# taz.de -- Neue Streetart: Urban Knitting: Wenn die Laterne lila Strümpfe tr�… | |
> Urban Knitter bestricken Parkschilder, Telefonzellen und Statuen - damit | |
> die Städte freundlicher und bunter werden. Der Trend wurde 2005 von einer | |
> Texanerin erfunden. | |
Bild: Stricken macht jetzt Straßen und Plätze schöner. | |
Riesige Dildos, bunte Handschellen und die Gleitcreme "Flutschi, das | |
Original" werben im Schaufenster der Sexothek in Berlin-Neukölln um | |
Besucher. Davor steht Emmanuelle Barrère, in einen dunklen Mantel gehüllt, | |
und sieht sich enttäuscht um. In einer Hand hält sie eine Stricknadel, in | |
der anderen ein Stück Gestricktes, das aussieht wie ein Fetzen aus einem | |
Strickpullover. Es ist etwa so groß wie eine Einkaufstasche, rot, darauf | |
sind rosa Herzen und fünf große Buchstaben: Liebe. Barrère wollte ihr | |
Kunstwerk direkt vor dem Sexshop anbringen, an einer Straßenlampe. Nun ist | |
da aber gar keine Lampe vor dem Laden, sondern nur ein Parkverbot-Schild - | |
der Pfosten ist zu schmal, um ihn mit dem Strick zu verhüllen. | |
Planänderung. Ein paar Meter weiter findet Barrère eine geeignete Lampe an | |
der befahrenen Straße. Vor einem Brautmodenladen. "Was solls", sagt sie. | |
Sie reißt die alten Poster an der Lampe weg, legt den Strickfetzen herum | |
und verknotet ihn mit Wollfäden. Dann verknüpft sie das Hinterteil ihres | |
Straßenstricks wie ein Mieder, näht rechts, links, rechts, links. Mehr als | |
fünf Minuten braucht Barrère nie, um ihre Kunstwerke zu befestigen. | |
Urban Knitting oder Guerilla Knitting nennt sich die Straßenkunst, die | |
Barrère betreibt. Die Texanerin Magda Sayeg gilt als ihre Erfinderin. Sie | |
begann 2005, mit ein paar Freundinnen unfertige Strickereien über | |
Parkuhren, Straßenschilder und Wegpfosten zu stülpen. Sayeg wollte damit | |
dem Großstadtgrau ein paar Farbtupfer verleihen, gegen die | |
hochtechnologisierte Betonwelt anstricken. Mittlerweile ist die gestrickte | |
Verschönerung in vielen Städten der USA, Großbritannien, Frankreich und | |
Schweden zu sehen. Guerilla Knitter bestricken Telefonhäuschen, Bäume, | |
Wasserleitungen, sie stricken Statuen neue Gesichter, versehen sie mit | |
gestrickten Brüsten oder langen Strümpfen. | |
Es ist bereits dunkel an dem kalten Wintertag in Berlin. Um ihre flauschige | |
Straßenkunst anzubringen, geht Barrère nachts los. Auch wenn sie nicht wie | |
Graffitisprüher mit Strafen und Schadenersatzklagen rechnen muss, wenn man | |
sie erwischt. Schließlich beschädigen ihre Strickereien keine Hauswände | |
oder Zigarettenautomaten. Doch die Fragen der Passanten nerven sie. Sie | |
will nicht jedes Mal erklären, was sie hier tut und warum. | |
Barrère ist 31 Jahre alt, in Frankreich geboren. Vor einem Jahr kam sie von | |
Paris nach Berlin - und brachte ihre Leidenschaft zum Stadtbestricken mit. | |
Jetzt, auf der Straße, zupft sie den Lampenrollkragen noch einmal zurecht, | |
streicht über die Wolle. Dann zieht sie ihr iPhone aus der Tasche und | |
knipst. "Ein Foto mache ich von jedem Knitting", sagt Barrère. An die | |
hundert Strickbilder hat sie schon gesammelt. Mit diesen Bildern tauschen | |
sich die Guerilla-Stricker weltweit aus. Auch Magda Sayeg stellte Bilder | |
ihrer Strickwerke ins Netz, durch sie entdeckte auch Barrère die neue | |
Straßenkunst. | |
Das Liebesstricken ist Teil einer Aktion von Barrères Crew "Collectif | |
France Tricot". Die fünf Mitglieder verteilen in ihren Heimatstädten Paris, | |
Lyon und Berlin Strickereien in den Straßen, die an die Liebe erinnern | |
sollen. Am Valentinstag wollen sie die Fotos in ihrem Blog und auf Facebook | |
posten. "Der Valentinstag ist romantisch, er wird aber manchmal zu sehr | |
versüßlicht", sagt Barrère. Darum wollte sie ihr Strickwerk auch unbedingt | |
vor einem Sexshop platzieren. "Ich mag es, Dreckiges und Unschuldiges zu | |
kombinieren", sagt sie. Genau das ist für sie auch die Idee des Urban | |
Knitting. | |
Ihre letzte Aktion nannte die Gruppe "Knit your street in yellow." Sie | |
forderten ihre Facebook- und Blog-Anhänger auf, etwas gelb Gestricktes in | |
ihrer Straße anzubringen und die Fotos davon zu posten. Mehr als 30 | |
Stricker in Frankreich und Deutschland beteiligten sich. Den besten drei | |
Künstlern schickten Barrère und ihre Kollegen Medaillen in Gold, Silber und | |
Bronze - gestrickt natürlich. | |
Obwohl Barrère Passanten aus dem Weg geht, mag sie deren Reaktion auf ihre | |
Werke. "Die Leute lächeln, wenn sie ein Knitting sehen, das ist toll." | |
Strickwerke geben den Straßen etwas Warmes, Freundliches, meint sie. Etwas, | |
das es dort sonst nicht gibt. | |
Barrère ist eigentlich Schneiderin, sie hat ihr eigenes kleines Modelabel | |
gegründet. Von dem, was sie als Strickdesignerin verdient, kann sie sogar | |
leben. Barrère strickt Geldbeutel, Ringe, Schals, Kamerataschen. Sie nimmt | |
knallige Wolle, nie graue und nur selten schwarze oder weiße. Mit acht | |
Jahren hat Barrère von ihrer Großmutter das Stricken gelernt. Drei Stunden | |
strickt Barrère an einem ihrer Kunstwerke. Mit dem Straßenstricken will sie | |
auch die Menschen daran erinnern, Dinge selber zu machen, Schönes in die | |
Welt zu bringen, ohne dabei gleich ans Geldverdienen zu denken. "Es gibt zu | |
viel Ikea und H&M", sagt Barrère, "die Leute sind genervt von dem | |
Einheitskram", meint die Strickerin. Sie glaubt an eine Bewegung zurück zum | |
Selbermachen, zurück zum eigenen Stil. | |
Wenn Barrère nicht für den öffentlichen Raum strickt, trifft sie sich mit | |
anderen Strickbegeisterten zur "StrickenBar". Bis zu 30 Stricker und | |
Strickerinnen treffen sich dabei alle paar Wochen in verschiedenen Kneipen | |
zum kollektiven Stricken, um sich über neue Farben und Styles auszutauschen | |
oder Neulingen die Handarbeit beizubringen. | |
Für die Berliner Straßen haben die Künstler vom "Collectif France Tricot" | |
noch nicht viele Mitstricker gefunden. Barrère entdeckte erst ein einziges | |
Straßenstrick, das nicht von ihnen stammte. Wie auch bei Graffitis suchen | |
Mitstreiter auf einem Werk zuerst nach dem tag, der Unterschrift der | |
Straßenkünstler. Barrères tag ist E-T, für Ema Tricopathe, ihren | |
Künstlernamen. Sie strickt es in fast jedes Werk. Die Ähnlichkeit zum | |
Streetart-Bruder Graffiti findet sich auch im Namen: Die Kunstwerke werden | |
auch knit graffiti genannt - Strick-Graffitis. | |
Anders als bei Graffitis sind Barrères Fotos manchmal schon am nächsten | |
Morgen der einzige Beweis für ihre Straßenkunst. So einfach wie die | |
Strickereien anzubringen sind, so leicht können Passanten sie auch wieder | |
herunternehmen. "Manchmal bleiben die Sachen nur ein paar Stunden", sagt | |
Barrère. Manchmal überleben sie aber auch länger, so wie ihr ältestes | |
Straßenstrick am Berliner Hermannplatz. Die Straßenlampe vor dem Dunkin | |
Donuts trägt dort seit einem Jahr einen lila Strumpf. Na ja, ehemals lila. | |
Mittlerweile ist das Strick bräunlich, am Fuß klebt Hundescheiße. | |
Für den Valentinstag will Barrère ein neues Stück stricken, eines, das | |
schmal genug ist für das Parkverbot-Schild vor dem Sexshop. | |
12 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Maria Rossbauer | |
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