# taz.de -- Deutsche Wohnen: Wenn es windet, wackeln die Lampen | |
> Seit die Deutsche Wohnen die Verwaltung eines Hauses in Reinickendorf | |
> übernommen hat, gerät es in den kalkulierten Verfall. Bewohnerinnen | |
> berichten. | |
Bild: Ausblick auf das Zwillingshochhaus der Blunckstraße 10 und über den Nor… | |
Berlin taz | Nasrin Parsa lehnt am Geländer ihres Balkons und blickt auf | |
die sich allmählich gelb färbenden Baumkronen hinab. Ihre Wohnung im | |
zwölften Stock der Blunckstraße 10 im Bezirk Reinickendorf eröffnet ihr | |
einen Blick auf den Norden Berlins und bis ins weite Umland. | |
„Einfach war es hier noch nie“, sagt sie mit fast gleichmütiger Stimme. | |
Doch inzwischen sei das Leben in dem Mietshaus unerträglich geworden. | |
Seitdem das Immobilienunternehmen Deutsche Wohnen 2023 die GSW-Immobilien | |
AG abgelöst hat und die Verwaltung übernommen hat, hätten sich die | |
Wohnbedingungen rapide verschlechtert, erklärt Parsa. | |
Parsa ist Exilantin aus dem Iran. In Frankfurt am Main studierte sie | |
Soziologie, dann kam sie nach Berlin, wo sie heute als Publizistin und | |
Filmregisseurin arbeitet. In den letzten Jahren hat sie viel Geld in die | |
Renovierung ihrer Wohnung investiert und sich ein freundliches Zuhause | |
geschaffen. Ihr Wohnzimmer zieren zwei Perserteppiche, von der Decke hängt | |
ein Glasperlenleuchter, ein großer Schreibtisch steht vor einem Fenster, | |
durch das das Licht den Raum flutet. | |
Heute haben sich fünf Frauen aus der Nachbarschaft bei Parsa versammelt. Es | |
gibt Kaffee und Gebäck, doch nach einer gemütlichen Kaffeerunde ist | |
niemandem zumute. Die Nachbarinnen diskutieren über den Zustand des Hauses, | |
in dem sie seit vielen Jahren leben und das ihnen längst kein Gefühl der | |
Sicherheit mehr bietet. Ihre Namen wollen sie nicht nennen, um ihre | |
Anonymität vor dem Vermieter zu schützen. | |
## Die Zustände haben sich stetig verschlechtert | |
Die meisten der Frauen sind Migrantinnen, haben die deutsche | |
Staatsbürgerschaft und leben seit 25 bis 40 Jahren in Deutschland. Eine von | |
ihnen ist gebürtige Berlinerin, eine andere stammt aus dem Irak. Zwei sind, | |
ebenso wie Parsa, aus dem Iran. Eine von ihnen ist heute mit ihrer Tochter | |
hier. Die junge Zahnärztin wohnt noch bei ihren Eltern und hat von klein | |
auf miterlebt, wie sich die [1][Situation in der Blunckstraße 10 stetig | |
verschlechtert hat]. „Vor 15 Jahren hat man sich noch an die Regeln | |
gehalten“, sagt ihre Mutter und fragt vorwurfsvoll: „Warum gibt es die | |
heute nicht mehr?“ | |
Das Hochhaus bietet Platz für knapp 50 Mietparteien: Auf zwölf Etagen | |
verteilen sich jeweils acht Wohnungen mit ein bis vier Zimmern. Die Frauen | |
erzählen von kalten Wohnungen, undichten Fenstern, zertrümmerten Glastüren, | |
verdreckten Fluren und Einbrüchen im Keller. Auch Drogenexzesse im | |
Treppenhaus und Belästigungen durch einen Mitbewohner gehören zum Alltag | |
der Bewohnerinnen und ihrer Familien. Neuerdings, so berichtet eine von | |
ihnen, verkaufe ein gerade erst eingezogener Mieter hinter dem Haus Autos | |
und Motorräder. | |
Vor allem für die Kinder ist die Situation belastend. Sie sind | |
eingeschüchtert von den nächtlichen Schreien, die durch die Gänge hallen. | |
Die Hausmeisterin habe bei der Verwaltung „dringenden Bedarf nach | |
nächtlicher Sicherheit“ angemeldet, erzählt Parsa. Doch Securitys würden | |
aus Kostengründen abgelehnt. Der Pressesprecher der Deutsche Wohnen, | |
Christoph Metzner, bezog auf eine Anfrage der taz Stellung: „Verstöße gegen | |
die Hausordnung werden von uns verfolgt und mietrechtlich geahndet.“ Die | |
der Deutsche Wohnen bekannten Verursacher seien von dem Unternehmen | |
angeschrieben worden, versichert Metzner weiter. | |
## Die Geschichten der Bewohnerinnen erinnern an Sidos „Block“ | |
Das 1966 erbaute Hochhaus liegt im Ortsteil Wittenau, der an das Märkische | |
Viertel, das in Szenenkreisen als „MV“ abgekürzt wird, angrenzt. 2004 | |
machte der Rapper Sido das „MV“ mit seinem Song „Mein Block“ über die | |
Stadtgrenzen hinaus bekannt, in dem er von Armut, Gangs und Dealern | |
erzählte. | |
Daran erinnert in der Blunckstraße auf den ersten Blick nichts. Die | |
Wohngegend wirkt ruhig. Mehrfamilienhäuser sind in luftiger Zeilenbauweise | |
angeordnet, dazwischen Grünflächen. Doch wer die Nummer 10 betritt und die | |
Geschichten der Bewohnerinnen hört, fühlt sich unweigerlich an Sidos | |
„Block“ im Märkischen Viertel erinnert. | |
Zentraler Schauplatz des Geschehens ist der Aufzug. Hier verdichten sich | |
das Entsetzen und die Not der Bewohner auf anderthalb Quadratmetern. | |
Eigentlich gibt es zwei, doch seit Monaten sei nur noch ein Aufzug in | |
Betrieb, berichtet eine der Nachbarinnen. Und auch der bleibe regelmäßig | |
stecken: „Eine Bewohnerin mit Gehhilfe musste neulich vier Stunden im | |
Aufzug ausharren, bevor sie befreit wurde“, erzählt eine der Frauen. Dann | |
fährt sie fort: Ihr elfjähriger Sohn sei letzte Woche im Aufzug von einem | |
betrunkenen Hausbewohner am Arm gepackt worden. Der Mann würde schon seit | |
Jahren aggressiv in Erscheinung treten; er brülle Nachbarn und Haustiere | |
an. Letzte Woche sei er das erste Mal handgreiflich geworden, berichtet sie | |
besorgt. | |
Eine andere Bewohnerin ergänzt, der Betrunkene hinterlasse fast täglich | |
Urin im Aufzug. Vor wenigen Tagen habe er die Fahrstuhlknöpfe mit Kot | |
beschmiert. Parsa erläutert, der Mann habe einen Betreuer, der immer wieder | |
nach ihm schaue. Doch eigentlich könne er nicht allein leben, ist sie sich | |
sicher. Sie und ihre Nachbarinnen fürchten, die Situation könnte weiter | |
eskalieren, doch die Hausverwaltung nehme ihre Sorgen nicht ernst. | |
Christoph Metzner von Deutsche Wohnen antwortete auf eine Anfrage der taz, | |
dass dem Unternehmen keine Beschwerden über einen Bewohner bekannt seien, | |
der die Mieter belästige. | |
## Vonovia und Deutsche Wohnen stehen wegen mangelhafter Instandhaltung in | |
der Kritik | |
Das Haus in der Blunckstraße befindet sich im Eigentum der GSW-Immobilien | |
AG. Sowohl Deutsche Wohnen als auch die GSW gehören zum Vonovia-Konzern. | |
Das Immobilien-Konglomerat stand in den vergangenen Jahren immer wieder | |
unter scharfer Kritik. Einer der Vorwürfe lautet, durch die | |
marktbeherrschende Stellung könnten die Immobilienriesen die Mieten | |
überproportional erhöhen. Die Folge: Das Mietniveau in Berlin steigt | |
stetig. Zahlreiche Berichte belegen zudem die [2][mangelhafte | |
Instandhaltung der von Vonovia und Deutsche Wohnen verwalteten Immobilien]. | |
Betroffen davon sind Hunderttausende Mieter in Berlin. | |
Vor diesem Hintergrund gründete sich 2018 die Initiative „Deutsche Wohnen & | |
Co enteignen“. Ihr Erfolg: Bei einem [3][Volksbegehren 2021] stimmten 59 | |
Prozent der Berliner Wählerinnen und Wähler dafür, Immobilienkonzerne mit | |
mehr als 3.000 Wohnungen in öffentliches Eigentum zu überführen. Doch der | |
Senat zeigt bislang keine Absichten, das Abstimmungsergebnis umzusetzen und | |
große Immobilienunternehmen zu enteignen. | |
Die Frauen aus der Blunckstraße 10 erleben derweil am eigenen Leib, was es | |
heißt, in einem Haus des Vonovia-Imperiums zu wohnen. So beklagt Parsa das | |
ständige Rattern des defekten Aufzugs, dessen Lärm bis in ihre Wohnung | |
dringt. Seit Monaten warte sie vergeblich auf eine Reparatur. Auch die | |
Heizung bei ihr funktioniere in diesem Jahr nur unzuverlässig, ergänzt sie. | |
Eine vierköpfige Familie, die im zwölften Stockwerk lebt, sei vorübergehend | |
zu den Großeltern gezogen, weil die Kinder in der kalten Wohnung froren. | |
Christoph Metzner von Deutsche Wohnen antwortete auf taz-Anfrage, dass die | |
Heizungen in den oberen beiden Stockwerken ausgefallen seien. Den Mietern | |
seien kostenfreie Radiatoren angeboten worden, bis der Schaden behoben ist. | |
Eine der Nachbarinnen berichtet zudem, dass die Fenster in ihrer Wohnung | |
undicht seien. Bei Wind wackelten die Lampen an ihrer Decke. Die | |
Hausverwaltung habe ihr lediglich nahegelegt, Silikon aufzutragen, um das | |
Problem zu beheben. Eine andere Bewohnerin beschwert sich, ein Schaden in | |
ihrem Badezimmer sei schon mehrmals inspiziert und dokumentiert, | |
schlussendlich aber nie repariert worden. Sie sagt, die Dokumentation falle | |
bei der Hausverwaltung nach drei Monaten aus dem System: „Bis dahin fühlt | |
sich aber niemand zuständig“, deshalb müsse sie den Schaden immer wieder | |
neu melden. | |
## Bewohnerinnen wollen Unterstützung | |
Die Mängelliste in der Blunckstraße 10 scheint aus Sicht der Bewohnerinnen | |
endlos zu sein. Parsa berichtet, dass sie diesbezüglich täglich mehrere | |
Telefonate führt. Auf ihrer Anrufliste stehen das Bezirksamt, die | |
Hausverwaltung, die Hausmeisterin und diverse Handwerksfirmen. Selbst die | |
Bauaufsicht habe sie bereits eingeschaltet – bisher jedoch ohne Erfolg. | |
Metzner antwortete für die Deutsche Wohnen, der Service des Unternehmens | |
für seine Mieter sei werktags bis 18 Uhr und „in Notfällen sogar an sieben | |
Tagen in der Woche rund um die Uhr“ verfügbar. Parsa und ihre Nachbarinnen | |
haben eine andere Wahrnehmung: nach 30 Minuten in der Warteschlange breche | |
am Telefon regelmäßig die Verbindung ab, beklagen die sechs Frauen.Eine | |
weitere Bewohnerin berichtet, sie habe in den letzten Jahren mehrere | |
Mieterhöhungen erhalten. Dafür erwarte sie auch einen entsprechenden | |
Service und die Erreichbarkeit der Hausverwaltung. Parsa stimmt zu: „Die | |
Hausverwaltung arbeitet, wenn überhaupt, dekorativ, um anschließend die | |
Miete erhöhen zu können.“ Die Wohnkosten stünden in keinem Verhältnis zum | |
schlechten Zustand des Hauses und den vielen Versäumnissen der | |
Hausverwaltung. | |
2023 erhielten die Mieterinnen indes erstmals Nachzahlungen für ihre | |
Heizkosten. Sie berichten von Beträgen zwischen 300 und 1.800 Euro, die sie | |
für den Winter 2022 nachzahlen sollten. Die Berechnung sei pauschal | |
erfolgt. Die Hausverwaltung behaupte, dass ihr die ausgelesenen | |
Verbrauchsdaten verloren gegangen seien, erklärt eine der Nachbarinnen. Sie | |
möchte gegen die Nachzahlung vorgehen, doch seit Monaten finde sie keinen | |
Anwalt, der den Fall übernehme. Auf Anfrage der taz antwortete Metzner von | |
Deutsche Wohnen: „Aufgrund noch nicht vorliegender Ablesewerte […] erfolgte | |
die Abrechnung für das Jahr 2022 nach Fläche.“ Gemäß Heizkostenverordnung | |
sei dies möglich, sagte er. | |
## Wegen Heizkostenabrechnungen vor Gericht gezogen | |
Doch eine andere Nachbarin bezweifelt, dass die Abrechnungen korrekt sind: | |
Ihre Wohnung umfasse 100 Quadratmeter, von denen aber nur 70 Quadratmeter | |
als Heizfläche veranschlagt werden dürften. Die Hausverwaltung habe jedoch | |
die Gesamtwohnfläche pauschal in Rechnung gestellt. Ihr Anwalt habe nun | |
schon drei Mal die Abrechnung angefordert, doch eine Reaktion sei | |
ausgeblieben. Der Fall würde deshalb nun vor Gericht verhandelt, berichtet | |
die Mieterin. | |
Parsa und ihre Nachbarn wollen den Zustand des Hauses nicht akzeptieren. | |
Gemeinsam mit anderen Nachbarn wollen sie sich an die Hausverwaltung | |
wenden, um den Druck zu erhöhen. Denn so wie es jetzt ist, könne es nicht | |
bleiben. So viel ist für die Bewohnerinnen der Blunckstraße klar. Sie | |
erwarten von der Hausverwaltung, dass sie ihrer grundlegenden Verantwortung | |
nachkommt. Dazu gehört die Sauberkeit und Sicherheit des Hauses, die | |
Durchsetzung der Hausordnung und Erreichbarkeit für die Bewohnerinnen. | |
Parsa betont: „Wir wollen bezahlbare und bewohnbare Wohnungen – ein | |
Zuhause, in dem man sich zu Hause fühlen kann.“ | |
31 Oct 2024 | |
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Christoph Mayer | |
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