# taz.de -- Tunesiens Präsident feiert Wahlsieg: Autokorso für den Autokraten | |
> Tunesiens autoritärer Präsident Kais Saied hat nach ersten Zahlen die | |
> Wahlen haushoch gewonnen. Nun fürchten Regimekritiker das endgültige Aus. | |
Bild: Jubel für Kais Saied am Wahlabend in Tunis | |
Tunis taz | Bereits wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale erklärte | |
sich [1][Tunesiens Präsident Kais Saied] am Sonntagabend zum Sieger der | |
Präsidentschaftswahlen. Da hatte die [2][nationale Wahlbehörde ISIE] | |
lediglich die mit knapp 28 Prozent niedrige Wahlbeteiligung veröffentlicht. | |
Mehrere hundert Anhänger von Saied brachen gleichwohl zu einem Autokorso | |
auf. Vor dem Nationaltheater und den Kameras des staatlichen Fernsehens | |
feierten sie ausgelassen. | |
„Ihr werdet von den Verrätern und Korrupten in Zukunft nichts mehr hören“, | |
versprach der Präsident. In Kreisen der Zivilgesellschaft herrschte | |
demgegenüber am Montag Schockstarre. Nachdem in der Woche vor der Wahl die | |
Büros mehrerer Menschenrechtsinitiativen von der Polizei durchsucht worden | |
waren, fühlen sich viele jetzt an die Zeiten von Ben Ali erinnert, der | |
[3][2011 im „Arabischen Frühling gestürzte Diktator]. | |
„Wir werden wieder protestieren“, sagt der 27-Jährige Yassin in einem Caf�… | |
Gewählt hat er wie 93 Prozent der unter 35-Jährigen nicht. „Ich habe den | |
Glauben verloren, dass die soziale Ungerechtigkeit mit demokratischen | |
Mitteln bekämpft werden kann“, sagt er. | |
Der Jubel der Saied-Anhänger gründet sich auf eine Umfrage des privaten | |
Meinungsforschungsinstitutes Sigma, das den Stimmenanteil für Kais Saied | |
nach Wählerbefragungen auf 89,2 Prozent schätzte. Der aus dem Gefängnis | |
antretende Ayachi Zammel erhielt demnach 6,9 Prozent, der linksnationale | |
Zouhair Maghzaoui 3,9. Wahlbeobachter von Maghzaouis Partei sagen | |
demgegenüber, Said liege auf Rang zwei hinter Zammel. | |
## Rückkehr in die Zeiten der Diktatur | |
Viele Tunesier fürchten nun eine Rückkehr in die Zeiten der Diktatur – oder | |
eine weitere Polarisierung. [4][Seit 2013 schwelt ein Konflikt] zwischen | |
der alten Machtelite, unterstützt vom tunesischen Innenministerium, und den | |
moderaten Islamisten der Ennahda, die den Muslimbrüdern nahestehen. Ennahda | |
war an allen neun Regierungen seit dem Sturz des Ben-Ali-Regimes beteiligt, | |
aber inzwischen sitzt die Parteiführung im Gefängnis, Ennahda-nahe | |
Kandidaten waren zu diesen Wahlen gar nicht zugelassen. | |
Der konservative Saied, ein Jurist und Quereinsteiger in die Politik, sieht | |
sich in einer Art Überlebenskampf gegenüber Ennahda. Er gewann 2019 | |
erstmals die Wahlen aufgrund seiner kritischen Haltung gegenüber Parteien | |
und Korruption. Doch inzwischen ist Ernüchterung eingetreten. | |
Denn trotz des [5][Durchpeitschens] einer offenbar von ihm selbst | |
geschriebenen neuen Verfassung und auch nach dem Austausch Dutzender | |
Gouverneure, Richter und Beamte bleibt die Wirtschaftskrise allgegenwärtig, | |
die Modernisierung des Staatsapparats ist ausgeblieben. Saied macht das mit | |
dem Schaffen immer neuer Feindbilder wett. So begann er 2023 eine Kampagne | |
gegen Migrant:innen aus West- und Zentralafrika; es gab [6][gewalttätige | |
Übergriffe]. | |
Das 2011 blutig erstrittene Recht auf freie Meinungsäußerung wird seit dem | |
letzten Jahr stark eingeschränkt: Die Aufwiegelung der Öffentlichkeit oder | |
das Verbreiten von Falschmeldungen wird mit langjährigen Haftstrafen | |
geahndet. Nun nimmt Saieds Machtapparat die Zivilgesellschaft ins Visier. | |
Dieser unterstellt er, durch Annahme von Geldern aus dem Ausland gegen die | |
Interessen Tunesiens zu handeln. | |
„Mittlerweile haben sich viele Aktivisten nach Paris oder Berlin | |
abgesetzt“, sagt Rania, Projektmanagerin der NGO „I Watch“ – ihren voll… | |
Namen möchte sie wie viele politisch aktive Tunesier:innen öffentlich | |
nicht mehr nennen. Sie berichtet: „Nachdem unsere Konten während der | |
Ermittlungen gesperrt wurden, können wir nicht einmal die Büromiete | |
zahlen.“ | |
7 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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