| # taz.de -- Grüner Wasserstoff dringend gesucht: Neue Energie aus der alten Ko… | |
| > Deutschland setzt auf Namibia für die Produktion von grünem Wasserstoff. | |
| > Bremen beteiligt sich mit einem sinnvollen Bildungsprojekt. | |
| Bild: Deutsche Blumen im Land der grünen Energie: Wirtschaftsminister Robert H… | |
| Bremen taz | Grüner Wasserstoff wird dringend benötigt, um auch das Bremer | |
| Stahlwerk zukunftsfähig zu machen. In Namibia plant ein deutsch-britisches | |
| Konsortium namens Hyphen eine riesige Anlage, um ihn zu produzieren und in | |
| Ammoniak zu verwandeln – für den Export. Und Bremen kann den Aufbau der | |
| entsprechenden Industrie dort dank des an der Uni angesiedelten Instituts | |
| für Technik und Bildung fördern. Dass es damit zugleich zu „Versöhnung und | |
| Überwindung der Folgen des Kolonialismus im heutigen Namibia“ beiträgt, wie | |
| es im Senatsbeschluss über die Förderung des Projekts „BLP Green Energy | |
| Namibia“ heißt, das klingt besonders schön. | |
| Vielleicht sogar zu schön, um wahr zu sein. Denn die Pläne für grünen | |
| Wasserstoff aus Namibia sind nicht unbedenklich, folgt man der Einschätzung | |
| von Stefanie Baasch und Boniface Mabanza Bambu. Die beiden haben am | |
| Donnerstag auf Einladung des Netzwerks Afrique-Europe-Interact in Bremen | |
| übers Thema „faire Energiewende“ referiert. | |
| Allzu oft werde nämlich die Dekarbonisierung als rein technisches Problem | |
| dargestellt, so die Humangeografin Baasch, die am Artec-Zentrum für | |
| Nachhaltigkeitsforschung an der Bremer Uni arbeitet. „Wenn soziale Fragen | |
| dann nur oberflächlich als kleiner Indikator abgehandelt werden, besteht | |
| die Gefahr, dass existierende Ungleichheitsverhältnisse fortgeschrieben | |
| werden“, so Baasch. | |
| ## Koloniale Kontinuität | |
| Bei den namibischen Waserstoffplänen ist das laut Mabanza Bambu ganz | |
| entschieden der Fall: „Ich sehe die Hyphen-Unternehmung auf jeden Fall in | |
| einer kolonialen Kontinuität“, sagt er der taz. | |
| Der Philosoph und Theologe ist Koordinator der Kirchlichen Arbeitsstelle | |
| Südliches Afrika in Heidelberg. Mit dem Aufbau einer Wasserstoff-Industrie | |
| werde „nicht auf die Bedürfnisse des Landes reagiert, sondern nur auf die | |
| der Industrieländer wie Deutschland“, sagt er. Namibia sei ein großes, dünn | |
| besiedeltes Land mit wenig Industrie. | |
| Zwar kündigt Enertrag, der deutsche Anteilseigner im Hyphen-Konsortium, an, | |
| der von der Wasserstoffindustrie erzeugte Stromüberschuss könne zur | |
| Dekarbonisierung des gesamten namibischen Stromnetzes genutzt werden. Aber | |
| das hält Mabanza Bambu für Augenwischerei. Denn „der Bedarf des ganzen | |
| Landes könnte ohne Weiteres durch die Nutzung von Solar- und Windkraft | |
| gedeckt werden“, stellt er klar. „So hätte der ganze Energiesektor | |
| dezentralisiert und demokratisiert werden können.“ Dafür jedoch habe es | |
| keine Gelder gegeben. „Investiert wird nur im wirtschaftlichen Interesse | |
| der Industrienationen.“ Stark verschuldet habe Namibia denen gegenüber aus | |
| einer Position der Schwäche heraus verhandelt. | |
| Ökologische und soziale Aspekte hält er nach Stand der Planungen für | |
| unzureichend berücksichtigt. So verweist das Hyphen-Konsortium zwar darauf, | |
| dass nur 0,5 Prozent der Fläche des für die Biodiversität extrem | |
| bedeutenden Tsau-Khaeb-Nationalparks für die Wasserstoffproduktion genutzt | |
| werden sollen. „Aber der Lärm und die Emissionen der Industrieanlagen wird | |
| sich darauf nicht beschränken“, so Mabanza Bambu. | |
| Auch sei zwar richtig, dass die bisherigen Vertragsentwürfe von Hyphen | |
| vorsehen, dass 80 bis 90 Prozent der Beschäftigten im Hyphen-Projekt | |
| tatsächlich namibisch sind. Aber die Auswirkungen hält er für gering. | |
| Tatsächlich sollen auch laut Hyphen in der Bauphase 15.000 Jobs, dauerhaft | |
| aber nur 3.000 Arbeitsplätze entstehen – bei einem Investitionsvolumen von | |
| zehn Milliarden Euro. | |
| Die exportierte Energie hingegen erlaube den anderen Staaten, und das sind | |
| im Wesentlichen die alten Kolonialmächte und China, ihre Industrien | |
| aufrecht zu erhalten. „Die Wertschöpfung findet weiterhin dort statt“, so | |
| Mabanza Bambu. | |
| ## Kein Vorwurf an Bremen | |
| Immerhin, Bremen selbst ist in der Hinsicht kein Vorwurf zu machen. „Was | |
| wir machen, ist Berufsbildung“, erklärt Michael Gessler vom Institut für | |
| Technik und Bildung der Uni Bremen, bei dem das Projekt „BLP Green Energy | |
| Namibia“ angesiedelt ist. Das Bremer Projekt stehe nur mittelbar mit dem | |
| Hyphen-Projekt in Zusammenhang: „Wir sorgen dafür, dass es genügend | |
| einheimische Fachkräfte gibt, wenn es dort zum Aufbau einer | |
| Wasserstoffindustrie kommt.“ | |
| Gessler, Erziehungswissenschaftler, betreut seit 2016 Fort- und | |
| Ausbildungsprojekte in Namibia. Sein Engagement sei eben aus dem Wissen um | |
| die koloniale Vergangenheit heraus entstanden, „das begleitet uns immer“, | |
| sagt er – „und wir begegnen dem auch ständig, wenn wir vor Ort sind“. | |
| Zwar reagiert das Projekt „BLP Green Energy“ darauf, dass Deutschlands | |
| Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) das Hyphen-Vorhaben als | |
| „strategisches Auslands-Projekt“ einstuft. Aber es ist so konzipiert, dass | |
| es auch dann sinnvoll ist, wenn dieses Vorhaben scheitert. Gessler zufolge | |
| gehe es nämlich darum, mit den namibischen Partnern eine Ausbildung zum | |
| Mechatroniker zu konzipieren, „eben damit die namibische Bevölkerung davon | |
| profitieren kann, wenn dort Industrialisierung voranschreitet“. | |
| In Namibia ist die Arbeitslosigkeit hoch. Der Kompetenz-Mix aus Mechanik, | |
| Elektronik und Informatik würde bei der grünen Wasserstoff-Produktion | |
| dringend benötigt, ist aber vielseitig einsetzbar, die Jobs gut dotiert. | |
| Vergeben werden sie in Namibia gegenwärtig an diejenigen, die | |
| beispielsweise in Südafrika eine entsprechende Ausbildung absolviert haben | |
| – das Namibia eben auch lange Zeit als Kolonialmacht beherrscht hat. | |
| Auch Bremens Senat ist sich der Problematik von Investitionen in Namibia | |
| nach eigenen Angaben bewusst. Daher sei beim eigenen Engagement darauf | |
| geachtet worden, „dass Bremen nicht an den Investitionen selbst beteiligt | |
| ist, sondern den Menschen in Namibia hilft, sie unterstützt, damit sie | |
| bestmöglich von den Investition profitieren“, so der Sprecher des Senats, | |
| Christian Dohle. Zudem sei wichtig, dass die Investitionsentscheidung Sache | |
| des Staates Namibia selbst sei. „Uns steht nicht zu, das zu kritisieren. | |
| Kritik aus Deutschland birgt immer die Gefahr, als koloniale Einmischung | |
| verstanden zu werden.“ | |
| Allerdings: Um sich fit für Hyphen zu machen, plant Namibia den Ausbau von | |
| „Robert Harbour“. Der liegt nur 500 Meter Luftlinie entfernt vom ehemaligen | |
| Konzentrationslager auf Shark Island, das die Deutschen im Zuge des vor 120 | |
| Jahren begonnenen Genozid an Ovaherero und Nama in der Lüderitz-Bucht | |
| errichtet hatten. „Halten Sie es für vorstellbar, dass sich Deutschland an | |
| einem Wirtschaftsunternehmen in Estland oder Polen beteiligt, für das ein | |
| ehemaliges KZ beseitigt wird?“, so Mabanza Bambu. „Das ist doch eine Frage, | |
| die man sich stellen muss.“ | |
| 24 Oct 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
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