# taz.de -- Angriff auf Freiräume in Berlin: Ein weites Feld | |
> Das Tempelhofer Feld macht in Berlin den Unterschied. Mit einer Bebauung | |
> seines Randes wäre Berlin eine Stadt wie jede andere. Eine Hommage. | |
Bild: Wo Berlin über sich selbst hinauswächst: Das Tempelhofer Feld | |
Was für ein Glück, über sich selbst hinauswachsen zu dürfen. Den Blick bis | |
fast zum Horizont richten, ins Offene gehen, Weite spüren und Demut, weil | |
der Einzelne in dieser Weite sehr schnell sehr klein wird – ganz im | |
Gegensatz zum Echoraum sozialer Medien, da wird er heutzutage rasch zum | |
Gernegroß. Das Tempelhofer Feld ist nicht nur Berlins größter Freiraum, es | |
ist auch ein ganz anderes Sein in der Großstadt. | |
Enge und Reibung sind es, die das Grundrauschen einer Stadt ausmachen. Alle | |
Stadtentwicklung in Berlin drängte in den Jahren nach dem Mauerfall nach | |
dieser Enge und Reibung. Hans Stimmann, der kantige Senatsbaudirektor, | |
klotzte mit seinem Planwerk zur Wiedergewinnung der Innenstadt in den | |
Neunzigern in nahezu jede Baulücke, jede Brache. Die neuen „Urbaniten“, so | |
Stimmann, bräuchten „kein Abstandsgrün“, denn sie flögen ohnehin zweimal… | |
Jahr nach Mallorca. | |
Vom ehemaligen Flughafen Tempelhof hebt kein Flugzeug mehr ab. Die | |
Startbahn wurde zurückerobert, nicht von „Urbaniten“, sondern von Menschen, | |
die einen Ort suchen, wo die Stadt einmal Pause machen, an dem sie Luft | |
holen kann. Einen Ort auch, dem das, was an ihm geschieht, nicht a priori | |
eingeschrieben ist wie im Tiergarten (Spazieren, Radfahren, auf der | |
Liegewiese lümmeln), im Grunewald (Radfahren, Pilze suchen) oder in der | |
Hasenheide (Rumliegen, Kiffen). | |
Vielleicht ist es die Geschichte des Feldes, die dieses andere Sein in der | |
Großstadt erst möglich gemacht hat. Exerzierplatz und Kasernen wie auch ein | |
Flughafen sind das schiere Gegenteil eines Freiraums: bis ins | |
Kleingedruckte festgeschriebene Nutzungen, die keine Abweichung dulden. | |
Gerade der Bruch mit diesem Regelwerk, die Diskontinuität ist es, was die | |
Besonderheit des Feldes ausmacht. Es hält der Stadt damit auch einen | |
Spiegel vor. | |
Denn Berlin hat sich verändert. Enge und Reibung bringen nicht mehr den | |
neugierigen Austausch oder wenigstens das nonchalante Nebeneinander hervor, | |
das allem Planen als Leitbild einer „Berliner Mischung“ zugrunde lag. | |
Berlin hat sich vielmehr entmischt, und der Austausch ist einem Ausfechten | |
gewichen, der die Zentrifugalkräfte befeuert und den Zusammenhalt zu | |
zerreißen droht. Nur für wenige hält Berlin noch ein Versprechen bereit. | |
Umso wichtiger sind Orte, an denen noch immer die Mischung gelebt werden | |
kann. Was im Dorf der Gartenzaun ist, über den hinweg man sich verständigt, | |
ist in Berlin der Bäcker, der Späti, aber auch das Tempelhofer Feld. Seine | |
Weite macht neugierig, lässt die Augen schweifen und die Ohren spitzen. | |
Kein Ort für Monologe ist das Feld, eher einer zum Zuhören. | |
Andere Metropolen wären froh, einen solchen Ort der Freiheit zu haben. Der | |
schwarz-rote Senat aber, der angesichts der Berliner Dysfunktionalitäten | |
allen Grund hätte, kleinlaut zu sein, schreibt nun einen Ideenwettbewerb | |
aus. Obwohl zwei Dialogwerkstätten ein Stoppschild verhängt haben, will die | |
Landesregierung mit dem Kopf, oder soll man sagen kopflos?, durch die Wand. | |
Damit wäre auch noch der letzte Ort abgeräumt, an dem es ungeordnet zugeht. | |
Denn nichts anderes verbirgt sich hinter Begriffen wie Randbebauung oder | |
Ideenwettbewerb: Die Einhegung eines Freiraums, der dort, wo die Stadt noch | |
Luft holen kann, zur Atemnot führen könnte und am Ende womöglich zur | |
Schnappatmung. | |
So wie das Feld heute Berlin den Spiegel vorhält, würde eine Bebauung ein | |
Feld spiegeln, in dem jede Bewegung und jede Umarmung, erst recht jeder | |
Lärm unter Beobachtung und unter Verdacht stünden. | |
Das wäre das Gegenteil von Freiheit. Berlin würde nicht mehr über sich | |
hinauswachsen, sondern auf das zusammenschrumpfen, was es an vielen Ecken | |
und Enden schon ist – eine normale und nur noch in Ausnahmefällen nicht | |
langweilige Stadt. Denn das Feld ist nicht nur weit, es macht den | |
Unterschied. | |
Noch. | |
13 Nov 2024 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
## TAGS | |
Tempelhofer Feld | |
Schwarz-rote Koalition in Berlin | |
Freiräume | |
Tempelhofer Feld | |
Tempelhofer Feld | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Schwerpunkt Volksentscheid Tempelhofer Feld | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Tempelhofer Feld | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ideenwettbewerb Tempelhofer Feld: Stoisch in den Untergang | |
Der Senat gib 3 Millionen Euro für einen verkorksten Ideenwettbewerb für | |
eine Bebauung des Tempelhofer Feld aus. Nun trat die Jury erstmals | |
zusammen. | |
Tempelhofer Feld in Berlin: Einmischung von ganz oben | |
Auch Friedrich Merz und Olaf Scholz wollen auf dem Tempelhofer Feld bauen. | |
Ist da eine Vorentscheidung gefallen? Auch eine Trotzreaktion ist denkbar. | |
Ideenwettbewerb Tempelhofer Feld: Misstrauen ist angebracht | |
Die leere Weite in der Mitte Berlins weckt, so unbebaut, wieder mal | |
Begehrlichkeiten. Gerade ist ein Ideenwettbewerb zum Tempelhofer Feld | |
gestartet. | |
Was es alles für Einfälle zum Feld gab: Kein Wald, kein Berg, kein See, keine… | |
Der Senat hat schon früher Ideenwettbewerbe fürs Tempelhofer Feld | |
ausgeschrieben. Es gab schon einige große Ideen. Woraus alles nichts | |
geworden ist. | |
Scheindemokratische Farce: Ignoriertes Bürger*innenvotum | |
Auch die zweite Dialogwerkstatt zur Randbebauung des Tempelhofer Felds | |
lehnt das Vorhaben des Senats deutlich ab. Das wird aber auch nicht nützen. | |
Dialogwerkstatt zum Tempelhofer Feld: Mehrheit gegen Randbebauung | |
Das Votum der Dialogwerkstatt ist eindeutig: Die Mehrheit ist gegen die | |
Randbebauung des Tempelhofer Felds. Die Koalition bleibt bei ihren Plänen. |