# taz.de -- Stellenabbau bei Thyssenkrupp: Kommen jetzt die stahlharten Zeiten? | |
> Der größte deutsche Stahlhersteller Thyssenkrupp leidet unter der Misere | |
> der Autoindustrie. Tausende Stellen werden gestrichen. Was sagt die | |
> Politik? | |
Bild: Heiß und dreckig: Stahlproduktion im Werk von Thyssenkrupp in Duisburg | |
Das Management von Thyssenkrupp will im großen Stil Stellen abbauen. Warum? | |
Die schwache Konjunktur, billige Konkurrenz und hohe Energiekosten machen | |
der Stahlsparte von Thysssenkrupp zu schaffen. Das Management will die | |
Produktion von Stahl deshalb von 11,5 Millionen Tonnen auf 8,7 bis 9 | |
Millionen Tonnen im Jahr zurückfahren. Vor diesem Hintergrund hat das | |
Management angekündigt, [1][in den kommenden sechs Jahren 11.000 | |
Arbeitsplätze abzubauen]. Dafür sollen 5.000 Stellen gestrichen und weitere | |
6.000 Jobs etwa durch den Verkauf von Firmenteilen ausgelagert werden. | |
Außerdem soll der Standort Kreuztal-Eichen geschlossen werden. | |
Bislang arbeiten in der Stahlsparte von Thyssenkrupp 27.000 Leute, davon | |
13.750 in Duisburg. Für die Stadt wäre der Stellenabbau ein harter Schlag. | |
Sie hat den Strukturwandel weg von der traditionellen Bergbau- und | |
Kohleindustrie noch immer nicht bewältigt. Die Arbeitslosenquote ist mit | |
12,7 Prozent im Oktober 2024 schon heute doppelt so hoch wie im | |
Bundesdurchschnitt, der bei 6 Prozent liegt. Die Gewerkschaft IG Metall und | |
der Betriebsrat haben Widerstand gegen den Stellenabbau angekündigt. „Wir | |
verhandeln das erst gar nicht“, sagt Knut Giesler, Bezirksleiter der IG | |
Metall NRW. Aufgrund der [2][Montanmitbestimmung hat die IG Metall eine | |
starke Stellung] bei den jetzt anstehenden Verhandlungen. Offiziell | |
streiken können die Beschäftigten vorerst nicht. Wegen des laufenden | |
Tarifvertrags herrscht bis 2026 Friedenspflicht. | |
Wieso drosselt das Unternehmen die Stahlproduktion? | |
Etwa die Hälfte des von Thyssenkrupp hergestellten Stahls geht in die | |
[3][Autoindustrie. Doch die leidet unter Absatzproblemen] und produziert | |
weniger. Deshalb ist ihr Stahlbedarf geringer. Auch die Baubranche | |
verarbeitet viel Stahl und ist ebenfalls in der Krise. Mindestens genauso | |
gravierend: Auf dem globalen Stahlmarkt gibt es seit Jahren erhebliche | |
Überkapazitäten. Aus Asien kommen Billigimporte. China subventioniert die | |
Stahlproduktion. Weil auch dort der Bedarf aufgrund der Konjunkturschwäche | |
zurückgeht, fließt mehr Stahl auf den Weltmarkt. Länder, in die mehr | |
chinesischer Stahl kommt, verstärken ihre Exporte nach Europa. | |
Gibt es auch hausgemachte Probleme bei Thyssenkrupp? | |
Ja. Das Unternehmen hat die Modernisierung der Stahlsparte vernachlässigt. | |
Im August traten der ehemalige Wirtschaftsminister [4][Sigmar Gabriel (SPD) | |
und weitere Mitglieder des Aufsichtsrats der Thyssenkrupp Stahltochter] im | |
Streit mit der Konzernspitze um die künftige Ausrichtung zurück. Sie werfen | |
dem Management vor, nicht genug Geld in die Stahlsparte zu stecken, damit | |
die überlebensfähig ist. Zuvor hatte das Management den tschechischen | |
Milliardär [5][Daniel Křetínský ins Boot geholt], der eine der größten | |
Unternehmensgruppen im Energiesektor in Europa führt. Der Milliardär ist | |
umstritten, er gilt als Klimawandelleugner. Er besitzt jetzt einen Anteil | |
von 20 Prozent an der Stahltochter, der auf 50 Prozent erhöht werden soll. | |
Das Management verspricht sich viel von der „Energieexpertise“ von Daniel | |
Křetínskýs Unternehmen. Die Vertreter:innen der Beschäftigten | |
fürchteten von Anfang an, dass mit Křetínskýs Einstieg und der damit | |
verbundenen Umstrukturierung Arbeitsplätze abgebaut werden. | |
Wenn es so viel Stahl auf dem Weltmarkt gibt: Warum muss überhaupt noch | |
welcher in Deutschland hergestellt werden? | |
Stahl ist für viele Produktionsprozesse ein wichtiges Ausgangsmaterial. | |
Deutschland ist nach Angaben des Branchenverbandes in der EU der größte | |
Stahlproduzent und der siebtgrößte der Welt. Sich auf Importe zu verlassen, | |
könnte sich rächen, wenn Lieferketten etwa aufgrund geopolitischer | |
Ereignisse unter Druck geraten. Das hätte dann Folgen für große Teile der | |
industriellen Produktion in Deutschland. Zwar sind in der Stahlbranche mit | |
direkt 80.000 Mitarbeiter:innen vergleichsweise wenig beschäftigt. | |
Weil der Wirtschaftszweig aber einen wichtigen Basisstoff herstellt, sind | |
weitaus mehr Arbeitsplätze indirekt daran gebunden. Rund vier Millionen | |
Menschen arbeiten in einer stahlintensiven Branche. Und: Die klassische | |
Stahlproduktion ist sehr klimaschädlich. Die Herstellung von [6][„grünem | |
Stahl“] statt eines Imports von konventionellem Stahlaus anderen Ländern | |
ist auch ein Beitrag zum Klimaschutz. | |
Was ist „grüner Stahl“? | |
Die gesamte Stahlbranche muss bis 2045 klimaneutral werden – zu diesem | |
Zeitpunkt will Deutschland insgesamt klimaneutral sein. Bis dahin soll | |
Stahl ohne den Einsatz fossiler Brennstoffe hergestellt werden. Als Ersatz | |
dienen soll Wasserstoff. Der Aufbau eines entsprechenden Netzes ist | |
geplant. Thyssenkrupp selbst baut eine [7][große Pilotanlage für die | |
Herstellung] von grünem Stahl und hat deshalb Leuchtturmcharakter. Der | |
Staat bezuschusst das Projekt mit 2 Milliarden Euro. Das Unternehmen hat | |
angekündigt, dass es trotz Stellenstreichung dabei bleibt. Auch | |
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geht davon aus, dass die Anlage | |
gebaut wird. | |
Wie reagiert die Politik? | |
Die Landesregierung erwarte von dem Unternehmen, dass es „zu keinen | |
betriebsbedingten Kündigungen kommt“, so NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst | |
(CDU). „Bitter und bedrückend“ seien die Pläne, sagt | |
NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne): „Ich will, dass das Herz | |
aus Stahl auch weiterhin in Nordrhein-Westfalen schlägt.“ Um der | |
energieintensiven Industrie zu helfen, will Wirtschaftsminister Habeck die | |
Stromkosten noch in diesem Jahr senken. Das wäre möglich durch einen | |
Bundeszuschuss zu den Netzentgelten, den Gebühren für die Nutzung des | |
Stromnetzes. Geld dafür wäre vorhanden. Habeck will dafür die Milliarden | |
nutzen, mit denen die [8][verschobene Ansiedlung der Intel-Chipfabrik in | |
Magdeburg] subventioniert werden sollte. Doch dazu wäre ein | |
Nachtragshaushalt nötig – es ist ungewiss, ob es dafür die nötige Mehrheit | |
im Bundestag gibt. Auf jeden Fall dürfte die Krise bei Thyssenkrupp ein | |
großes Thema im anstehenden Bundestagswahlkampf werden. Extrem rechte oder | |
populistische Parteien wie die AfD oder das BSW werden sie nutzen und die | |
Angst vor einer Deindustrialisierung Deutschlands schüren. | |
Sind die Vorgänge bei Thyssenkrupp und anderen Industrieunternehmen denn | |
Vorboten einer Deindustrialisierung? | |
Deutschland ist weit von einer Deindustrialisierung entfernt und | |
international nach wie vor wettbewerbsfähig. Das heißt aber nicht, dass es | |
keine Probleme gibt. Deutschland ist [9][das zweite Jahr in Folge in einer | |
Rezession]. Weil die deutsche Wirtschaft extrem exportabhängig ist, schlägt | |
die momentan nachlassende Nachfrage auf den globalen Märkten unmittelbar | |
durch. Problematisch ist auch, dass der Staat und Unternehmen nicht mehr so | |
viel wie früher in Deutschland investieren. Das ist aber nötig, um die | |
Betriebe klimaneutral umzubauen und um konkurrenzfähig zu bleiben. Doch | |
gerade Aktiengesellschaften schütten lieber Milliarden an ihre | |
Aktionär:innen aus, als das Geld in die Modernisierung der eigenen | |
Produktion zu stecken. Das gilt auch für Thyssenkrupp. | |
29 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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