| # taz.de -- Drohender Kita-Streik in Berlin: Im Kinderladen gibt es alles | |
| > Bessere Arbeitsbedingungen und mehr Betreuung: Eine Erzieherin erzählt, | |
| > warum sie in eine Eltern-Initiativ-Kindertagesstätte gewechselt ist. | |
| Bild: Die vielen Warnstreiks haben nicht geholfen, jetzt wollen die Erzieher*in… | |
| Berlin taz | Wenige Minuten von der Landsberger Allee entfernt hört man aus | |
| dem Hinterhof eines Wohnblocks helle Stimmen. Die Kinder der | |
| Eltern-Initiativ-Kindertagesstätte (EKT) „Im Känguru“ übertönen beim | |
| Spielen sogar den Verkehrslärm von der Hauptstraße. Als private Einrichtung | |
| ist der „Kinderladen“, wie EKTs auch heißen, von den Streiks nicht | |
| betroffen, über deren Rechtmäßigkeit am Freitag das Landesarbeitsgericht | |
| entscheidet (siehe Kasten). [1][Denn bestreikt werden sollen nur die | |
| landeseigenen Betriebe, etwa zehn Prozent aller 2.900 Kitas], die | |
| allerdings etwa ein Fünftel aller Berliner Kita-Kinder betreuen. | |
| Alexandra Gammrath ist Erzieherin, sie ist im August von einer | |
| Zeitarbeitsfirma, die sie vor allem in große landeseigene Kitas schickte, | |
| in die EKT „Im Känguru“ gewechselt. Grund dafür waren vor allem die | |
| Arbeitsbedingungen und die tägliche Überlastung. „Als Erzieherin in einer | |
| staatlichen Einrichtung würde ich nicht mehr arbeiten“, sagt sie – vielen | |
| Kolleg*innen gehe es ähnlich. | |
| [2][Für viele Eltern ist die „Streiksicherheit“ von EKTs offensichtlich | |
| Grund genug], ihre Kinder in Einrichtungen wie diese zu schicken. Bereits | |
| im August – nachdem Verdi zu Warnstreiks aufrief – kam es in den | |
| Eigenbetrieben zu mehr Abmeldungen als üblich. Die Senatsbildungsverwaltung | |
| glaubt, dass rund 700 Abmeldungen „streikbedingt“ sind, so eine Sprecherin | |
| zur taz. Ob das tatsächlich so ist, lässt sich allerdings nicht nachweisen. | |
| Zumal 700 von insgesamt 33.000 Kindern in landeseigenen Kitas nur einen | |
| Bruchteil darstellen. | |
| Seit April fordert Verdi den Senat zu Tarifverhandlungen über einen | |
| Entlastungsvertrag auf, der einen verbindlichem Personalschlüssel und | |
| individuell einklagbaren Belastungsgrenzen enthalten soll. Der Senat | |
| verweist jedoch auf die Mitgliedschaft in der Tarifgemeinschaft deutscher | |
| Länder, der den einzelnen Bundesländern verbietet, Tarifverträge auf eigene | |
| Faust abzuschließen. Verdi kam dem Senat entgegen und bot an, den Streik | |
| durch eine andere Lösung im Sinne der Beschäftigten, etwa einer | |
| schuldrechtlichen Vereinbarung, abzuwenden. Der Senat blieb zögerlich, | |
| wollte das juristisch prüfen lassen – dann untersagte das Arbeitsgericht | |
| den Streik, wogegen Verdi in Berufung ging. | |
| ## Verdi fordert den Senat zu Tarifverhandlungen | |
| [3][Ein „Erzwingungsstreik“ wäre für die betroffenen Kinder und ihre | |
| Familien natürlich hart]. „Das macht was mit Kindern. Sie brauchen | |
| Stabilität, vorhersehbare Strukturen und Beziehungen“, sagt Nina Hogrebe, | |
| Professorin für Bildung und Erziehung in der Kindheit der TU Dortmund. Das | |
| gelte allerdings nicht nur für Arbeitskämpfe. „Auch aufgrund von | |
| Krankheitsfällen und personellen Engpässen gibt es regelmäßig Notbetreuung, | |
| punktuell keine Betreuung.“ | |
| Mit einer angespannten Personalsituation müssen viele Kitas ständig leben. | |
| Auch wenn gesetzlich geregelte Personalschlüssel offiziell eingehalten | |
| werden, leidet der Betreuungsschlüssel unter Krankheitsfällen. Eine | |
| kürzlich vorgestellte Studie der Bertelsmann-Stiftung kommt zu dem | |
| Ergebnis, dass pädagogische Fachkräfte in Berlin im Vergleich zu allen | |
| anderen Berufsgruppen mit Abstand am häufigsten krankheitsbedingt fehlen. | |
| Diese Berufsgruppe liegt mit 36 Fehltagen ganze 15 Tage vor allen anderen | |
| Berufsgruppen und ist außerdem am stärksten von Burnout bedroht. | |
| Die hohe Anzahl der krankheitsbedingten Fehltage entstehe vor allem durch | |
| die Überlastung der Erzieher*innen, sagt Verdi. Diese müssen häufig auf zu | |
| viele Kinder gleichzeitig aufpassen, ausreichend Zeit für pädagogische | |
| Arbeit bleibt da nicht. Laut dem „Länderreport Frühkindliche | |
| Bildungssysteme“ wurde die Mehrheit der Kinder in Berliner Eigenbetrieben | |
| im vergangenen Jahr mit einem nicht kindergerechten Personalschlüssel | |
| betreut. Das führt zur Überlastung von Erzieher*innen, die dann häufiger | |
| krank werden – ein Teufelskreis. Das kennt auch Erzieherin Gammrath. „Nach | |
| außen hin wurde der Personalschlüssel eingehalten. Wir waren sechs | |
| Erzieher*innen auf 40 Kinder, die Erzieher*innen waren aber nie | |
| alle da. Irgendjemand war immer krank, einige permanent.“ Gammrath hat in | |
| unterschiedlichen stadteigenen Erziehungseinrichtungen gearbeitet, | |
| teilweise mit bis zu 300 Kindern. Die Situation sei überall die gleiche. | |
| „In jeder Kita, egal wie groß sie war, war die Überforderung überall gleich | |
| zu spüren. Viele standen kurz vor dem Burnout.“ | |
| ## Kinderläden gibt es seit den 1970er Jahren | |
| Gammrath arbeitete für eine Zeitarbeitsfirma, weil dort die Bezahlung | |
| besser sei. Zeitarbeiter*innen seien in stadteigenen | |
| Erziehungseinrichtungen keine Seltenheit. „Die ganzen staatlichen Kitas | |
| bauen eigentlich nur noch auf Zeitarbeit“, sagt sie. Genaue Erfassungen zur | |
| Anzahl der Erzieher*innen in Zeitarbeit gibt es nicht, weil diese in | |
| den Personalmeldungen der Eigenbetriebe an das Land Berlin keine eigene | |
| Kategorie darstellen. | |
| Im August fing Gammrath dann „Im Känguru“ an. Unter anderem wegen der | |
| besseren Betreuungsqualität, sagt sie. „Neben den Kolleg*innen hat man | |
| es vor allem an den Kindern gesehen. Hier blühen sie auf, sind kreativ.“ | |
| Sie selbst zogen auch bessere Arbeitsbedingungen, mehr Mitspracherecht und | |
| der höhere Betreuungsschlüssel in die Einrichtung. | |
| EKT sind basisdemokratisch organisiert und auf die Initiative der Eltern | |
| angewiesen. Ihren Ursprung haben die Kinderläden in den 70er Jahren, als | |
| sich Eltern zusammenschlossen und selbst alternative Betreuungskonzepte für | |
| ihre Kinder umsetzten. Bei Problemen wie Personalengpässen springen die | |
| Eltern ein oder finden mit dem Vorstand und dem Dachverband Berliner | |
| Kinder- und Schülerläden (DaKs) andere Lösungen. | |
| Die Anzahl an Berliner Einrichtungen im DaKs sei in den vergangenen 15 | |
| Jahren von 600 auf 1.000 gestiegen, sagt Babette Sperle aus der | |
| Mitgliedervertretung. Sie betreuen 35.000 Kinder, also ähnlich viele wie | |
| die Berliner Eigenbetriebe. „Die Finanzierung ist so wie bei allen anderen | |
| Kitas auch“, erläutert Sperle. „Viele Kitas brauchen Zusatzbeiträge. | |
| Kinderläden auch. Sie bewegen sich meist zwischen 40 bis 80 Euro.“ | |
| Währenddessen spitzt sich die Lage zwischen dem Senat und den | |
| Gewerkschaften mit jedem verhandlungsfreien Tag weiter zu. „Nun ist es am | |
| Senat und den Gewerkschaften, einen unbefristeten Streik zu verhindern“, | |
| sagt Alexander Freier-Winterwerb, Sprecher für Jugend, Kinder und Familien | |
| der SPD-Fraktion. Er befürchtet, dass der Streik tatsächlich eine | |
| Abwanderung von Kindern und Eltern aus den Eigenbetrieben zur Folge haben | |
| könnte. „Das stellt deren Existenz insgesamt infrage.“ | |
| 10 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tim Kemmerling | |
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