# taz.de -- Hamburg bekommt Anna-Politkowskaja-Platz: Die Mutige | |
> Die Investigativ-Journalistin und Kreml-Kritikerin Anna Politkowskaja | |
> wurde 2006 in Moskau ermordet. In Hamburg wird nun ein Platz nach ihr | |
> benannt. | |
Bild: Recherchierte zum Tschetschenien-Krieg, zu Korruption und Umweltzerstöru… | |
Rendsburg taz | Wladimir Putins Nachruf auf Anna Politkowskaja war knapp | |
und höhnisch: „Äußerst unbedeutend“ sei die Journalistin gewesen, die am… | |
Oktober 2006, übrigens Putins Geburtstag, im Fahrstuhl ihres Wohnhauses in | |
Moskau erschossen wurde. Am Donnerstag wird in Hamburg der Platz vor dem | |
Gebäude der Zeit-Stiftung Bucerius in der Feldbrunnenstraße nach der | |
Investigativ-Reporterin und Kreml-Kritikerin benannt. | |
1999 begann Putins erste Amtszeit – und es begann der Zweite | |
Tschetschenienkrieg, ausgelöst durch einen Anschlag auf Moskauer | |
Wohnhäuser, der möglicherweise vom Kreml selbst befohlen worden war. | |
[1][Anna Politkowskaja] fing damals an, für die [2][Novaja Gazeta] zu | |
arbeiten, eine der wenigen wirklich oppositionellen Zeitungen in Russland. | |
Dort lernte ich sie im Jahr 2002 kennen, als ich an einem | |
Austausch-Programm für junge Journalist:innen teilnahm. | |
Die Redaktion der Novaja Gazeta, 1993 gegründet vom späteren | |
[3][Friedensnobelpreisträger Dmitrij Muratov], arbeitete in einem Haus im | |
Moskauer Zentrum, in Räumen mit knarzendem Holzparkett und überladenen | |
Schreibtischen. Anna Politkowskaja hatte dort nicht nur Fans. Neid mochte | |
eine Rolle gespielt haben: Weil ihre aus der Ukraine stammenden Eltern für | |
die UdSSR bei den Vereinten Nationen arbeiteten, wurde sie in den USA | |
geboren und besaß einen US-Pass. Das gab ihr Freiheiten, die andere | |
Redaktionsmitglieder nicht hatten. | |
Zeitweise lebte sie im Ausland, verlegte dort ihre Bücher, etwa die Analyse | |
„In Putins Russland“. So wurde sie, zumindest jenseits von Russlands | |
Grenzen, zum Gesicht der Novaja Gazeta. Dabei recherchierte nicht nur sie | |
zum Tschetschenien-Krieg, zu Korruption und staatlich geduldeten | |
Umweltzerstörungen. Vor ihr wurden drei andere Mitglieder der Redaktion | |
ermordet. | |
Auch im Jahr 2002 kam Anna Politkowskaja aus dem Ausland zurück, um ihre | |
Hilfe bei einer Geiselnahme anzubieten, die in jenem Sommer Moskau | |
erschütterte: Tschetschenische Attentäter:innen hatten das | |
Musical-Theater „Nord-Ost“ überfallen und hielten tagelang Hunderte | |
Zuschauer:innen gefangen. Doch Politkowskajas Vermittlung war nicht | |
gewünscht: Die Polizei stürmte das Gebäude, ohne Rücksicht darauf, wie | |
viele Geiseln starben. Dasselbe Vorgehen sollte sich im Jahr 2004 in der | |
Kleinstadt Beslan wiederholen, wo 1.100 Schulkinder und Eltern in | |
Geiselhaft geraten waren und blutig befreit wurden. | |
In den Anfangsjahren der Putin-Regentschaft gab es noch eine Reihe von | |
Stimmen, die diesen brutalen Umgang mit der eigenen Bevölkerung | |
kritisierten, darunter Oppositionspolitiker wie Boris Nemzow und | |
Wirtschaftsbosse wie Michail Chodorkowski. Chodorkowski wurde des Betrugs | |
beschuldigt, er saß 2003 bis 2013 in Lagerhaft. Nemzow wurde 2015 auf | |
offener Straße erschossen. Der letzte in dieser Reihe war [4][Alexej | |
Nawalny, der im Frühjahr 2024 in Haft starb]. | |
Wie gefährlich die leben, die sich gegen das Regime stellen, wusste Anna | |
Politkowskaja, [5][schrieb ihre Redaktionskollegin und Freundin Ekaterina | |
Glikman im Oktober 2023]: „Anna war intensiv lebendig. Und sie hatte Angst. | |
Aber sie setzte ihre Arbeit fort.“ Die Druckausgabe der Novaja Gazeta ist | |
inzwischen in Russland eingestellt, ein Großteil der Redaktion um Dimitrij | |
Muratov lebt im Ausland und berichtet als „Novaja Gazeta Europe“ weiter | |
über den Krieg in der Ukraine, der in Russland immer noch nicht Krieg | |
genannt werden darf. | |
Einer der Männer, die für Politkowskajas Ermordung verurteilt wurden – und | |
die nie sagten, wer den Auftrag gegeben hatte – ist bereits wieder frei: | |
Wladimir Putin begnadigte ihn im Jahr 2023. Umso wichtiger, dass es | |
jenseits der russischen Grenzen Plätze gibt, die die Namen der Opfer | |
wachhalten. | |
9 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Anna-Politkowskaja/!t5016707 | |
[2] /Giftanschlag-auf-kremlkritische-Zeitung/!5754761 | |
[3] /Zensur-in-Russland/!5845666 | |
[4] /Umgang-des-Kremls-mit-Nawalnys-Tod/!5990214 | |
[5] https://novayagazeta.eu/articles/2023/10/07/remembering-anna-en | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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