# taz.de -- Deutsche Importstrategie für Wasserstoff: Produktion im Herzen Afr… | |
> Um bis 2045 klimaneutral zu werden, setzt Deutschland auf Wasserstoff. | |
> Der soll unter anderem aus Namibia kommen. Das geht nicht ohne | |
> Verwerfungen. | |
Bild: Eine 3D-Animation der geplanten Produktionsanlage für Wasserstoff im Kha… | |
Osterweddingen/Berlin taz | Wer nach Osterweddingen kommt, sollte sich auf | |
diese Frage einstellen: „Wollen Sie Erde kaufen?“. In dem kleinen Ort bei | |
Magdeburg haben die Bauarbeiten für die [1][Chipfabrik der US-Firma Intel] | |
begonnen. Als erstes wird der fruchtbare Boden der Börde weggebaggert und | |
versilbert. In dem 2.200-Einwohner-Ort entsteht aber auch ein Ausläufer | |
eines gigantischen Vorhabens, das das Energieunternehmen Enertrag | |
vorantreibt. Enertrag will [2][grünen Wasserstoff herstellen] und | |
vertreiben. | |
Der Energieträger soll Deutschland helfen, bis 2045 klimaneutral zu werden. | |
Bis zu [3][70 Prozent des geschätzten Bedarfs werden aus dem Ausland kommen | |
müssen], weil die hiesigen Kapazitäten nicht ausreichen. Wie sie das genau | |
machen will, hat die Bundesregierung am Mittwoch mit ihrer | |
Wasserstoffimportstrategie vorgestellt. Vier große pipelinegebundene | |
Importkorridore, aber auch Schiffe, die besondere Terminals brauchen, | |
spielen dabei eine Rolle. | |
Enertrag ist bereits in das Geschäft eingestiegen. In Osterweddingen will | |
das Unternehmen mit dem Bau eines Elektrolyseurs beginnen, einer Anlage zur | |
Produktion von grünem Wasserstoff mit Hilfe von Strom aus Wind- und | |
Sonnenkraftwerken. Potenzielle Abnehmer für das Ökogas dürfte es im Umkreis | |
genug geben: In dem Gewerbegebiet südlich von Magdeburg stehen schon | |
mehrere große Hallen, unter anderem von Online-Händler Amazon und dem | |
chinesischen Batterieproduzenten CATL. | |
Aber das eigentliche Großvorhaben treibt Enertrag weit entfernt voran – in | |
Namibia. In dem Land an der Südwestküste Afrikas plant die Firma eine | |
[4][gigantische Investition in der Größenordnung von zehn Milliarden Euro]. | |
Auch dabei geht es um die Produktion grünen Wasserstoffs, der später unter | |
anderem nach Deutschland transportiert werden könnte. Mittlerweile aber | |
melden sich afrikanische AktivistInnen, WissenschaftlerInnen und in | |
Deutschland ansässige Organisationen wie die Klima-Allianz mit Kritik nicht | |
nur an den ökologischen Folgen des Projekts. | |
## Meerwasserentsalzung in Lüderitz | |
Grüner Wasserstoff soll künftig fossile Energiequellen wie Erdgas ersetzen. | |
Die deutsche Industrie wird große Mengen brauchen, kann aber nur einen Teil | |
selbst erzeugen. Ein konkreter Plan sieht deshalb so aus: Ein paar | |
Kilometer westlich des namibischen Hafens Lüderitz wird eine Anlage | |
errichtet, um Meerwasser zu entsalzen. Vom dortigen Angra Point führt eine | |
Pipeline etwa 80 Kilometer nach Südosten, wo die Elektrolyseure arbeiten | |
sollen. Diese zerlegen das Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff. Betrieben | |
werden sie mit Strom aus großen Wind- und Solarparks. Wenn alles fertig | |
ist, könnten unter anderem rund 600 Windräder dort stehen. Die installierte | |
Ökoenergieleistung soll schließlich sieben Gigawatt erreichen (Milliarden | |
Watt), etwa vier Prozent der Kapazität, die in Deutschland momentan am Netz | |
ist. Der Wasserstoff strömt dann durch eine weitere Röhre zurück nach Angra | |
Point, parallel dazu fließt Strom durch Hochspannungsleitungen. Dort | |
wandelt eine zweite Fabrik das Gas in Ammoniak um, damit es vom ebenfalls | |
neuen Verladepunkt an der Küste leichter mit Tankern exportiert werden | |
kann. | |
Um das Projekt zu realisieren, hat sich Enertrag zusammen mit anderen | |
Firmen an einer Ausschreibung der namibischen Regierung beteiligt und | |
gewonnen. Dabei geht es um die Nutzung von etwa 4.000 Quadratkilometer | |
Land, eine Fläche knapp dreimal so groß wie beispielsweise die der Stadt | |
London. Unter dem Namen Hyphen kooperiert das deutsche Unternehmen dabei | |
mit dem Kapitalinvestor Nicholas Holdings, der unter anderem mit | |
Eisenbahnverkehr in Afrika Geld verdient. | |
Die Unternehmen und die namibische Regierung werben für das Projekt mit den | |
geradezu idealen Bedingungen: viel Sonne, Wind, Platz und damit | |
vergleichsweise geringen Produktionskosten des grünen Wasserstoffs. | |
Außerdem würden Arbeitsplätze, Technologie, Kapital und saubere Energie dem | |
Land einen Entwicklungsschub verleihen. | |
## Risiko für den Nationalpark | |
Allerdings entzündet sich die Kritik nun unter anderem daran, dass das | |
Energieindustrievorhaben in einem Naturschutzgebiet liegt, dem Tsau Khaeb | |
Nationalpark. Den beschreibt das namibische Umweltministerium selbst als | |
außergewöhnlich reich an Tieren und Pflanzen. Beispielsweise soll dort ein | |
Drittel aller Sukkulenten-Arten – wasserspeichernder Pflanzen – vorkommen, | |
die es weltweit gibt. VertreterInnen unter anderem von namibischen | |
Umweltorganisationen und Gewerkschaften erklärten dem damaligen | |
Staatspräsidenten Hage Geingob Ende 2023 in einem Brief, dass schon in der | |
ersten Bauphase des Hyphen-Projekts mehrere Biotope mit endemischen | |
Pflanzen, die nur dort vorkommen, beschädigt oder zerstört würden. Der | |
geplante Ausbau des Hafens von Lüderitz und der Export-Installationen für | |
Ammoniak bedrohten außerdem Seevögel, Fische und Hummer. Die | |
[5][Klima-Allianz speist solche Argumente nun in diese hiesige Diskussion] | |
ein. | |
„Um die ökologischen Folgen durch Solarparks zu verringern, sollen sie in | |
den östlichen Gebieten des Tsau Khaeb Nationalparks errichtet werden, wo | |
die Risiken für Biodiversität am niedrigsten sind“, antwortete darauf | |
Hyphen-Manager Sheldon Husselmann im Gespräch mit der taz. „Die Umwelt- und | |
Sozialverträglichkeitsstudie nach namibischem Recht wird im dritten Quartal | |
2024 offiziell starten.“ Sie werde zwei Jahre dauern. „Bevor sie beendet | |
ist, finden keine Bauarbeiten statt“, erklärte Husselmann. | |
## Unbequeme Geschichte | |
Außerdem existiert dieses heikle Problem: In der Nähe des Hafens Lüderitz, | |
der ebenfalls ausgebaut werden soll, lag zwischen 1905 und 1907 ein | |
Gefangenenlager, in dem die [6][Deutschen während des Kolonialkrieges | |
tausende Angehörige der Völker der Nama und Herero töteten]. Ihre | |
Nachfahren fürchten, dass die Industrieansiedlung diese Geschichte begräbt, | |
bevor sie richtig erforscht ist. Sie wollen an den Planungen beteiligt | |
werden und fordern Entschädigung für das Land, das ihnen die Kolonialherren | |
wegnahmen – Standpunkte, die die hiesige Gesellschaft für bedrohte Völker | |
unterstützt. Unbequeme Fragen, besonders für ein deutsches Unternehmen. | |
Enertrag begann 1998 in Gut Dauerthal, einem Weiler im nordöstlichen | |
Brandenburg, von wo aus Windparks entwickelt und betrieben werden. Seit | |
2022 firmiert die Firma als Europäische Aktiengesellschaft (SE) mit | |
Zweigniederlassungen bei Paris und in Madrid. Etwa 1.000 Beschäftigte | |
arbeiten für sie. Mittlerweile habe man Windanlagen mit einer Leistung von | |
knapp zwei Gigawatt errichtet, von sich denen sich rund ein Gigawatt im | |
Eigenbestand befinde, sagte Finanzvorstand Simon Hagedorn gegenüber der | |
taz. Drei Milliarden Euro habe man bisher finanziert. Der Geschäftsbericht | |
2022/23 der SE weist einen Jahresumsatz von 209 Millionen Euro und einen | |
Jahresüberschuss von 57 Millionen Euro aus. Vor diesem Hintergrund könne | |
Enertrag auch ein so großes Projekt wie in Namibia stemmen, so Hagedorn – | |
zumal sich neben Nicholas Holdings weitere Investoren und Financiers | |
beteiligen würden, etwa ein namibischer Staatsfonds. | |
Nicht nur die Regierung Namibias unterstützt das Vorhaben, auch die | |
deutsche. Als er im vergangenen März eine Absichtserklärung mit Enertrag | |
unterzeichnete, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), [7][die | |
Wasserstoffproduktion im Südwesten Afrikas liege im „strategischen | |
Interesse Deutschlands“]. Rainer Baake, Habecks Sonderbeauftragter für das | |
Thema, begründet: „Namibia ist ein demokratisches Land mit stabilem | |
Rechtssystem. Es bietet grundsätzlich gute Voraussetzungen für hohe | |
ökologische Standards und verlässliche Lieferungen grünen Wasserstoffs.“ | |
24 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Geplante-Fabrik-in-Dresden/!5953423 | |
[2] /Umbau-auf-Wasserstoffnutzung-unsicher/!5996468 | |
[3] /Import-des-gruenen-Wasserstoffs/!5996191 | |
[4] /Wasserstoff-aus-Namibia/!5975163 | |
[5] https://www.klima-allianz.de/mitglieder/unsere-mitglieder/mitglied/deutsche… | |
[6] /Deutsche-Kolonialverbrechen-und-Schule/!5861110 | |
[7] /Wirtschaftsforum-in-Suedafrika/!5896856 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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