unangenehm, aber ich arbeite
hier seit fünf Jahren, es ist gerechtfertigt.“ Eine sehr ängstliche Person
geht diesen Schritt nicht, weil es sich kurzfristig besser anfühlt, der
Angst zu glauben. Dadurch bekommt die Angststörung am Ende recht.
taz: Wie [3][kann Humor] helfen, solche Muster zu durchbrechen?
Sarink: Humor ermöglicht es, die Perspektive zu wechseln. Es geht darum,
sich selbst nicht so ernst zu nehmen. Der Gründer der kognitiven
Verhaltenstherapie, Albert Ellis, hat gesagt: Ja, es geschehen schlimme
Dinge im Leben, ernste Dinge, aber die Art, wie du mit den Erlebnissen
umgehst, macht den Unterschied.
taz: Geht es in einer Therapie nicht gerade darum, Erfahrungen ernst zu
nehmen und anzuerkennen?
Sarink: Wir lachen nicht über das Trauma. Wir lachen über die Konsequenzen.
Erst heute habe ich mit einem Patienten telefoniert, der Angst hat, dass
bald alle herausfinden, was er für ein Versager ist. Ich habe zu ihm
gesagt: „Na gut, dann sind Sie eben ein Versager. Was ist daran so schlimm?
Immerhin wissen Sie es.“ Da musste er lachen.
taz: Für mich klingt das so, als würden Sie sich über Ihren Patienten
lustig machen.
Sarink: Ich mache mich über ein bestimmtes Verhalten von ihm lustig. Das
ist eine Methode der provokativen Therapie: Ich gehe davon aus, dass viele
Patienten mit depressiven oder Angstsymptomen einen inneren Konflikt
austragen. Ich spiegele und übertreibe die dunkle Seite. Dann muss sich der
Patient verteidigen und argumentieren: Nein, ich bin doch gar kein
Versager! Damit argumentiert er eigentlich gegen sich selbst, erkennt den
eigenen inneren Konflikt und merkt: Ich will wirklich etwas ändern.
taz: Reagieren Patient*innen darauf nicht auf mit Wut oder Ablehnung?
Sarink: Mir wurde schon einmal gesagt: „Sie sind ein Arschloch, aber das
war hilfreich.“ Die meisten Menschen finden es aber witzig, wenn ich so
direkt bin, und lachen dann auch über ihre eigenen limitierenden
Denkmuster. Aber natürlich sind wir Therapeuten keine Comedians. Alles was
wir sagen, sollte dem Patienten dienen. Das ist eines der Risiken, das in
allen klinischen Studien zu Humor benannt wird: dass wir unsere Patienten
nicht ernst genug nehmen. Die anderen Risiken sind, dass wir mit Witzen
abwerten oder dass wir durch Humor eine Distanz schaffen, um die Probleme
der Patienten von uns fernzuhalten.
taz: Andersherum kann das ja auch passieren: dass Menschen mit psychischen
Problemen mittels Humor Distanz zu sich selbst schaffen und so den Zugang
zu ihren Gefühlen verschließen.
Sarink: Ja, wenn jemand alles ins Komische zieht, immer nur selbstironisch
über sich redet und sich über Humor selbst abwertet, dann ist es für den
Patienten kein hilfreicher Humor. Aber auch dann ist es ein diagnostisches
Werkzeug, dieses Verhalten zu beobachten. Wenn man die Risiken im Kopf
behält, bleibt Humor in vielen Momenten der beste Icebreaker. Wenn ein
neuer Patient zu mir ins Büro kommt, außer Atem und verschwitzt, und ich
sage zum Beispiel: „Wow, Sie sind ja richtig motiviert, Sie haben das
Wettrennen zur Therapie gewonnen!“, dann öffne ich damit emotional eine Tür
und wir können leichter eine Verbindung aufbauen.
taz: Für Ihre Doktorarbeit wollen Sie den Nutzen von Humor in der
Psychotherapie untersuchen. Wie sieht die Forschungslage aus?
Sarink: Sehr dünn. Für einen systematischen Überblick habe ich mir alle
klinischen Studien zu Humor-Interventionen in meinem Feld angeschaut, es
sind nur zehn und sie unterscheiden sich stark darin, wie sie Humor
definieren und einsetzen. Fest steht, Humor kann die Symptome von
Depressionen und Angststörungen lindern. Ich untersuche zurzeit, ob sich
Humor auch positiv auf die Problemlösungskompetenz auswirkt, was wiederum
mit psychologischer Flexibilität zusammenhängt.
taz: Was denken Sie, warum bisher noch nicht mehr dazu geforscht wurde?
Gilt Humor als unprofessionell?
Sarink: Einerseits ist es schwierig, Humor systematisch zu erfassen und zu
definieren. Gleichzeitig nehmen sich in der klinischen Psychologie viele
Leute einfach viel zu ernst. Wir Therapeuten wollen immer den Prototypen
des helfenden Engels entsprechen. Aber erst kürzlich sagte ein Patient zu
mir: „In meiner früheren Therapie war alles so ernst, das hat mich fast
noch depressiver gemacht.“ Wenn wir alles nur ernst nehmen, laufen wir auch
selbst Gefahr, in einen Strudel der Negativität zu geraten. Mit etwas Humor
können wir Leichtigkeit in die Sitzungen bringen und es auch für uns
angenehmer machen.
taz: Sie bieten Workshops zum Konzept der provokativen Therapie an. Dabei
sollen Therapeut*innen unter anderem lernen, Humor als Werkzeug zu
nutzen. Aber was, wenn sie einfach nicht witzig sind?
Sarink: Humor ist überall, in ganz alltäglichen Situationen. Oft heißt es
ja, man hat entweder einen Sinn für Humor oder nicht, aber das stimmt
nicht, man kann es trainieren. Und wenn man im Alltag auf witzige
Situationen achtet, dann kann man irgendwann auch in Stressmomenten oder
Konflikten immer noch das Komische sehen. Das bringe ich Psychotherapeuten
bei, denn wenn sie im Alltag einen Zugang zu Humor haben, können sie das
auch beruflich anwenden. Am besten wäre es, alle Menschen dazu anzuregen,
ihren Sinn für Humor zu nutzen und damit depressiven und Angstgefühlen
vorzubeugen. Das ist dann auch viel billiger, als eine wöchentliche
Therapiestunde zu bezahlen.
3 Dec 2024
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## AUTOREN
Nora Noll
## TAGS
Humor
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psychische Gesundheit
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