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# taz.de -- Humor als Hilfe: Sich mit Lachtherapie freischütteln
> Mit Humor schafft man es Unsagbares sagbar zu machen. Ein Gutes Beispiel
> dafür ist Comedian Hannah Gadsbys Show „Something Special“.
Bild: Comedian Hannah Gadsby in der Lieblingsfarbe, blau
Instagram spielt mir zurzeit immer Videos von Schütteltherapie in den Feed.
Ich habe also im Augenwinkel gelernt, dass es gut ist, die Gliedmaßen zu
schütteln, weil dies für die Muskeln sogar erleichternder sein kann als sie
zu dehnen. Die Videos wurden wahrscheinlich ausgelöst, weil ich „somatische
Übungen“ gegoogelt habe. Diese sollen helfen, Blockaden zu lösen, die
entstehen, wenn unverarbeitete Emotionen im Körper festsitzen.
Mich blockiert in solchen Momenten schon die Frage, wie der Algorithmus
funktioniert und ob es einen Weg gibt, dieses Körperwissen in den Alltag zu
übersetzen, ohne in die nächste neoliberale Falle der Selbstoptimierung zu
tappen. Was natürlich nicht dabei hilft, den Computerrücken zu stärken.
Dann vielleicht lieber Lachtherapie in Form von Stand-up-Comedy. Bei Hannah
Gadsbys letzter [1][Show „Something Special“] von 2023 habe ich mich so
bepisst vor Lachen, dass ich zwischendurch immer wieder vom Stuhl
aufgesprungen bin. Geht also doch mit der Bewegung vor dem Bildschirm.
Es ist unfassbar intelligent und feinfühlig wie Gadsby Gendernormen auf den
Kopf stellt. Oder aufzeigt, welcher weichgespühlte Feminismus gerade wieder
warum populär ist und wie die Kunstgeschichte es schaffen konnte, ein
weißes Zentrum zu erfinden, das es nicht gibt.
## Ein abwartender Blick
Comedy funktioniert für mich ähnlich wie Comiczeichnungen. Der Filter des
Gezeichneten kann helfen, bei Schrecklichem hinzuschauen, anstatt den Blick
abzuwenden. Im Fall von Comedy kann Humor Unsagbares sagbar machen und
dafür sorgen, dass die Leute zuhören, anstatt weg.
In der Show „Nannette“, die 2018 auf Netflix lief, setzte Gadsby diesen
Filter ein, um sexualisierte Gewalt in ihrer Verknüpfung mit der
Zweigeschlechterordnung zu thematisieren – und gleichzeitig das Genre der
Comedy zu dekonstruieren.
Gadsby weiht das Publikum in „Nanette“ in die Regeln der Komik ein und
nimmt es immer noch einen Schritt weiter mit. Und ist dabei Meister:in
der Pausen. Gadsby schaut dann mit großen Augen in Richtung Publikum und
muss selbst schon lächeln. Ich liebe den Einsatz dieses abwartenden Blicks.
## Mitleid als Teil einer Struktur
Im Buch „[2][Ten Steps to Nanette – A Memoir Situation]“ von 2022 spielt
Gadsby ebenso mit den Erwartungen. Die Leser:innenschhaft wird direkt
angesprochen. In der Mitte ist eine „Intermission“ eingeschoben, in der
Gadsby erklärt, warum das Buch die Kategorie Armutsporn nicht bedienen
wird: „Ich möchte, dass die Welt aufhört, unnötige Details als
Gegenleistung für Empathie zu verlangen.“
Gadsby versteht sich nicht als „armes Opfer“, sondern ordnet den Affekt des
Mitleids als Teil einer übergeordneten homophoben Struktur ein. Eine
Struktur, die im Australien der 1990er das politische Klima beherrschte,
als die Dekriminalisierung von Homosexualität öffentlich diskutiert wurde.
Was heute soziale Medien sind, waren damals Radiosendungen, bei denen
Anrufe voller Hassrede einfach laufen gelassen wurden.
Gadsby hat über die Jahre gelernt, was Trigger auslöst. Umgekehrt rät
Gadsby, sich zu merken, welche sensorischen Erlebnisse gut tun. Gadsby
liebt es zum Beispiel, Kleidung in der Farbe Blau zu tragen, seit sie:er
zum ersten Mal die [3][Fresken in Giottos Scrovegni-Kapelle in Padua]
erlebt hat. Und nichts bringt Gadsby so zur Ruhe wie das Geräusch, das eine
Teetasse macht, wenn sie auf ihrer Untertasse ankommt. Ich gehe schon mal
Wasser kochen.
12 May 2024
## LINKS
[1] https://www.netflix.com/de/title/81598434
[2] https://sites.prh.com/hannah-gadsby
[3] https://whc.unesco.org/en/list/1623/
## AUTOREN
Noemi Molitor
## TAGS
Kolumne Subtext
Humor
Schwerpunkt LGBTQIA
Comedy
Therapie
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Scheinselbstständigkeit
Instagram
Kolumne Subtext
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
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