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# taz.de -- Neues Stück von She She Pop: Was weiß die Herde über die Wahrheit
> Mit seinem Stück „Bullshit“ grast das Performance-Kollektiv She She Pop
> auf Wiesen vermeintlicher Gewissheiten. Premiere war im Berliner
> Hebbeltheater.
Bild: She She Pop mit ihrem Stück „Bullshit“
Don’t bullshit me – das darf man schon mal sagen, wenn man die Wahrheit
will. Selbstredend ist es die Wahrheit, die She She Pop interessiert, oder
das, was subjektiv dafür wahrgenommen wird. Denn das kann sich
unterscheiden.
Die Berliner Performancegruppe übt sich darum bei ihrer „Bullshit“-Premiere
am Dienstag zunächst in subjektiven Definitionen: Mit Sätzen, die mit „Ich
weiß, dass …“ beginnen, improvisieren die vier Künstler:innen auf der
HAU-1 -Bühne ihre Wissensgrundlagen über vermeintliche oder echte
Wahrheiten.
Man weiß etwa, dass die Tickets des [1][von den Kulturkürzungen stark
betroffenen freien Theaters] unterschiedlich viel kosten. Oder dass zwei
Menschen im Publikum nebeneinandersitzen, die sich kennen könnten. Oder
dass nicht etwa Leonard Cohen vor einem Mikrofon auf der Bühne hockt und
seinen Song „Everybody knows“ interpretiert, sondern Performer Sebastian.
Dieses „Everybody knows“ gerät zum Mantra des gesamten Stücks – erratis…
und weise, wie Cohen-Refrains sind, bekommt es über den Abend hinweg neue
Bedeutungen zugewiesen: Wissen wirklich alle, worum es geht? Trägt dieses
„Wissen doch alle“ nicht auch das große Komplexitätsproblem unserer Zeit …
sich? Stellt sich Wissen eigentlich für jeden Menschen gleich dar?
## Supersale für immaterielle Dinge
Die Performer:innen treten bei ihren Kurzmonologen in
„Message-Schürzen“ auf – mit Botschaften wie „I do what I can“, „F…
Fall“, oder, kollektiv verständlich, „4,99“. Sozusagen Supersale – es …
der Preis, für den She She Pop immaterielle Dinge zu verkaufen beginnt und
so die Komplexität der Monetarisierung, Finanzierung und Wertschätzung von
Kunst in eine Dauerwerbesendung überführt: Gleich Dorothy und ihren
Kumpels, die sich einst zum Wizard of Oz aufmachte, um von ihm ideelle
Werte wie „Mut“ oder „Gefühl“ zu bekommen, kann man im HAU 1 für die …
fünf Euro zum Beispiel „Echtheit“ erstehen.
„Ich war immer echt“, stellt Performerin Ilja klar, die unter der Schürze
gar nichts trägt, „ich habe diesen nackten Arsch auf dieser Bühne hundert
Mal gezeigt. Kann jemand anders meine Echtheit jetzt vielleicht besser
brauchen?“ Eine Besucherin schlägt zu, um, wie sie sagt, den Einkauf „in
die Vitrine zu stellen“. Performerin Lisa verkauft „den roten Faden“,
Performerin Mieke jenen Sitzplatz im Saal, von dem aus man alles auf der
Bühne am besten sieht: Die „Zentralperspektive“ kostet ebenfalls 4,99, was
sonst, und geht weg wie warme Semmeln.
Die Interaktion zwischen der vielfach prämierten Truppe und den
Spendierhosen tragenden Gästen funktioniert hervorragend. Und ein kleiner
Geldbaum, gleichsam der fünfte Performer, schüttelt sich glücklich bei
jeder Transaktion und singt blechern „Feeling Good“.
## Gespräche mit Schaf und Biber
Doch She She Pop untersuchen das Immaterielle weiter: Wäre es nicht schön,
der Welt komplett neu zu begegnen, sinniert die Gruppe – und präsentiert in
einer Bühnenminiatur dialogische Begegnungen mit Tieren. Gespräche mit
einem Biber (über gemeinsames Dämmebauen), einer sonoren Wanze (über das
geduldige Blutsaugen) und einem Schaf werden auf eine Leinwand übertragen –
und es stellt sich das ein, was bei Tierdialogen, egal ob „Karneval der
Tiere“, „Schweinchen Babe“ oder dem Aardman-Animationsfilm „Creature
Comforts“ mit dem Löwen, der seinen „Space“ vermisst, stets passiert: Man
hört nicht nur zu, man meint auch noch, sie zu verstehen. Anthromorphismus
hin oder her.
„Was habt ihr eigentlich gegen Herden“, philosophiert beziehungsweise blökt
Schäfchen Schlau schließlich gegenüber der Performerin – und stellt das
Prinzip des egoistischen Individualismus infrage. Dass es am
Herdenverhalten von Menschen genauso viel auszusetzen gibt, wird dann in
der nächsten, bestimmt ebenso großartigen Vorstellung eruiert.
31 Oct 2024
## LINKS
[1] /Kuerzungen-im-Bundeshaushalt-2025/!6033780
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Theater
Premiere
She She Pop
Performance
Social-Auswahl
Bühne
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Freie Szene
Theater Berlin
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