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# taz.de -- Filmporträt über John Cranko: Der Choreograf, der weint
> „Cranko“ zeichnet ein sensibles wie auch schweres Porträt des
> Choreografen John Cranko, der von Stuttgart aus dem Ballett neuen Schwung
> gegeben hat.
Bild: John Cranko (Sam Riley), immer eine Zigarette zwischen den Lippen
Diese dunklen Augen, der Schmerz wohnt gleich unter der Oberfläche. John
Cranko ist ein unglücklicher Mensch in dem Film „Cranko“ des [1][Regisseurs
Joachim A. Lang]. Schon in den ersten Szenen werden wir ins Bild gesetzt
über eine abweisende Mutter, weil der Junge mit Puppen spielte. Aus London
wurde der Choreograf vertrieben, als die Presse seine Homosexualität zum
Skandal machte. Dafür konnte man 1960 noch mit Gefängnis bestraft werden.
In Stuttgart bleibt er ein unglücklich Liebender. Entweder sind seine
Partner nicht auf Augenhöhe und laufen bald vor der Intellektualität des
Künstlers davon. Oder, als es endlich einmal passt, zerstören die Eltern
des Geliebten die Beziehung. Cranko flüchtet in Alkohol. Zweimal retten ihn
Freunde aus einem Suizidversuch.
Aber der Schmerz, der in ihm pocht, macht ihn in der Filmerzählung von
Joachim A. Lang, der auch das Drehbuch schrieb, eben zu einem Künstler, der
unmittelbare Wege zu den Gefühlen der Zuschauer findet. Wie er den
Tänzerinnen und Tänzern beibringt, ihre Rollen mit Charakteren zu füllen,
die technische Perfektion vergessen zu lassen über der Berührung der Seele,
das ist die eigentliche Geschichte, um die es in diesem Film geht.
Von 1960 bis zu seinem frühen Tod 1973 begleitet ihn der Film durch seine
Jahre in Stuttgart. John Cranko hat dort das Ensemble, die „leftovers aus
der Provinz“, wie er selbst im Film sagt, zu einer weltberühmten Gruppe
gemacht. Der Höhepunkt ist eine Einladung an die Met in New York. Dass sie
dort vom Publikum und der Kritik gefeiert wurden, veränderte die
Ballettwelt. Das Lebendige, oft auch Lustige und Schräge, das Cranko in
alte Handlungsballette brachte, wurde zum Maßstab. Ebenso sein Mut,
existentielle Themen vom Leben und Sterben in Tanz zu übersetzen. Einiges
darüber kann man in diesem chronologisch erzählten Film erfahren.
## Die dünne Linie zwischen Verehrung und Machtmissbrauch
Er ist auch eine Hommage an das Stuttgarter Ballett von heute. Die
Ballettstars der Gegenwart verkörpern nicht nur in den Tanzszenen die
legendären Tänzer:innen, aus denen Cranko seine „Familie“ formte. Elisa
Badenes spielt Marcia Haydée, Primaballerina Crankos, seine vertraute
Freundin und bis 1996 Ballettintendantin in Stuttgart. Jason Railey tanzt
Ray Barra, den Cranko einmal so durch eine Probe hetzt, dass er sich das
Bein bricht. Das ist eine der Szenen, die schon mal erahnen lassen, wie
dünn die Linie zwischen der Verehrung des Künstlers und dessen, was heute
als Machtmissbrauch gesehen wird, auch damals schon war. Rocia Aleman tanzt
Birgit Keil und Friedemann Vogel den deutschen Tänzer Heinz Claus, der von
Cranko im Suff einmal als deutscher verklemmter Spießer beschimpft wird.
Wofür er sich bald reuevoll entschuldigt. Claus tanzt seinen [2][Eugen
Onegin,] einen unglücklich Liebenden, der zu spät seine eigene
Oberflächlichkeit erkennt.
Auch dieses Stück gehörte zu den großen Stuttgarter Erfolgen. Die Musik von
Tschaikowskys Oper galt bis dahin als nicht tanzbar. Viele Filmszenen
zeigen Cranko über den Plattenspieler gebeugt, die Nadel wieder und wieder
zurücksetzend, innere Bilder tauchen als Schatten auf.
Künstler als Schöpfer darzustellen, viele Filme sind daran schon
gescheitert. Der Figur John Crankos, die Sam Riley sehr sympathisch
verkörpert, werden ständig Sätze in den Mund gelegt, mit denen er seine
Kunst erklärt, einem Taxifahrer, einem Liebhaber, dem Ensemble bei Proben.
Immerzu muss er sich gefühlvoll offenbaren. Das nimmt dem Film jede
Leichtigkeit und Beiläufigkeit.
Und wie oft, wenn Kunst und Biografie zusammengeschoben werden, ist die
Verführung groß, ihre Motive zur Deckung zur bringen. Viele wunderbare
Tanzszenen sind eingestreut, auch vor dem Opernhaus in Stuttgart, auf
Terrassen über der Stadt oder im Park. Aber immer dienen sie dazu, Crankos
Gemütslage zu illustrieren. Nie entwickeln sie Eigenständigkeit, nie wird
der erzählenden Kraft des Tanzes, mit der Cranko doch so geschickt
umzugehen wusste, allein vertraut. Das macht „Cranko“ dann leider doch zu
einem zu konventionell komponierten Film.
## Weg von den Klischees der Primaballerina
Als Kind habe ich selbst Ballettunterricht genommen, Ballett auf der Bühne
aber nicht sonderlich gemocht, schon ziemlicher Kitsch, selbst für den
Geschmack einer Zwölfjährigen. Aber dann: Cranko. Nie im Original gesehen,
bloß in einer schwarz-weißen Fernsehaufzeichnung von „Der widerspenstigen
Zähmung“ nach Shakespeare. Wie aufmüpfig, trotzig, frech und komisch Marcia
Haydée da nicht nur die Katharina tanzte, sondern auch alle Klischees einer
Primaballerina durchbrach, gab Hoffnung, aus dieser Kunst sei doch noch was
zu holen.
Zeilen von Shakespeare liegen Cranko oft auf den Lippen in diesem Film. Das
Kunstwollen ist einfach zu übermächtig. Das legt sich noch über die
Ergriffenheit am Ende, wenn sich an Cranko Grab die noch lebenden
Protagonist:innen von damals und die sie verkörpernden
Ensemblemitglieder von heute begegnen, um dem Meister eine Rose aufs Grab
zu legen.
7 Oct 2024
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## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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