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# taz.de -- Nach tödlichen Schüssen auf Lamin Touray: Keine Verfahren gegen P…
> Die Staatsanwaltschaft Verden stellt die Ermittlungen gegen alle 14
> Polizist*innen ein – auch die gegen den suspendierten rassistischen
> Beamten.
Bild: Nach dem Tod von Lamin Touray am Karsamstag: Demonstrierende fordern Gere…
Ein gutes halbes Jahr nach den tödlichen Schüssen auf den 46-jährigen
Gambier Lamin Touray hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen 14
Polizist*innen eingestellt. Die 14 Einsatzkräfte seien in Lebensgefahr
gewesen und hätten die Waffen als letztes Mittel eingesetzt, so die
Begründung der Behörde. Die Schüsse seien gerechtfertigt gewesen, weil
durch zwei Messerstiche in Richtung der Beamt*innen unmittelbare
Lebensgefahr bestanden habe. „Um es milde zu sagen, finde ich das Vorgehen
der Staatsanwaltschaft ungewöhnlich“, sagt Thomas Bliwier der taz dazu am
Telefon. Der Anwalt vertritt Angehörige von Lamin Touray.
Seit Touray am Karsamstag auf der Terrasse seiner Wohnung im
niedersächsischen Nienburg an der Weser von Polizist*innen erschossen
worden war, hatte die zuständige Staatsanwaltschaft Verden geprüft, ob es
sich um Notwehr handelte. Wie umfangreich jedoch ermittelt, Zeug*innen
gehört und Beweise gewürdigt wurden, kann Thomas Bliwier nicht sagen, weil
er die Akte des Falls erst mit der Einstellung des Verfahrens am
vergangenen Freitag erhalten habe.
Das sei bedenklich, denn so habe er vorab keine Möglichkeit gehabt,
Anregungen einzubringen. Bliwier legte Beschwerde gegen die Einstellung des
Verfahrens gegen die Polizist*innen ein. Schon allein, um Zeit zu
haben, sich mit der Akte gründlich beschäftigen zu können, sagt er. Die
Staatsanwaltschaft prüft nun, ob die Ermittlungen wieder aufgenommen werden
müssen.
Im Obduktionsbericht steht, dass Touray acht Kugeln trafen, Herz und Leber
wurden zerstört, zwei Kugeln waren tödlich. Das Niedersächsische
Polizeigesetzes schreibt fest, dass Schusswaffen gegen Menschen nur als
letztes Mittel eingesetzt werden dürfen, wenn also jemand in großer Gefahr
ist. Mildere Mittel wie Ansprachen, Pfefferspray, der Einsatz eines
Polizeihundes oder die Drohung mit der Waffe seien laut Staatsanwaltschaft
bei dem Einsatz in Nienburg wirkungslos geblieben. Der Angreifer habe sich
nicht beschwichtigen lassen.
Die Schüsse seien dann letztlich in einer „hochdynamischen Bedrohungslage“
gefallen. Das habe die Auswertung des Notrufs, Aufnahmen zweier Bodycams,
ein waffentechnisches und ein rechtsmedizinisches Gutachten ergeben, so die
Staatsanwaltschaft.
## Schütze konnte nicht ermittelt werden
Im Falle der Polizistin, die bei dem Einsatz von einer Kugel oder einem
Kugelfragment in den Oberschenkel getroffen und schwer verletzt worden war,
wurde kein Projektil am Tatort gefunden. Es konnte daher auch nicht
ermittelt werden, welcher Kollege oder welche Kollegin sie getroffen hat.
Die Ereignisse am Karsamstag in Nienburg sorgten überregional für
Aufregung, auch weil eine Nachbarin die letzten Sekunden im Leben von Lamin
Touray gefilmt hat. In diesem Video ist auch die Schussabgabe dokumentiert.
Zunächst sind zwei Schüsse zu hören, dann nach kurzer Pause fünf weitere
und dann ein zeitlich abgesetzter weiterer Schuss. Die Szene zeigt einen
undeutlichen Ausschnitt der Situation.
Anzahl und Abfolge der Schüsse sorgten dafür, dass der Niedersächsische
Flüchtlingsrat, Hinterbliebene von Touray und Unterstützer*innen der
Familie früh die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes
stellten.
Touryas Freundin sagte wenige Tage nach der Tat im Gespräch mit der taz,
sie habe den Notruf gewählt, da ihr Freund sich in einem psychischen
Ausnahmezustand befunden habe. Bereits am Abend vor den tödlichen Schüssen
habe sie versucht, Hilfe für ihren Freund zu rufen – erfolglos. Am Morgen
des Karsamstags dann wählte Tourays Freundin erneut den Notruf. Damit
begann der tödlich endende Polizeieinsatz.
Als die Polizist*innen eintrafen, traten sie die Tür zu Tourays Wohnung
auf und die Lage eskalierte immer weiter. Vor Ort habe die Freundin
angeboten, so schildert sie es der taz, ihren Freund zu beruhigen und ihn
zur Aufgabe zu überreden. Das habe man ihr aber nicht gestattet und
stattdessen einen Hund eingesetzt. Kurz darauf fielen die Schüsse auf der
Terrasse, wohin Touray mit einem Messer in der Hand geflohen war. „Statt zu
helfen, haben sie ihn wie ein Tier im Wald erschossen“, sagte Tourays
Freundin. Zur Einstellung des Verfahrens gegen die Polizist*innen will
sie sich nicht äußern.
[1][Recherchen der taz hatten ergeben, dass einer der beiden
Diensthundeführer, die an dem Einsatz beteiligt war, auf seinen zwei
Facebook-Profilen allerlei extrem rechte Inhalte und
Verschwörungsideologien verbreitete]. Kurz nach dem tödlichen Einsatz
postete er etwa ein Video, in dem es heißt: „Man flutet unser Land mit
kulturfremden Menschen.“ Gegen den Diensthundeführer wird seither
disziplinarrechtlich ermittelt und dessen Verfassungstreue wird geprüft. Er
ist vom Dienst freigestellt.
Die Präsidentin der Polizeidirektion Göttingen, Tanja Wulff-Bruhn, der die
Dienstelle in Nienburg unterstellt ist, äußerte sich erleichtert zu
Einstellung des Verfahrens gegen die Polizist*innen und betonte, es
gebe keinerlei Zusammenhang zwischen den möglichen verfassungsfeindlichen
Einstellungen des Hundeführers und dem Einsatzverlauf. „Hierzu möchte ich
deutlich betonen, dass wir den Vorwurf von einigen Seiten widerlegen
können, dass [2][unterstellte Rassismus- oder Diskriminierungsthemen] hier
in irgendeiner Form eine Rolle gespielt haben“, so Wulff-Bruhn.
Aber die Posts des Diensthundeführers bleiben trotzdem. Und dann sind da
noch die Ergebnisse einer aktuellen Studie der Polizeiakademie
Niedersachsen zu strukturellem Rassismus. Ein Jahr lang wurden
Einsatzkräfte in ihrem Alltag begleitet und es zeigte sich, dass
Polizist*innen sich gegenüber bestimmten Personengruppen „grundsätzlich
machtbetont verhalten“. Der Verdacht, dass rassistische oder rechtsextreme
Einstellungen das Verhalten der Polizist:innen und den Verlauf des
Geschehens in Nienburg beeinflusst haben könnten, lasse sich also nicht
pauschal von der Hand weisen, heißt es vom Flüchtlingsrat Niedersachsen.
Der gesamte Fall müsse aufgeklärt werden.
Bereits kurz nach Tourays Tod demonstrierten Angehörige und
Unterstützer*innen in Nienburg. Angeführt von seiner Mutter und
Schwester. Unter Tränen richteten sie sich an die Behörden, forderten
lückenlose Aufklärung.
## Vorgehen der Polizei muss geprüft werden
Vor allem die Schilderungen von Tourays Freundin gegenüber der taz sowie
die eines Augenzeugen, der angab, die Polizei habe nicht deeskalierend
gewirkt, sondern die Stimmung erst zum Kippen gebracht, haben Fragen
aufgeworfen. Eine ist, wieso es 14 Polizist*innen in einem mehrere
Stunden andauernden Einsatz nicht gelungen ist, den offenbar verwirrten
Touray zu beruhigen und sich dabei selbst nicht in Gefahr zu bringen.
[3][Das polizeiliche Vorgehen in derartigen Situationen] müsse einer
grundsätzlichen Revision unterzogen werden. „Polizeibeamt:innen müssen in
solchen Einsätzen deeskalierend wirken und dafür auch entsprechend geschult
werden“, sagt Muzaffer Öztürkyilmaz vom Flüchtlingsrat Niedersachsen. „W…
man auf die tödlichen Polizeieinsätze in Niedersachsen blickt, hat es den
Anschein, dass überhaupt keine Konsequenzen aus solch tragisch verlaufenen
Vorfällen gezogen werden.“
30 Sep 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Michael Trammer
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