| # taz.de -- Erörterungstermin zur Atomfabrik Lingen: Kritische Masse | |
| > In Lingen hat der Erörterungstermin zum Einstieg der russischen Firma | |
| > Rosatom in die Brennelementefabrik begonnen. Rund 11.000 Einwendungen gab | |
| > es. | |
| Bild: Demo mit Wladimir Putin als Schwellkopf: So sieht der Protest gegen den u… | |
| Lingen taz | Natürlich gehört die Durchführung von Erörterungsverfahren in | |
| Umweltministerium zum Handwerkszeug. Aber eine solche Größenordnung nehmen | |
| diese Verfahren selten an. Rund 11.000 [1][Einwendungen gab es gegen den | |
| Ausbau der Brennelementefabrik im emsländischen Lingen]. Für die Erörterung | |
| mietete das niedersächsische Umweltministerium eigens die Emslandhallen an. | |
| Schon vor der Halle stehen sich am Mittwochmorgen die beiden Lager | |
| gegenüber: Auf der einen Seite Atomkraftgegner mit einem riesigen | |
| Pappmaché-Putin und Klampfe. Auf der anderen Seite mehr als 50 | |
| ANF-Mitarbeiter, leicht erkennbar an den Stickern mit der Aufschrift „Proud | |
| to be Framatome“ auf ihrer Kleidung. Damit ist auch schon der Ton gesetzt | |
| für das,was dann in der Halle passiert. | |
| Gerade einmal fünf Kilometer vom Versammlungsort entfernt produziert die | |
| Firma Advanced Nuclear Fuels (ANF), eine Tochter des französischen Konzerns | |
| Framatome, Brennstäbe. Sie möchte das künftig auch für Reaktoren russischer | |
| Bauart tun, um den osteuropäischen Markt, aber auch Finnland bedienen zu | |
| können. | |
| Dazu hat man eigens ein Joint Venture mit einer Tochterfirma des russischen | |
| Staatskonzerns Rosatom gegründet. Russische Ingenieure sollen helfen, in | |
| Lingen eine Lizenzproduktion auf die Beine zu stellen. Parallel dazu | |
| arbeitet ANF nach eigenem Bekunden an einem eigenen Design für hexagonale | |
| Brennstäbe, wie sie in den Kraftwerken russischer Bauart verwendet werden. | |
| ## Umweltinis fühlen sich überwacht | |
| Die beiden Lager, die sich vor der Halle gegenüberstehen, treffen sich auch | |
| in der Halle. Vertreter der Umweltinitiativen beklagen sich, dass sie sich | |
| eingekesselt und überwacht fühlen. Tatsächlich hat die Versammlungsleitung | |
| zahlreiche Mitarbeiter als Zuschauer zugelassen, obwohl das Verfahren | |
| eigentlich nicht uneingeschränkt öffentlich ist. Auch aus der Führungsriege | |
| der Firma ANF haben Mitglieder Platz genommen. | |
| Die Einwender haben nicht so stark mobilisiert. Von rund 7.000 | |
| Einzelpersonen und Institutionen, die Einwendungen eingereicht haben, | |
| spricht das Umweltministerium. Auf die hohe Zahl von 11.000 kommt man durch | |
| zahlreiche Sammeleinwendungen. Mit bis zu 1.200 anzuhörenden Einwendern, | |
| die sich am Ende tatsächlich auf den Weg nach Lingen machen, hat das | |
| Umweltministerium vorsichtshalber gerechnet. Es sind dann aber doch | |
| deutlich weniger, 143 werden bei den Eingangskontrollen gezählt. | |
| Die Einwender fühlen sich also etwas umstellt und in der Unterzahl, sie | |
| kritisieren außerdem, dass der ANF-Delegation ein Besprechungsraum zur | |
| Verfügung gestellt wurde, den Umweltinitiativen aber nicht. Es entspinnen | |
| sich eine Reihe von Gefechten um die Tagesordnung und Fragen der | |
| Befangenheit. Es dauert, bis man zu den inhaltlichen Fragen kommt, bei | |
| denen es wirklich spannend wird. | |
| Eigentlich hatte das Umweltministerium eine Tagesordnung geplant, bei der | |
| zunächst ANF seinen Antrag begründet und dann einzelne Aspekte und Bedenken | |
| – von der Sicherheitspolitik über die Außenwirtschaft bis hin zur | |
| Produktionssicherheit und Umweltfolgen – durchdiskutiert werden sollten. | |
| ## ANF-Vertreter versuchen, sich vor Antworten zu drücken | |
| Die Versammlungsleitung hat dann allerdings Mühe, diese Struktur auch | |
| durchzusetzen, weil bereits in den Nachfragen zum Vortrag der ANF alle | |
| Aspekte munter durcheinandergewürfelt werden. Das reicht von | |
| grundsätzlichen Bedenken zur Atomkraft über Fragen nach technischen Details | |
| bis hin zur Geschäftspolitik des Konzerns. | |
| Bemerkenswert ist vor allem, wo die ANF-Vertreter versuchen, sich vor | |
| Antworten zu drücken. Das betrifft zum einen die Frage, wann und wie diese | |
| Kooperation mit Rosatom überhaupt zustande gekommen ist. ANF argumentiert | |
| gern, gerade der Ukraine-Krieg habe ja die Notwendigkeit bewiesen, sich von | |
| russischen Lieferungen unabhängig zu machen – das beträfe vor allem die 19 | |
| Reaktoren russischer Bauart, die in Finnland, Bulgarien, Tschechien und der | |
| Slowakei stünden. | |
| Fraglich bleibt allerdings, welches Interesse Rosatom denn daran hätte. | |
| Gegner des Projektes vermuten, dass Rosatom sich auf diese Art und Weise | |
| eher den Zugriff auf den wegbrechenden osteuropäischen Markt sichern möchte | |
| – oder sich schon einmal auf eine Ausweitung der Sanktionen vorbereitet. | |
| Auf Nachfragen räumt ANF allerdings auch ein, dass die Pläne schon vor dem | |
| Angriffskrieg entstanden, weil es entsprechende Nachfragen von Kunden aus | |
| Osteuropa gab. | |
| Nicht beantworten möchte man an diesem ersten Tag des Erörterungstermins | |
| auch die Frage, ob Alternativen zur Kooperation mit Rosatom geprüft | |
| wurden. Immerhin liefert der US-amerikanische Konzern Westinghouse schon | |
| länger hexagonale Brennelemente. Zu strategischen Entscheidungen des | |
| Mutterkonzerns könne er aber leider keine Auskunft geben, sagt der | |
| ANF-Vertreter. | |
| Auch die Kritik daran, dass das Unternehmen ANF mit der Einrichtung einer | |
| Testanlage in einer Möbelhalle im Gewerbegebiet praktisch schon Fakten | |
| geschaffen hatte, bleibt ein großes Thema. Immerhin hat man dazu russische | |
| Ingenieure anreisen lassen. | |
| ## Sorge vor russischer Sabotage | |
| Die ANF zieht sich in diesem Fall darauf zurück, dass man den russischen | |
| Fachkräften zu keinem Zeitpunkt Zugang zum Werksgelände verschafft habe. | |
| Man habe angesichts des langen Genehmigungsverfahrens eben versucht, sich | |
| auf eine mögliche Genehmigung vorzubereiten. [2][Was mit den Maschinen | |
| geschehen solle, wenn die Genehmigung versagt werde,] müssten die | |
| Joint-Venture-Partner eben dann entscheiden. | |
| Immer wieder kreisen die Fragen in der Emslandhalle darum, weil sich für | |
| viele hier genau daran erhebliche Sicherheitsbedenken anschließen und sie | |
| die Lingener Fabrik als Einfallstor für russische Spionage und Sabotageakte | |
| betrachten. [3][Ähnliche Bedenken hatte auch Niedersachsens Umweltminister | |
| Christian Meyer (Grüne)] immer wieder geäußert. | |
| Dieses Kreisen zieht sich am Ende allerdings so lange hin, dass man schon | |
| für die ersten beiden [4][Tagesordnungspunkte] fünf Stunden braucht. Aber | |
| immerhin hat das Umweltministerium die Emslandhallen für zwei weitere Tage | |
| gemietet. | |
| 20 Nov 2024 | |
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| [1] /Rosatom-im-Emsland/!6022666 | |
| [2] /Russen-in-Brennelementefabrik-im-Emsland/!6020371 | |
| [3] /Brennelementefabrik-in-Lingen/!5979543 | |
| [4] https://atomstadt-lingen.de/files/2024-11-20_ET_BFL_Gliederung_TO.pdf | |
| ## AUTOREN | |
| Nadine Conti | |
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