# taz.de -- Vermittlung von Wohngemeinschaften: Bei Oma ist ein Zimmer frei | |
> Viele Seniorinnen und Senioren sitzen allein in großen Wohnungen, während | |
> junge Menschen keine Bleibe finden. Ein Projekt in Berlin will das | |
> ändern. | |
Bild: Fünf Zimmer, Küche, Untermiete: In diesem Berliner Altbau wäre Platz | |
Berlin taz | Menschen ab 65 Jahren wohnen nicht nur besonders häufig | |
allein, unter den Alleinlebenden haben sie im Schnitt auch den größten | |
Wohnraum zur Verfügung: pro Kopf 83 Quadratmeter. Das hat das Bundesamt für | |
Statistik 2023 festgestellt. Gleichzeitig suchen viele junge Menschen in | |
Großstädten dringend eine bezahlbare Bleibe. Der Verein „Sonay soziales | |
Leben“ will nun in Berlin alte Menschen ermutigen, an Junge | |
unterzuvermieten. | |
„[1][Generationen-WG Berlin]“ nennt sich das Modellprojekt, das von der | |
Deutschen Fernsehlotterie gefördert wird und auf drei Jahre angesetzt ist. | |
Es läuft seit Anfang Oktober. Anders als bei Plattformen für | |
Wohnungssuchende üblich setzt der Verein auf eine persönliche Betreuung der | |
Beteiligten bis zum Abschluss des Untermietvertrags und bei Bedarf auch | |
darüber hinaus. | |
Jonas Deußer, ein 30-jähriger Sozialarbeiter, der zuvor in der | |
Erziehungshilfe gearbeitet hat, ist der Kopf von Sonay. Er berichtet, dass | |
bereits 15 Seniorinnen und Senioren – mit und ohne WG-Erfahrung, im | |
Durchschnitt knapp über 70 Jahre alt – Interesse bekundet hätten, einen | |
jungen Menschen bei sich zu beherbergen. | |
Nicht älter als 27 dürfen die Untermieter sein, so hat es Sonay festgelegt. | |
An Bewerberinnen und Bewerbern mangelt es nicht. Rund 200 junge Menschen | |
stehen inzwischen auf der Warteliste; Frauen und Männer gleichermaßen, | |
ungefähr die Hälfte habe angegeben, kein Deutsch zu sprechen, erzählt | |
Deußer. | |
„Schon jetzt ist die Erwartung übertroffen“, freut er sich. Ziel ist es, im | |
ersten Jahr des Modellprojekts zehn Wohnungspaare zu vermitteln und im | |
zweiten Jahr 40 Matches zu erreichen. Was treibt den Sozialarbeiter an? | |
## Eine Lösung für zwei gesellschaftliche Probleme | |
Wohnungsnot und Einsamkeit seien zunehmende gesellschaftliche Probleme, | |
sagt Deußer. Das aktuelle Projekt sei nicht sein erster Versuch, Senioren | |
und junge Menschen in Kontakt zu bringen. Viele alte Menschen könnten ihre | |
großen Wohnungen nicht ausfüllen, in Berlin gebe es aber [2][keinerlei | |
langfristige Angebote, um dieses Problem effektiv anzugehen]. | |
Bundesweit wohnt laut Statistikamt mehr als ein Viertel der Alleinlebenden | |
in der Altersgruppe 65 plus sogar auf mindestens 100 Quadratmetern. Das | |
gelte sicherlich auch für Berlin, beobachtet Deußer. Er höre manchmal von | |
älteren Menschen, die [3][150 Quadratmeter und mehr ganz allein bewohnten]. | |
Viele würden sogar gern in eine kleinere Wohnung umziehen, die sei in der | |
Regel aber teurer als die große Wohnung, für die es noch einen | |
kostengünstigen Mietvertrag gebe. „Und dann stehen die Zimmer leer, weil es | |
auf dem Markt nichts Entsprechendes gibt.“ | |
## Ein ausgeklügeltes Prozedere | |
Damit es klappt mit den WGs, hat sich Sonay ein ausgeklügeltes Prozedere | |
überlegt. Zunächst füllen Alte und Junge unabhängig voneinander einen | |
umfassenden Fragebogen aus. Dabei – wie bei allen weiteren Schritten auch – | |
werden die Wohnungsgeber von Vereins-Mitarbeitern persönlich unterstützt. | |
Auch Hausbesuche, bei denen Wünsche und Bedenken erörtert werden können, | |
gehören dazu. Es geht um Fragen wie: Was für einen Mitbewohner wünsche ich | |
mir? Welche Wohnbereiche möchte ich teilen? Habe ich dann noch eine | |
Privatsphäre? Was, wenn die Person laut ist, Freunde mitbringt oder in | |
einer Beziehung lebt? Will ich mit der Person zusammen Mahlzeiten | |
einnehmen? | |
„Es gibt viele Ängste“, sagt Deußer, man erlebe aber auch Überraschungen. | |
Eine Seniorin habe im Vorgespräch gesagt, Lärm sei ihr egal. Sie selbst | |
höre so schlecht, dass sie den Fernseher immer voll aufdrehe. Das müsse ein | |
Untermieter dann natürlich ertragen können. Ein Senior habe gesagt, | |
mangelnde Deutschkenntnisse seien ihm egal. Er spreche vier Sprachen. | |
## Das gewisse Risiko | |
Von den 15 interessierten Seniorinnen und Senioren seien fünf bereits in | |
der Phase des Castings. Aus dem Bewerberpool werden zu ihnen passende | |
Kandidaten ausgewählt, bei Kennlerngesprächen im Beisein von Sonay können | |
sich beide Seiten beschnuppern. In einem Fall gebe es bereits ein Match, | |
sagt Deußer. „Beim Kennenlernen kriegt man schon oft ein Gefühl, ob es | |
passen könnte“. | |
Voraussetzung ist, dass die Wohnung in einem ordentlichen, sauberen Zustand | |
ist und ausreichend Platz für den jungen Untermieter vorhanden ist – vor | |
allem ein vernünftiges Zimmer, das kein Durchgangszimmer sein darf. Ein | |
eigenes Bad ist nicht erforderlich. Außerdem dürfen die Mieteinnahmen | |
keinen Zuverdienst für den Hauptmieter bedeuten. Deshalb darf dem | |
Untermieter nur ein Anteil der tatsächlichen Miete in Rechnung gestellt | |
werden. Um das sicherzustellen, besteht Sonay auf der Vorlage des | |
Mietvertrags. „Eine faire Miete ist uns wichtig“, betont Deußer. | |
Grundsätzlich prüfe man bei allen auch die Identitätspapiere. | |
Fünf Angestellte hat der Verein, für die Kontaktanbahnung sind Deußer und | |
eine Kollegin zuständig. Er habe an allen Gesprächen teilgenommen, sagt | |
Deußer. Mit dem Projekt der Generationen-WGs will er eine Lücke füllen, | |
denn ein vergleichbares Unterfangen sei ihm nicht bekannt. Einzig | |
Wohnprojekte für Hilfsbedürftige gebe es, wo der Untermieter im Gegenzug | |
für Carearbeit keine Miete zahle. Eine solche Kampagne in Berlin sei vor | |
ein paar Jahren aber in Ermangelung von Matches beendet worden. | |
Seinen Generationen-WGs räumt Deußer hingegen gute Chancen ein. Dass es | |
beim Zusammenwohnen von Alt und Jung auch mal Schiffbruch gebe, sei | |
eingepreist. Wie in jeder normalen WG. „Ein gewisses Risiko ist immer | |
dabei“. | |
17 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.generationen-wg-berlin.de/ | |
[2] /Wohnungsnot-in-Berlin/!5953783 | |
[3] /Wohnungsknappheit/!6024712 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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