# taz.de -- Geflüchtete Afghanin über Migration: „So geht es vielen Immigra… | |
> Zahra Nazari kommt aus Afghanistan und hat ehrgeizige Pläne, um schnell | |
> Fuß zu fassen. In der Diskussion um Flüchtlinge vermisst sie die | |
> Empathie. | |
Bild: Zahra Nazari ist nach Berlin geflohen, weil in ihrer Heimat Afghanistan k… | |
Berlin taz | Zahra Nazari lebt noch nicht so lange in Berlin, aber die | |
aktuellen Diskussionen um Flüchtlinge hat die Afghanin mitbekommen: „Manche | |
sagen, ihr Immigranten kommt nur hierher, um ein besseres Leben zu haben. | |
Sie sagen, wenn es euch hier nicht gefällt, könnt ihr ja wieder gehen.“ | |
Natürlich wollten Immigranten ein besseres Leben, hält Nazari dem entgegen. | |
„Ich bin ein Mensch, ich habe das Recht auf ein ganz normales Leben in | |
Menschenwürde.“ Sie könne auch nicht einfach zurückgehen. „Frauen leben … | |
meiner Heimat in absoluter Rechtlosigkeit. So kann ich nicht leben.“ | |
Im Januar kam die 24-Jährige mit ihrem Mann über das Bundesaufnahmeprogramm | |
für Afghanistan per Flugzeug nach Deutschland. Nazari weiß, dass sie damit | |
großes Glück gehabt hat: Die meisten ihrer Landsleute müssen sich auf den | |
langen und gefährlichen Landweg machen und „illegal“ einreisen – wie es | |
dieser Tage viel kritisiert wird –, um dann Asyl zu beantragen. Sie hat | |
sich bei der deutschen Botschaft in Pakistan „beworben“, wie sie sagt, und | |
wurde nach einem Interview ausgewählt. „Ich denke, der entscheidende Punkt | |
war, dass ich als Reporterin gearbeitet habe und dazu in einer afghanischen | |
Frauenorganisation.“ | |
Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 war es damit vorbei. Die | |
Frauenorganisation (Women move to inspire Women) musste ihre Arbeit | |
beenden, erzählt Zahra Nazari, ohnehin durften Frauen bald nicht mehr | |
arbeiten. Auch Nazaris Kabuler Fahrradgruppe konnte sich nicht mehr | |
treffen. „Meine Freunde und ich hatten sie zum Spaß gegründet, aber wir | |
wollten auch die Kultur des Radfahrens für Frauen fördern.“ Das Leben unter | |
den Taliban wurde zum Albtraum, erzählt die junge Frau, die einen Bachelor | |
in Business Administration hat. „Nur noch zu Hause, nur noch putzen, | |
waschen, kochen – es war hart für mich und zugleich so langweilig.“ | |
## Rechtloser Status | |
Zwar bekam sie noch mal einen Job beim UN-Ernährungsprogramm WFP – die | |
internationalen Organisationen sind die einzigen Arbeitsmöglichkeiten für | |
Frauen in Afghanistan. Aber [1][die allgemeine Situation für Frauen] habe | |
sie so deprimiert, dass sie es nicht mehr ausgehalten habe, sagt Nazari. | |
„Ich wollte nur noch weg.“ Hinzu kommt, dass sie der Ethnie der Hazara | |
angehört, die von den Taliban besonders brutal verfolgt wird – weshalb sie | |
und ihre Familie in permanenter Angst lebten. „Es gibt keinen sicheren Ort | |
für Hazara in Afghanistan.“ | |
In Berlin lebt sie nun in einer Gemeinschaftsunterkunft für über 300 | |
Flüchtlinge in Schöneberg. Auch hier hat sie insofern Glück, als sie als | |
Verheiratete nur mit ihrem Mann in einem Zimmer lebt – alleinstehende | |
Flüchtlinge wohnen zu viert bis zu sechst in einem Raum. Aber es sei auch | |
nicht leicht, mit Fremden Küche und Sanitärräume zu teilen, sagt Zahra | |
Nazari. Daher möchte sie so schnell wie möglich eine Wohnung finden – | |
obwohl sie schon weiß, dass das in Berlin schwierig wird. | |
Auch sonst hat sie es eilig, ihr neues Leben in die Hand zu nehmen. | |
Spätestens in zwei Jahren will Nazari das C1-Niveau in Deutsch erreicht | |
haben, damit sie ihren Master machen und sich einen guten Job suchen kann. | |
In dieser kurzen Zeit so gut Deutsch zu sprechen, ist ein ehrgeiziges Ziel | |
– aber für eine „fokussierte“ Frau wie sie sei das durchaus erreichbar, | |
meint David Eick, der Nazari seit März begleitet. Eick ist Projekteiter von | |
„[2][Hürdenspringer Tempelhof-Schöneberg“], ein Mentoring-Programm des | |
Unionhilfswerks, das Geflüchtete mit Deutschen zusammenbringt, um ihnen das | |
Ankommen zu erleichtern. | |
In der Regel treffen sich Mentor und Mentee einmal pro Woche für ein bis | |
zwei Stunden, sprechen möglichst Deutsch miteinander und schauen, welche | |
beruflichen Möglichkeiten es für den Geflüchteten gibt. „Wir sind ein Safe | |
Space zum Deutschlernen, wo man keine Angst haben muss, Fehler zu machen“, | |
sagt Eick. Viele Geflüchtete hätten große Hemmungen, jenseits des | |
Deutschkurses die neue Sprache zu sprechen. Kontakte oder gar | |
Freundschaften zu Deutschen seien selten, „und in den Heimen reden sie | |
meist in ihrer Herkunftssprache“. | |
## Mentoren helfen beim Ankommen | |
Seit 2020 gibt es das Projekt in Tempelhof-Schöneberg, in diesem Zeitraum | |
haben 84 „Tandems“ zusammengefunden. Eigentlich könnten es noch viel mehr | |
sein, das Interesse bei den Flüchtlingen sei riesig. Aber Mentoren sind | |
eine rare Spezies, außerdem könnten Eick und sein Team auch nicht viel mehr | |
Tandems betreuen. Sie müssen die Kandidaten auswählen, die passenden | |
„Matches“ finden und sich um sie kümmern – und den Kontakt zu den | |
Sozialarbeitern in den Heimen halten, damit sie ihnen geeignete Kandidaten | |
vorbeischicken. | |
So hat auch Nazari von den Hürdenspringern erfahren und sich gleich | |
beworben. „Mit meiner Mentorin spreche ich über alles Mögliche, das hilft | |
sehr“, sagt sie. Nun, wo sie sich besser kennen, machen sie auch Pläne für | |
Unternehmungen, auf die sich Nazari freut, weil sie in Afghanistan | |
unmöglich waren: ins Kino gehen, Tischtennis spielen im Park, Restaurants | |
besuchen, „schöne Alltagsdinge eben“. | |
Solche kleinen Momente sind um so wichtiger, als Nazari sich oft einsam | |
fühlt, wie sie sagt: Nie hätte sie gedacht, dass sie Eltern, Familie, | |
Freunde so vermissen würde. „Der Gedanke, dass ich sie vielleicht nie | |
wiedersehen kann, macht mich manchmal verrückt. Und ich glaube, so geht es | |
vielen Immigranten.“ Dazu komme der Druck, die neue Sprache zu lernen, die | |
neue Kultur, sich mit all dem Neuen zurechtzufinden. „Das alles könnt ihr, | |
die ihr nie eure Heimat verlassen musstet, euch gar nicht vorstellen.“ | |
Der Druck verstärkt sich noch dadurch, dass Zahra Nazari nicht selten Unmut | |
spürt bei den Einheimischen, mit denen sie in Kontakt kommt – etwa wenn sie | |
in einem Geschäft etwas auf Englisch sagt. „Manche reagieren unfreundlich, | |
andere antworten einfach auf Deutsch, obwohl es offensichtlich ist, dass | |
ich das nicht verstehe.“ Solche Reaktionen hätten sie in den ersten Monaten | |
in Berlin sehr enttäuscht, sagt sie. Und fragt sich: „Warum können die | |
Menschen nicht etwas freundlicher sein?“ | |
25 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.proasyl.de/news/unsichtbare-wesen-zur-aktuellen-situation-von-f… | |
[2] https://www.huerdenspringer.unionhilfswerk.de/projekte/ | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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