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# taz.de -- Nach Ausschluss von der ILGA World: Ein sicherer Raum weniger
> Der globale LGBTQ*-Dachverband hat die israelische NGO Aguda suspendiert.
> Für queere Jüdinnen*Juden ist es noch einsamer geworden.
Bild: Für queere Jüdinnen und Juden wird es noch einsamer
Für viele queere Jüdinnen*Juden gibt es nun einen sicheren Raum
weniger. Die ILGA World – der globale Dachverband von queeren
Organisationen, zu dem laut eigenen Angaben [1][2.000 Gruppen aus 170
Ländern zählen] – hat den israelischen Verband Aguda suspendiert.
Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat? Aguda hatte sich
beworben, die jährliche Konferenz der ILGA World 2026 oder 2027 in der
Mittelmeermetropole Tel Aviv zu veranstalten. Darüber sollte bei der
kommenden Konferenz nächste Woche in Südafrika abgestimmt werden.
Um das zu verhindern, wurde der israelische Verband am vergangenen Dienstag
rausgeschmissen. Die ILGA World hat sich sogar entschuldigt, dass Aguda
sich überhaupt bewerben konnte. „Wir wissen, dass die Berücksichtigung der
Bewerbung von Tel Aviv unsere Communitys verärgert und verletzt hat.“
Alleine die Erwägung, über eine mögliche Konferenz in Tel Aviv abzustimmen,
„hätte im Widerspruch zur uneingeschränkten Solidarität mit dem
palästinensischen Volk gestanden“, heißt es weiter.
## Queer und jüdisch
Als Mitbegründer des queer-jüdischen Vereins Keshet Deutschland kenne ich
die Arbeit von Aguda gut. Es braucht queere Selbstorganisation auch
innerhalb der jüdischen Welt. Oft habe ich von Menschen gehört, sie haben
das Gefühl, in der queeren Community nicht jüdisch sein zu können, in der
jüdischen Community nicht queer sein zu können. Und in der
Stadtgesellschaft muss man beide Identitäten verstecken.
Viele jüdische Communitys arbeiten daran, inklusiver zu werden. Vereine wie
Keshet oder Aguda haben großen Anteil an dieser Entwicklung. Denn in ihnen
finden queere Jüdinnen*Juden heraus aus der Einsamkeit. Sie sorgen
dafür, dass Menschen einen Weg finden, sich selbst zu lieben und jüdisch zu
leben – wie auch immer das im Einzelnen aussehen mag.
Aguda vereint dabei auch viele der Widersprüche der israelischen
Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der zwar wichtige Liberalisierungen für
queere Menschen erkämpft wurden, in der aber weiterhin auch
Queerfeindlichkeit existiert, indem queere Menschen beispielsweise immer
noch nicht heiraten können.
Mitglieder der in Teilen extrem rechten Regierung Benjamin Netanjahus
positionieren sich offen queerfeindlich. Und queere Menschen dienen in
[2][extrem religiösen und rechten Gruppierungen weiterhin als Feindbild].
Queere Palästinenser*innen und Afrikaner*innen in Israel stehen
dabei vor besonderen Herausforderungen, sie sind mehrfach von
Diskriminierung betroffen. Aguda unterstützt sie mit Rechtshilfe und
psychologischen Angeboten.
Die jährliche Pride Parade in Tel Aviv ändert die gesellschaftlichen
Verhältnisse nicht, aber sie ist ein machtvolles Zeichen. Dabei ist
internationale Unterstützung sehr wichtig. Während man in der eigenen
Gesellschaft immer wieder gegen Mauern stößt, weiß man doch darum, dass
eine internationale Gemeinschaft hinter einem steht.
## Im Stich gelassen
Doch nun reproduziert die ILGA World die Erfahrung, die queere Menschen
allzu oft machen müssen: die Erfahrung der Isolation. Der Ausschluss von
Aguda wird kein einziges Leben einer Palästinenser*in retten. Aber er
wird etwas anderes erreichen: dass sich queere Menschen in Israel und
queere Jüdinnen*Juden weltweit noch einsamer fühlen.
Denn sie erleben nicht nur, wie der (israelbezogene) Antisemitismus
zunehmend offener und gewaltvoller wird, sie erleben genauso, wie die
extreme Rechte in Europa mit ihrer queerfeindlichen Agenda weiter Gewalt
gegen sie vorbereitet. Dabei verbinden sich oft Antisemitismus und
Queerfeindlichkeit: Eine kleine, verschworene Gruppe zerstöre heimlich und
planvoll die natürliche Ordnung.
Sollte das gemeinsame Bedrohtsein der globalen queeren Community nicht
zusammenschweißen? Eine hehre Annahme, die von der Wirklichkeit zertrümmert
wird. Queere Jüdinnen*Juden und Israelis kämpfen immer noch damit, dass
die queere Welt sie im Stich ließ, nachdem ihre Geschwister [3][beim
Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023] systematisch vergewaltigt,
verstümmelt, verschleppt und verbrannt wurden.
Dieses Gefühl der Einsamkeit ist nichts Neues. Ich muss in diesen Tagen oft
an Primo Levi denken, der 1975 in seinem autobiografischen Roman „Das
periodische System“ festgehalten hatte: Langsam und „verworren brach sich
bei uns der Gedanke Bahn, dass wir allein waren, dass wir keine Verbündeten
hatten, auf die wir zählen konnten, weder im Himmel noch auf Erden, dass
wir die Kraft zum Widerstand in uns selbst finden mussten“.
Nach dem Ausschluss der Aguda sind nun queere jüdische und israelische
Organisationen noch wichtiger geworden, als sie ohnehin schon waren. Die
Kraft müssen wir in uns selbst finden.
3 Nov 2024
## LINKS
[1] /LGBTQ-Gesetzgebung/!5993153
[2] /Pride-Parade-in-Israel/!5934657
[3] /Ein-Jahr-nach-dem-7-Oktober/!6038224
## AUTOREN
Monty Ott
## TAGS
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Antisemitismus
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