# taz.de -- Sozialkürzungen in Großbritannien: Stress mit den eigenen Leuten | |
> Die britische Labour-Partei setzt sich bei der Kürzung von | |
> Heizkostenzuschüssen für Rentner durch. Doch es gibt Widerstand gegen die | |
> Sparpolitik. | |
Bild: Wird immer unbeliebter: Keir Starmer der bei armen Rentnern spart | |
München taz | Erst seit zwei Monaten an der Regierungsmacht, ereilte Keir | |
Starmers Labour-Regierung am späten Mittwochnachmittag ihre erste große | |
parteiinterne Rebellion bei einer Abstimmung über die Abschaffung der | |
sogenannten „Winter-Fuel-Allowance“, einem staatlichen Heizkostenzuschuss | |
zwischen umgerechnet 237 Euro und 356 Euro pro Jahr für Rentner:innen. | |
Der Zuschuss der seit 1997 an alle, zuletzt 11,4 Millionen Renter:innen | |
ausgezahlt wurde, ist seit Mittwoch nahezu abgeschafft, da Labour den | |
Antrag über dazu mit 348 gegen 228 Stimmen gewann. Nur noch 1,5 Millionen | |
der ärmsten britischen Rentner:innen erhalten nun diesen Zuschuss, wenn | |
sie Sozialhilfe beziehen. | |
Schuld der Tories? | |
Neben den Grünen, Liberaldemokrat:innen, Konservativen, SNP-Abgeordneten | |
und Reform-UK Abgeordneten, stimmten ganze 53 Labourabgeordnete nicht für | |
die Entscheidung, mit der Finanzministerin Rachel Reeves einen Teil des | |
Loch von 22 Milliarden Pfund stopfen will (umgerechnet 26,1 Mrd Euro), dass | |
die Konservativen angeblich hinterlassen hätten. | |
Mit den nicht mehr gezahlten Zuschüssen spart die Labour Regierung nun 1,2 | |
Mrd Pfund. Zahlreiche Hilfsorganisationen, darunter die Rowntree | |
Foundation, hatten gewarnt, dass die fehlenden Zuschüsse viele ältere | |
Menschen im Vereinigten Königreich buchstäblich kalt erwischen würden. | |
Arbeits-und Rentenministerin Liz Kendal sagte vor dem Unterhaus, dass die | |
Entscheidung keine wäre, die sie ursprünglich gewollt hätten. Vielmehr sei | |
die Verschwendung von Staatsressourcen durch die Torys schuld daran, meinte | |
Kenda, und bezeichnete die jetzige Maßnahme als Teil des | |
verantwortungsvollen Umgangs mit dem Geld von Steuerzahler:innen. | |
Zieht man von den 53 Labour-Abgeordneten, die nicht mit ihrer Fraktion | |
stimmten, jene ab, die wegen Amtsgeschäften bei der Abstimmung entschuldigt | |
waren, bleiben an die 40, die sich aus politischen Gründen ihrer Stimmen | |
enthielten bzw. wie der Labourabgeordnete Jon Trickett, der ehemalige | |
Schattenminister für Kommunen [1][unter Jeremy Corbyn], sogar dagegen | |
stimmten. Trickett sagte, es sei für ihn eine Entscheidung, die über Leben | |
und Tod bestimme. Dass lediglich Trickett gegen Labour stimmte, während | |
sich alle anderen einfach enthielten, ist der einzige Erfolg Starmers. | |
## Unabhängige und Corbyn-Anhänger gegen Starmer | |
Die meisten der Labour-Enthaltungen kamen vom linken Flügel der Partei, | |
viele aus dem Schattenkabinett des ehemaligen Labourchefs Jeremy Corbyn, | |
[2][etwa von Diane Abbott], und Clive Lewis, ehemalige Schattenminister | |
unter Corbyn. | |
Über die Labourabgeordneten hinaus stimmten zehn unabhängige Abgeordnete | |
gegen Labour. Zu ihnen zählt das von Ex-Labourchef Jeremy Corbyn angeführte | |
neue fünfköpfige Bündnis der Independent Group, welche größtenteils aus | |
einzelnen Abgeordneten besteht, die als propalästinensische Vertreter ins | |
Parlament gewählt worden waren. | |
Ebenso enthielten sich fünf von sieben im Juli suspendierten | |
Labour-Abgeordnete, die am Anfang der Starmer-Regierung für das Ende der | |
Begrenzung der Kindersozialhilfe auf maximal zwei Kinder pro Haushalt | |
gestimmt hatten, und dafür gleich aus der Fraktion ausgeschlossen wurden. | |
Unter ihnen befinden sich zwei weitere Personen aus Corbyns | |
Schattenministerium, John McDonnell und Richard Burgen, sowie Zarah | |
Sultana, Apsana Begum und Ian Byrne. Die anderen beiden suspendierten | |
Labourabgeordneten, Rebecca Long-Bailey und Imran Hussein enthielten sich | |
der Stimme. Alle sieben gehören der Socialist Campaign Group an, dem | |
sozialistischen Flügel Labours. | |
Zukünftiger Widerstand vorprogrammiert | |
All diese Politiker:innen könnten der Labourführung auch in Zukunft | |
zunehmend Probleme bereiten, denn die Abschaffung der Heizkostenzuschüsse | |
ist angeblich erst der Anfang einer Reihe von bisher noch nicht genannten | |
schwerwiegenden Maßnahmen. Sie sollen im neuen Finanzhaushalt am 30. | |
Oktober angekündigt werden, und für eine stabile Wirtschaft sorgen sollen, | |
indem sie das unerwartete Finanzdefizit ausgleichen. | |
Doch Kritik kam Dienstag nicht nur vor links. Zahlreiche konservative | |
Abgeordnete und der Abgeordnete Richard Tice von der rechten Reform UK | |
Partei kritisierten, dass Labour bisher streikenden Zugfahrer:innen, die | |
Löhne in Höhe von zwischen umgerechnet 71.000 und 83.000 Euro haben, eine | |
Lohnerhöhung von 15 Prozent gewährte, während man Rentner:innen mit viel | |
weniger Ressourcen Gelder streichen würde. | |
Die Maßnahme wird auch aufgrund der Tatsache, das Menschen im Rentenalter | |
die zuverlässigsten Wähler:innen sind, von manchen als politisch riskant | |
angesehen. Inwiefern die Starmer-Regierung all dies handhabt bleibt | |
abzuwarten. Laut einer YouGov Umfrage vom 3.September ist Starmers | |
Popularität seit der Wahl von 44 Prozent auf 35 Prozent gefallen. | |
11 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
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