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# taz.de -- Protest gegen Kies- und Sandabbau: Der neue Kampf gegen Gruben
> Bei Frankfurt protestieren Klimaaktivist*innen gegen Sand- und
> Kiesabbau in einem Wald. Konflikte wie dieser häufen sich in Deutschland.
Bild: Die Aktivist*innen haben sich schon im Bannwald eingerichtet
Langen taz | Der Weg zur Grube ist kurz, nur dreihundert Meter hinter den
Baumhäusern ist der Wald zu Ende. Ein Aktivist, Deckname „Hefe“, legt
prüfend eine Hand auf den Bauzaun, der die Bäume von den Baggern trennt.
„Das da ist ein Verbrechen“, sagt er und deutet auf die Baufahrzeuge im
Sand, die vorerst stillstehen. In der Ferne kreischt eine Motorsäge durch
den Wald.
Im Bannwald von Langen bei Frankfurt tobt ein Konflikt, wie er immer
häufiger wird: Klima- und Umweltaktivist*innen protestieren gegen den
Sand- und Kiesabbau.
Hier in Langen will die Firma Sehring bis zu 67 Hektar geschützte Natur –
deshalb der Name „Bannwald“ – mit einer Grube ersetzen. In unmittelbarer
Nähe harren Aktivist*innen der Gruppe „Wald statt Asphalt“ seit Juli in
einem Protestcamp aus. „Es kann nicht sein, dass in Zeiten des Waldsterbens
und der sich verschärfenden Klimakrise wertvolle und intakte Waldgebiete
wie der Langener Bannwald gerodet werden“, erklären sie.
Ihr Camp haben die Aktivist*innen „Banny“ getauft – in Anlehnung an den
berüchtigten Dannenröder Forst „Danni“, [1][der besetzt wurde, um eine
Autobahn zu stoppen]. Für die derzeit rund ein Dutzend Bewohner*innen
ist Banny auch ein Freiraum, um eine alternative, hierarchiefreie
Lebensweise auszuprobieren, erzählt Hefe – möglichst frei von Kapitalismus,
Sexismus und Patriarchat: „Was uns alle eint, [2][ist der Kampf gegen die
Zerstörung der Natur.]“
## Konflikte um Flächennutzung werden zunehmen
Juristisch ist die Lage im Langener Bannwald bereits entschieden: Das
Bundesverwaltungsgericht hat 2022 nach einer Klage des BUND die Genehmigung
für den Abbau bestätigt – was die Protestierenden jedoch nicht davon
abhält, weiterhin Widerstand zu leisten. Schließlich nimmt die politische
und rechtliche Debatte um den Abbau von Sand und Kies in Deutschland gerade
erst Fahrt auf.
„Konflikte um die Nutzung natürlicher Ressourcen nehmen seit Jahren
weltweit zu“, beobachtet Jürgen Scheffran, Professor für integrative
Geografie an der Universität Hamburg. Das gelte auch für Deutschland: Die
Landflächen seien begrenzt. Deshalb konkurrierten Unternehmen, Gemeinden,
Menschen und Natur um Platz für Siedlungs- und Straßenbau, Landwirtschaft,
Energienutzung oder Schutzgebiete, sagt Scheffran. Er forscht zu
Klimawandel und Ressourcenkonflikten.
Wegen des „Infrastruktur-Staus“ würden sich solche Fälle in Zukunft
verschärfen, warnt er. Der Bau von Infrastruktur sei jahrzehntelang
vernachlässigt worden – mit Ausnahme von Straßen. Doch auch Radwege,
Bahntrassen oder der Ausbau erneuerbarer Energien benötigten erhebliche
Mengen an Ressourcen, stellt der Wissenschaftler fest: „Wenn die vor Ort
abgebaut werden, gibt es einen direkten Widerspruch zwischen lokalen
Eigeninteressen und übergeordnetem Umwelt- und Klimaschutz.“
Beispiele dafür gibt es viele: Im Rheinland protestieren Bürgerinitiativen
wie „Rettet den Niederrhein“ seit 2019 gegen die Ausweitung von
Kies-Abbauflächen. In Baden-Württemberg gibt es seit 2021 ein Baumhaus-Camp
im Altdorfer Wald bei Ravensburg, das noch heute besteht. Der dortige Wald
soll in großen Teilen einer bis zu 90 Meter tiefen Kiesgrube zum Opfer
fallen. Im sächsischen Würschnitz wurde Anfang 2023 ein Klima-Protestcamp
in einem Waldstück geräumt.
## Für Unternehmer ist Protest „ökologischer Nonsens“
Kern der Konflikte ist die Frage, womit in Zukunft gebaut werden soll.
Bisher ist das selten nachhaltig. Die Baubranche ist für 15 Prozent der
Emissionen in Deutschland verantwortlich. Allein auf die Herstellung von
Baustoffen für den Neubau oder die Modernisierung von Gebäuden entfallen
rund acht Prozent, was in etwa dem doppelten jährlichen CO₂-Ausstoß des
deutschen Flugverkehrs entspricht. Im wirtschaftsstarken Rhein-Main-Gebiet
ist der Druck auf die Natur besonders groß: Bau- und Verkehrsprojekte
verschlingen viel Platz – und Rohstoffe.
Für Dirk Pollert, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der hessischen
Unternehmerverbände, ist die Ablehnung des Kies- und Sandabbaus
„ökologischer Nonsens“. Sand und Kies würden für Wohnungen und die
Infrastruktur benötigt. „Vieles kann glücklicherweise mit Rohstoffen aus
der Region gebaut werden“, sagt er. CO₂-intensive Transporte würden so
vermieden, was klimafreundlicher sei.
Bei den Klimaschützer*innen sorgt das für Kopfschütteln. „Bauwende
heißt nicht: mehr Beton aus Deutschland“, kritisiert Mira. „Im Gegenteil:
Es geht darum, von immer mehr Frischbeton wegzukommen.“ Es gebe ökologische
Alternativen mit nachwachsenden Ressourcen, erklärt der Aktivist – etwa,
wenn in Pflanzen gespeichertes CO₂ in einem Haus verbaut wird, bei Häusern
aus Holz oder mit Strohdächern zum Beispiel. „Aber solange es profitabler
ist, riesige Waldflächen zu zerstören, als Rohstoffe aus der Natur zu
nutzen oder zu recyceln, wird sich nichts ändern.“ Der Aktivist hält inne.
„Wir verhindern hier ein Stück weit, dass es sich lohnt.“
Auch Geograf Jürgen Scheffran weist darauf hin, dass die Alternativen zum
Sand- und Kiesabbau noch deutlich mehr Geld kosten. Das Recycling großer
Mengen von Bauschutt biete zwar großes Potenzial, sei aber sehr teuer. Er
plädiert dafür, Marktanreize wie den CO₂-Preis auch für Umweltbelastungen
wie beim Sand- und Kiesabbau einzuführen – und bis dahin nicht dort
abzubauen, wo die Natur am stärksten belastet wird.
## Sollte die Rodung beginnen, sind die Baumhäuser im Weg
Thomas Norgall, der hessische Landesvorsitzende des BUND, kann den Protest
in Langen nachvollziehen. Jedoch seien alle Rechtsmittel bereits
ausgeschöpft und das Gericht habe letztinstanzlich gegen den Wald
entschieden, erklärt er der taz. In der Diskussion fehle es an „Bewusstsein
für die Endlichkeit von Kies und Sand“, beklagt er. Es würden dringend
Ersatzstoffe gebraucht. „Stattdessen werden sogar Schutzgebiete zerstört,
um die letzten Vorkommen auszubeuten.“
Die Fronten scheinen verhärtet. Während die Klimaaktivist*innen im
Bannwald von Langen weiter ausharren, sieht die Firma Sehring ihre Arbeit
durch das Gerichtsurteil abgesichert. Stefan Sehring, Geschäftsführer des
Unternehmens, sagte in der „Hessenschau“, die Aktivist*innen seien
„Antidemokraten“, die Gesetze mit Füßen treten. Er kündigte an, dass
Schäden, die durch die Proteste entstünden, mit allen rechtlichen Mitteln
eingetrieben würden. Zum weiteren Rohstoffabbau will sich das Unternehmern
auf Anfrage der taz nicht äußern.
Immerhin: In Hessens Bannwäldern dürfen künftig keine Vorranggebiete für
den Rohstoffabbau mehr ausgewiesen werden. Die schwarz-grüne
Landesregierung hatte 2021 eine Gesetzesänderung beschlossen. Bestehende
Genehmigungen wie die von Sehring blieben davon allerdings unberührt.
In der Nähe der Abbaugrenze haben die Aktivist*innen ein zwölf Meter
hohes Baumhaus errichtet, von dem aus sich die Grube gut überblicken lässt.
Sollte die Rodung beginnen, [3][stünden sie im Weg]. Mira sagt: „Wir werden
bleiben, solange uns der Wald braucht.“
3 Dec 2024
## LINKS
[1] /Klimaaktivistin-war-18-Monate-in-Haft/!5850680
[2] /Aktivist-ueber-den-Wert-der-Provokation/!5975585
[3] /Doku-ueber-Klimaaktivismus/!6037393
## AUTOREN
Maximilian Arnhold
## TAGS
Hessen
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