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# taz.de -- Kunst gegen Frauenverachtung: „Wir wollen Momente der Unentrinnba…
> Die Künstlerin Sarah Held bekämpft das Patriarchat mit Performances und
> Handarbeit. Ein Gespräch über Aktionskunst, Femizide und rechtes Denken.
Bild: Sarah Held macht mit ihrer Kunst sexualisierte Gewalt und Femizide im öf…
taz: Frau Held, gemeinsam [1][mit Ihrem Kollektiv „Aufstand der
Schwestern“] machen Sie sexualisierte Gewalt [2][und Femizide] –
geschlechtsspezifische Tötungen von Frauen, etwa durch ihre Ex-Partner – im
öffentlichen Raum sichtbar. Welche Rolle spielen traditionelle
Handarbeitstechniken wie Sticken oder Stricken dabei?
Sarah Held: Wir beschränken uns nicht auf bestimmte Handarbeitspraxen, aber
verschiedene Stoffe und ihre Verarbeitung spielen in unseren Performances
eine tragende Rolle. Wir machen Kostümbild und Requisiten selbst und
verwenden textile Materialien für unsere Aktionskunst.
taz: Wie sieht Ihre Aktionskunst konkret aus?
Held: Bei unserer ersten Performance „Pinker Kreuzzug gegen Femizide“ haben
wir beispielsweise ein riesiges pinkes Holzkreuz zu zweit durch Wien
getragen, gefolgt von einer schwarz gekleideten Trauergemeinde. Vor dem
Parlament haben wir eine Soundcollage mit eingesprochenen Todeszeitpunkten
der ermordeten Frauen und Samples aus problematischen Medienaussagen über
Femizide abgespielt.
Zu jedem Femizid haben wir große Dachnägel ins Kreuz geschlagen. Auch haben
wir an unserem Wohnort Wien Geländer, Fußballkäfige und Zäune an besonders
befahrenen Straßen oder viel besuchten Orten mit pinkem Stoff umspannt. Die
Schriftzüge, die dort entstanden sind, zählen die Femizide in Österreich.
taz: Sie arbeiten viel mit Stoffen im öffentlichen Raum, wollen aber mit
Bewegungen wie dem Yarn Bombing [3][oder Guerilla Knitting] nichts zu tun
haben. Wieso?
Held: Weil Yarn Bombing eher einem Dekorationsbedürfnis folgt, als
gesellschaftliche Probleme wirklich zu thematisieren. Statt spießiger
Klorollen zu Hause wird jetzt halt die Straßenlaterne mit Strick umwickelt,
um den kalten öffentlichen Raum nett und gemütlich zu machen. Wir nutzen
Kunst als Widerstandspraxis. Uns geht es darum, Momente der
Unentrinnbarkeit zu schaffen, also Momente, denen Menschen sich nur schwer
entziehen können.
Die Wut, die ich auf sexistische, rassistische und faschistische
gesellschaftliche Verhältnisse habe, kann ich in unseren Performances
bündeln. Wir wollen feministische Wut ungehemmt ausleben können, andere
mitreißen und uns damit selbst ermächtigen. Das tut gut.
taz: Sie beschäftigen sich nicht nur aus künstlerischer, sondern auch aus
wissenschaftlicher Perspektive mit dem Thema. Ihre Doktorarbeit schrieben
Sie über die „Materialität des feministischen Widerstands“. Wie sieht die
aus?
Held: In meiner Dissertation habe ich mich stark auf Widerstandspraxen
durch feministisch-aktivistisches Crafting fokussiert. Die Kollektive, die
ich untersucht habe, wollen [4][Betroffene sexualisierter Gewalt] sichtbar
machen, sie gehen aber noch darüber hinaus. Auch hier geht es um das Gefühl
der Selbstermächtigung, das ich eben schon erwähnt habe.
In den Kultur- und Sozialwissenschaften verwenden wir auch den Begriff
agency, auf deutsch Handlungsmacht. Das bedeutet, auf gegebene Umstände
nicht nur zu reagieren, sondern auf sich selbst und andere durch bestimmte
Aktionen tatsächlich [5][Einfluss nehmen zu können].
taz: Inwiefern kann Kunst bestimmte gesellschaftliche Machtverhältnisse
verändern? Können Sie Beispiele nennen?
Held: Ich habe das „Monument Quilt Projekt“ aus den USA untersucht. Hier
wird die traditionelle Handwerkskunst des Quiltens für politische
Botschaften von Betroffenen sexualisierter Gewalt benutzt. Quilten
bedeutet, mehrere Stoffschichten zusammenzunähen und daraus
überdimensionierte Bilddecken herzustellen. Die werden dann im öffentlichen
Raum ausgelegt, um Räume für Heilung zu schaffen und Betroffene zu
supporten. In Chile habe ich mich zum Beispiel mit der queeren
Männerstrickgruppe Hombres Tejedores getroffen.
Sie wollen das machistische Männerbild von harten Dudes konterkarieren.
Viele der Männer arbeiten auch im Bildungsbereich und geben ihr Wissen an
ihre Schüler weiter. Das finde ich eine tolle Form einer progressiven,
zeitgenössischen Männlichkeit und ganz im feministischen Leitspruch educate
your sons. Sozialisation spielt eine große Rolle beim Überwinden von
Traditionalismus und Konservatismus.
taz: Speaking of Konservatismus: Seit einiger Zeit trenden auf Instagram
und Tiktok Videos sogenannter Tradwives – kurz für Traditional Wives – und
Stay-at-home Girlfriends. Sie [6][präsentieren ein konservatives
Familienbild], bei dem die Frau zu Hause bleibt, kocht, den Haushalt macht
und eben auch klassische Handarbeitstechniken besetzt. Müssen wir einen
Backlash zum Heimchen am Herd befürchten?
Held: Die Tradwives sind nur eine Social-Media-Fortsetzung von einem
Phänomen, das ich und andere Wissenschaftler:innen schon in den
Nullerjahren beobachtet haben. Damals hieß das New Domesticity. Ich halte
diese Trends, egal wie sie gerade genannt werden, für sehr gefährlich. Die
Tradwives verfolgen klassische faschistische Ideen von Heimat und
Geschlechterrollen, sehen Frauen ausschließlich als Kinderversorgerin,
Haushälterin und Köchin und romantisieren Care-Arbeit. In einer Welt, die
immer weiter in den Rechtsextremismus kippt, passt das natürlich super ins
Narrativ und wird auch politisch befördert.
taz: Sie leben in einem Land, in dem eine offen rechtspopulistische Partei
die Parlamentswahlen gewonnen hat. Gleichzeitig ist in Österreich von einer
„eklatant hohen Femizidzahl“ die Rede.
Held: Je verbreiteter rechte und auch konservative Einstellungen sind,
desto gefährlicher wird die [7][Lebenssituation von Frauen] und queeren
Menschen. Die Politik, aber auch Medien- und Kulturproduktionen tragen zu
stereotypen sexistischen Geschlechterbildern bei.
Das sind keine Alleinstellungsmerkmale für Österreich, das ist leider
internationale Praxis. Hierzulande gibt es nur eine starke Konzentration,
auch wegen der geografischen Lage: Österreich ist durchzogen von Bergen und
Tälern und viele Orte waren und sind bis heute immer noch recht isoliert.
Mancherorts werden Frauen mit einer sogenannten Herdprämie – ja, die nennen
das wirklich so – dafür bezahlt, zu Hause zu bleiben.
taz: Wie reagieren Sie auf den Wahlsieg der FPÖ, sind da schon Aktionen
geplant?
Held: Es ist eine Mischung aus erfüllter Erwartungsbefürchtung und dem
Gefühl, gegen eine Wand zu laufen. In Österreich regieren rechte und
rechtsextreme Parteien schon sehr lange mit, ich bin sehr pessimistisch,
was die kommende Legislaturperiode angeht. Mit dem „Aufstand der
Schwestern“ planen wir dazu auch Störungsaktionen. An der Akademie der
bildenden Künste in Wien co-leite ich in diesem Semester ein
Forschungsprojekt zu Mode und Rechtsextremismus. Es bleibt auf allen Ebenen
widerständig!
10 Nov 2024
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## AUTOREN
Katharina Federl
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