| # taz.de -- Gewessler über Import von russischem Gas: „Marktversagen in Öst… | |
| > Im September wählt Österreich ein neues Parlament. Klimaschutzministerin | |
| > Leonore Gewessler will von russischem Gas loskommen, doch der Prozess | |
| > stockt. | |
| Bild: Leonore Gewessler, Klimaschutzministerin von Österreich | |
| taz: Frau Gewessler, seit fast fünf Jahren sind Sie nun | |
| Klimaschutzministerin in einer Koalition mit der Mitterechts-Partei ÖVP. | |
| Wie überzeugt man Konservative vom Klimaschutz? | |
| Leonore Gewessler: Wir haben in den vergangenen fünf Jahren bewiesen, dass | |
| mutige Klimaschutzpolitik wirkt und mehrheitsfähig ist. Wir haben jetzt das | |
| zweite Jahr in Folge sinkende Emissionen. 2023 waren es 6,4 Prozent. Das | |
| sind gute Neuigkeiten, weil wir den klimapolitischen Stillstand früherer | |
| Koalitionen beendet haben. | |
| taz: Trotzdem gibt es immer wieder Streit zwischen Ihnen und der ÖVP. Zum | |
| Beispiel, als Sie im Juni für das EU-Renaturierungsgesetz stimmten, obwohl | |
| Ihr Regierungspartner dagegen war. Bereuen Sie Ihr Vorgehen? | |
| Gewessler: Nein. Ich stehe zu 100 Prozent hinter der Entscheidung. Das | |
| Renaturierungsgesetz ist das wichtigste Naturschutzgesetz, das die EU seit | |
| Jahrzehnten beschlossen hat. Es hat mich sehr gefreut, dass Österreich die | |
| Rolle des Ermöglichers gespielt hat und nicht die Rolle des Blockierers. | |
| taz: Die ÖVP hat nach Ihrer Entscheidung angekündigt, Sie wegen | |
| Amtsmissbrauchs zu verklagen. Was ist aus dieser Klage geworden? | |
| Gewessler: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hat die | |
| Anzeige zurückgewiesen. Das zeigt: Meine Zustimmung zum | |
| EU-Renaturierungsgesetz war richtig und keineswegs ein Rechtsbruch, wie von | |
| mancher Seite vorschnell behauptet wurde. Ich bin froh, dass es diese | |
| Klarheit nun gibt. | |
| taz: Sie haben im Juni eine Strategie beschlossen, die vorsieht, bis Mitte | |
| der 2030er CO2 unterirdisch zu speichern. Noch ist Carbon Capture and | |
| Storage (CCS) verboten. Im österreichischen Energie- und Klimaplan steht | |
| aber, dass bereits 2030 0,5 Millionen Tonnen CO2 durch CCS-Verfahren | |
| eingespart werden sollen. Wie soll das funktionieren? | |
| Gewessler: In bestimmten Bereichen, wie zum Beispiel in der | |
| Zementindustrie, können wir die Prozessemissionen nicht vollständig mit | |
| grünem Wasserstoff oder erneuerbarem Strom reduzieren. Wir haben uns | |
| deswegen darauf geeinigt, das Verbot in Österreich aufzuheben. | |
| taz: Und Sie gehen davon aus, dass bis 2030 die CCS-Technologie auch zum | |
| Einsatz kommen wird? | |
| Gewessler: Wir haben in unserem Klimaplan festgehalten, wie wir unser | |
| rechtliches Ziel tatsächlich erreichen können. Dazu zählen große Maßnahmen, | |
| wie die Förderung zum Heizkesseltausch, und kleinere, wie den Umstieg auf | |
| Biodiesel in der Landwirtschaft. Wir bepreisen CO2 und haben den | |
| Klimabonus, die österreichische Version des Klimageldes, eingeführt. Manche | |
| Dinge müssen aber erst noch umgesetzt werden, da gehört die CCS-Technologie | |
| dazu. | |
| taz: Ihr Ministerium ist auch für die Energieversorgung zuständig. Gas wird | |
| noch immer zu einem großen Teil aus Russland importiert. Warum schaffen Sie | |
| es nicht, diesen Import zu reduzieren? | |
| Gewessler: Klar ist, wir müssen raus aus der Abhängigkeit zu Russland. Da | |
| gibt es noch viel zu tun. Manches ist aber auch gelungen: Wir haben in den | |
| vergangenen Jahren unseren Gasverbrauch insgesamt um 20 Prozent reduziert. | |
| Gleichzeitig haben wir die Erneuerbaren im Rekordtempo ausgebaut. | |
| taz: Trotzdem kamen im ersten Halbjahr 2024 knapp 89 Prozent des | |
| importierten Gases aus Russland, mehr als zu Beginn des russischen | |
| Angriffskrieges auf die Ukraine. | |
| Gewessler: Ich werde diesen Prozentanteil weder kleinreden noch | |
| rechtfertigen. Der ist zu hoch. Wir sehen in Österreich ein Marktversagen. | |
| Wir haben genug nichtrussisches Gas am europäischen Markt. Wir haben die | |
| Leitungskapazitäten, um dieses Gas nach Österreich zu bringen, aber es | |
| passiert nicht. Deswegen habe ich ein Gesetz vorgeschlagen, das die | |
| Gasversorger dazu verpflichtet, einen steigenden Anteil von nichtrussischem | |
| Gas in ihrem Gasmix aufzunehmen. Bis 2027 soll Österreich dann aus | |
| russischem Gas aussteigen. | |
| taz: Der Gasliefervertrag zwischen der russischen Gazprom und der | |
| österreichischen OMV läuft noch bis 2040. Kann man diesen Vertrag einfach | |
| so umgehen? | |
| Gewessler: Ich habe für diesen Zweck eine Kommission eingesetzt, die unter | |
| der Leitung von zwei renommierten Jurist:innen erstmals Einblicke in die | |
| Verträge bekommt, natürlich unter Wahrung aller Geschäftsgeheimnisse und | |
| unternehmensrechtlichen Verpflichtungen. Die Kommission wird sich dieser | |
| Frage widmen. | |
| taz: Weil Österreich dem Kreml viel Geld für russisches Gas überweist, wird | |
| der Regierung vorgeworfen, den Krieg finanziell und somit indirekt zu | |
| unterstützen. | |
| Gewessler: Die Vertragsverlängerung wurde 2018 – vier Jahre nach der | |
| Annexion der Krim – beschlossen und war ein dramatischer Fehler. Wir haben | |
| gesehen, wie teuer uns dieser Fehler zu stehen gekommen ist: Wladimir Putin | |
| entscheidet, ob wir unsere Wohnungen heizen können oder unsere Industrie | |
| produzieren kann. Wir haben aber auch eine moralische Verpflichtung, aus | |
| dem Vertrag auszusteigen, denn damit wird über Umwege das russische Budget | |
| für den Krieg aufgebracht. | |
| taz: Vor fünf Jahren waren die Grünen auf Erfolgskurs. Jetzt sinkt die | |
| Zustimmung. Ist Klimaschutz den Menschen weniger wichtig geworden? | |
| Gewessler: Nein. Ich spüre tagtäglich, dass den Menschen Klimaschutz nach | |
| wie vor ein sehr wichtiges Anliegen ist. Den Menschen ist bewusst, dass die | |
| Klimakrise für unseren Wohlstand und unsere Sicherheit ein Problem | |
| darstellt. | |
| taz: Wenn Klimaschutz nicht an Bedeutung verloren hat, wie erklären Sie | |
| sich dann die fallenden Zustimmungswerte der Grünen? | |
| Gewessler: In der öffentlichen Debatte ist Klimaschutz sicher überlagert | |
| von anderen Themen. Dennoch bleibt das grüne Konzept, Wohlstand und | |
| Wirtschaftsstandort durch Klimaschutz zu sichern. Das galt bei der Wahl | |
| 2019 und gilt auch jetzt. Wir befinden uns in einem anderen Umfeld und | |
| dementsprechend auch auf einer Aufholjagd in dieser Wahl. | |
| taz: Haben die Grünen denn auch Fehler gemacht? | |
| Gewessler: Die Diskussion rund um die Renaturierungsverordnung war eine, | |
| die uns in Österreich zwei Jahre begleitet hat. Ab einem gewissen Zeitpunkt | |
| wurde sie aber von Fake News und teilweise von Lügenpropaganda bestimmt. | |
| Landwirt:innen wurde eingeredet, ihre Gründe würden enteignet werden. | |
| Hätten wir hier die Fake News früher klar benennen müssen? Ja, heute würde | |
| ich früher hinschauen. | |
| taz: Zeigt dieses Beispiel auch, dass es schwierig ist, den Menschen | |
| effektiven Klimaschutz zu vermitteln? | |
| Gewessler: Nein, das glaube ich nicht. | |
| taz: Warum nicht? | |
| Gewessler: Weil der Weg, den wir in den letzten Jahren gegangen sind, sehr | |
| viel Resonanz findet. Wir haben dafür gesorgt, dass Klimaschutz einfach, | |
| effizient und günstig ist. Das Klimaticket, mit dem alle öffentlichen | |
| Verkehrsmittel benutzt werden können, ist eines meiner Lieblingsbeispiele | |
| dafür. | |
| taz: Vor fünf Jahren traten Sie in die Politik ein und wurden schnell Teil | |
| der Regierung. Würden Sie der Politik den Rücken kehren, falls Ihre Partei | |
| nicht mehr in der Regierung ist? | |
| Gewessler: Nein, ich werde der Politik erhalten bleiben. | |
| taz: Egal ob in der Opposition oder der Regierung? | |
| Gewessler: Ja, weil ich davon überzeugt bin, dass grüne Politik einen | |
| echten Unterschied macht – für das Klima und für die Menschen in unserem | |
| Land. Die grüne Regierungsbeteiligung hat das Land grüner gemacht. Sie hat | |
| auch die unabhängige Justiz gestärkt und die Familien- und Sozialleistungen | |
| automatisch an die Teuerung angepasst. | |
| taz: Sie stehen mitten im Wahlkampf. Natürlich müssen Sie betonen, was Sie | |
| alles erreicht haben. Aber gibt es etwas, das Sie in Ihrer politischen | |
| Laufbahn bereuen? | |
| Gewessler: Wir haben vieles vom Regierungsprogramm umgesetzt. Es gibt | |
| Dinge, die nicht einmal im Regierungsprogramm standen und trotzdem | |
| eingeführt wurden, zum Beispiel das Einwegpfand. Aber es gibt auch Dinge, | |
| die offen geblieben sind. Eines davon ist der Bodenschutz. | |
| taz: Die umstrittene Werbeaktion auf Festivals, bei der es für ein Tattoo | |
| ein Klimaticket geschenkt gab, bereuen Sie nicht? | |
| Gewessler: Das war eine einmalige Aktion der GmbH, die das Klimaticket | |
| vertreibt. Sie hat sich an junge Erwachsene gerichtet, die einen anderen | |
| Umgang mit Tattoos haben als meine Generation. Es hat offensichtlich viel | |
| Aufmerksamkeit erregt, wenn Sie mich nach einem Jahr noch darauf | |
| ansprechen. Wir werden diese Aktion aber nicht wiederholen. | |
| 14 Sep 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Clemens Schreiber | |
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