| # taz.de -- Theaterstück „Hier spricht die Polizei“: Halbnackt eine Polona… | |
| > ACAB oder Freund und Helfer? Das Dokumentartheaterstück „Hier spricht die | |
| > Polizei“ feiert am Staatstheater Hannover Premiere. | |
| Bild: Die Schauspieler:innen versuchen, Perspektive und Haltung von Polizist*in… | |
| „Wie müsste die Polizei sein, damit ich sie gut finden würde?“ Es ist die | |
| Regisseurin Julia Rösler, die sich diese Frage stellt – und eine Antwort | |
| schuldig bleibt. Mehrere Monate, fast ein Jahr lang hat sie sich mit dem | |
| Thema beschäftigt, hat gemeinsam mit der Dramaturgin Silke Merzhäuser und | |
| der Musikerin Insa Rudolph daran gearbeitet. Hat recherchiert, Gespräche | |
| geführt, Polizist*innen befragt. | |
| Gemeinsam bilden Rösler, Merzhäuser und Rudolph das Kollektiv werkgruppe 2. | |
| Jeweils basierend auf einer ausführlichen journalistischen Recherche, | |
| erarbeiten sie Umsetzungen, die die Grenzen von Dokumentation und Fiktion | |
| in unterschiedlichen Genres ausloten. Im Film, im Hörspiel und auf der | |
| Bühne. Ihr jüngstes Projekt „Hier spricht die Polizei“ hatte im Mai währ… | |
| der Ruhrfestspiele in Recklinghausen Premiere. Jetzt ist es im Ballhof Eins | |
| am koproduzierenden Schauspiel Hannover zu sehen. | |
| Fünf Schauspieler*innen des Ensembles werden an diesem Abend zu | |
| Stellvertreter*innen der interviewten Polizist*innen. Mit hoher | |
| Präzision haben sie sich deren Texte angeeignet, Versprecher, Sprechduktus | |
| und Pausen inklusive. Einen Abend lang nehmen also Fabian Dott, Servan | |
| Durmaz, Anja Herden, Alrun Hofert und Sebastian Nakajew die Perspektive und | |
| Haltung von Polizist*innen ein, erzählen aus deren Alltag zwischen | |
| 1.-Mai-Demos und Feierabendbier, zwischen Sturmmasken und Angst. | |
| ## Unter Kolleg*innen | |
| Es ist ein Abend ganz unter Kolleg*innen, ein Abend auf der Wache. Ein | |
| langer dunkelblauer Teppich markiert den Flur. Dort stehen ein grauer | |
| Spind, ein Regal mit Aktenordnern und Kaffeemaschine. Ein großes Fenster | |
| öffnet den Blick in ein schmuckloses Büro, zwei graue Türen führen | |
| nirgendwohin. Neonröhren verbreiten fieses Licht und die in den Boden | |
| eingelassenen Lüftungsgitter werden den Live-Musikern (Christian Decker, | |
| Dominik Decker, Uli Genenger) auch als Instrumente dienen. | |
| Zurückhaltend haben Lea Dietrich und Viva Schudt Bühne und Kostüme | |
| (dunkelblaue Arbeitskleidung: vom Helly-Hansen-T-Shirt bis hin zum Overall) | |
| gestaltet. Klug verzichten sie auf Wandkalender, Papierstapel oder | |
| Urlaubskarten. Der Raum erzählt nicht mehr, als er muss. Er ist reduziert, | |
| realitätsnah und doch fiktiv. | |
| Die Hauptrolle an diesem Abend spielt tatsächlich der Text. Er erzählt von | |
| extremistischen Netzwerken, Hakenkreuzen in Chatgruppen und Racial | |
| Profiling: „Da passiert es schon mal, dass ich die Handschellen bisschen | |
| schneller anlege.“ Er erzählt von Kollegen, die „grundsätzlich nach rechts | |
| offen“ sind und starke Affinitäten zum Doppel-H haben, von jenen, die bei | |
| der Polizei vor allem das Gruppengefühl mögen und solchen, die besser als | |
| „Hauptkommissar Warsteiner“ bekannt sind. | |
| Er erzählt genauso von der täglichen Gefahr, von Einsätzen im Milieu, von | |
| Provokationen und Stigmatisierungen. Von fliegenden Molotowcocktails, | |
| Steinen und Spucke und davon, dass die Uniform quasi eine Rüstung sei. Er | |
| erzählt von den gesellschaftlichen Erwartungen, vom Handlungsdruck und von | |
| Allmachtsfantasien. | |
| ## „Alles richtig machen“ | |
| „Es ist ja so, dass wir immer alles richtig machen, weil wir eben alles | |
| richtig machen müssen“, heißt es einmal. Es sind Innensichten, die mal | |
| mehr, meist weniger sympathisch sind. Es sind Geschichten, die von einem | |
| Beruf erzählen, der die freiheitliche demokratische Grundordnung per | |
| geleistetem Eid schützen soll. Es sind berührende und abstoßende | |
| Geschichten. Geschichten, die höchst widersprüchlich sind und doch | |
| beständig ineinander greifen, auch weil die fünf Spieler*innen sie ganz | |
| direkt und nahbar wiedergeben. | |
| Dass sich der eine Kollege mehr Schutz wünscht, die andere Kollegin mehr | |
| Entscheidungsfreiheit, ein dritter davon träumt, dass der Wasserwerfer | |
| häufiger zum Einsatz kommt, eine vierte die Bilder der Duisburger | |
| Loveparade nicht mehr aus dem Kopf bekommt, ein fünfter voller | |
| Selbstzweifel ist und sie schließlich alle fünf halbnackt auf der | |
| Firmenfeier zwischen Luftschlangen und zu „Bumsfallera“ eine | |
| Polizeipolonaise tanzen. | |
| Das alles umfasst dieser Abend, der kompakt ist und ehrlich, der informativ | |
| ist und absichtlich monoperspektivisch, der genauso Klischees bedient wie | |
| er Sympathien herstellt. Es ist ein Abend, der eigenwillig ist und der | |
| nachdenklich macht. Und der eben jene Frage ungemütlich offen lässt: „Wie | |
| müsste die Polizei sein, damit ich sie gut finden würde?“ | |
| 16 Sep 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Ullmann | |
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