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# taz.de -- Live-Stream von schwedischem TV: Die Elche wandern wieder
> Ein schwedischer Sender überträgt das live ins Internet. Unsere Autorin
> war auf einer Exkursion an den Drehorten und hat einen ganzen Kosmos
> entdeckt.
Bild: Frühjahr in Nordschweden: „Die große Elchwanderung“ ist inzwischen …
Härnösand taz | An den Paddeln klebt noch das Preisschild, die
Schwimmwesten leuchten wie frisch aus dem Laden: Es ist die Premiere
dieser Elchexkursion. Wir sind [1][Patrik Fängströms Testgäste], und jetzt
sollen wir aus der Bucht rauspaddeln, hinein in die Strömung des Flusses.
Die bringe uns auf unseren beiden Flößen sicher ans andere Ufer, verspricht
der Gastgeber.
Dunkelblau sieht der mäandernde Ångermanälven heute aus, wie der
Augusthimmel über ihm. Dazwischen ist alles grün, scheinbar endlos umrahmt
der Wald das Wasser. Dies wird mein Lieblingsteil des Tages, ich weiß es
schon. Alles daran ist besonders. Noch nie habe ich auf einem Floß
gesessen, nie die Welt von der Mitte eines Flusses aus betrachtet. Von mir
aus könnten wir noch eine Weile untätig bleiben.
„Da ist Södra Udden“, ruft Leif, der vor mir sitzt und lieber fotografiert
als zu paddeln. Er zeigt auf die Landzunge zu unserer Linken wie ein Guide,
dabei war er noch nie hier. Er kennt das alles nur sehr gut aus dem
Fernsehen.
[2][„Die große Elchwanderung“] begleitet im Frühling wochenlang den Alltag
sehr vieler Menschen in Schweden. Morgens, mittags, abends, nachts, 24
Stunden Livestream, aufgenommen von rund 30 vorwiegend ferngesteuerten
Kameras. Seit 2019 geht das so. Die Namen der Uferstellen, Lichtungen und
Buchten fließen dann wie selbstverständlich in Gespräche ein. Entrén, Södra
Udden, Näset. Geräusche von knackenden Zweigen und auf dem Wasser landenden
Vögeln werden zu kleinen Ereignissen, während alle gleichzeitig auf die
Hauptpersonen warten: Elche, die wie seit Jahrtausenden hier den Fluss
überqueren, auf ihrem Weg von der Küste zu den Sommerweiden der Berge.
## Der Guide ist ein waldhistorisch bewanderter Entertainer
Wir sind wie Serienfans auf Drehortbesichtigung. Diesen Ort gibt es
wirklich! Hier schwimmen sie! Das im Sommer zu erleben, wenn die Elche
nicht da sind, ist gewollt. Im Frühling soll man bitte von zu Hause auf dem
Sofa zugucken, nicht die Tiere stören.
Begrüßt hat Patrik Fängström unsere 20-köpfige Gruppe am Morgen mit Kaffee
vom Lagerfeuer, im Wald nahe der Kleinstadt Junsele, ungefähr 560
Kilometer nördlich von Stockholm. Seine vier frisch gezimmerten
Regenunterstände werden bestaunt, aber an diesem Tag nicht benötigt. Patrik
– in Schweden reicht der Vorname – erzählt kurz, was uns hier erwartet,
dann geht er die Flöße vorbereiten. Seine Gäste schickt er erst mal mit
Arne in den Wald.
Arne ist im Alltag Ingenieur in der Stadt, aber im Geiste ist er
Vollzeitwaldmensch, und heute unser Guide. Sehr unterhaltsam erzählt er,
wie er einmal fast von einem Bären gefressen wurde, und anschließend, was
es mit diesen großen Vertiefungen zwischen den Bäumen auf sich habe:
steinzeitliche Elchfallen. Die Forschung sei sicher, damit wurden die
Tiere einst gefangen. Nur wie genau man sie dazu gebracht hat,
hineinzustolpern, darüber werde noch gerätselt. Seine Theorien dazu spielt
Arne pantomimisch vor, ein waldhistorisch bewanderter Entertainer.
Als er thematisch in der Gegenwart ankommt, erzählt er von den großen
Waldwirtschaftskonzernen, die gut auf Elche verzichten könnten. Wir
besichtigen eine Fläche voller abgefressener Jungpflanzen. Monokulturen
nach Kahlschlag sind anfällig, könnte man anmerken, aber Arne ist kein
Umweltbewegter. Es werde kein Zurück zur Wildnis von einst geben. Ein
Gerangel bleibe es, zwischen den unterschiedlichen Bedürfnissen von Natur
und Mensch.
Wie sie anfangs über die Idee vom Elch-Livestream gewitzelt haben, auch
davon erzählt Arne. „Mach das gerne“, habe er zu Stefan Edlund, dem
Erfinder des Formats, gesagt. „Das wird zwar keinen interessieren, aber
wenigstens kann ich dann mein Zuhause im Fernsehen sehen.“ Über seine
Fehleinschätzung lacht er heute. 2024 lief die Elchwanderung [3][auf RTL+]
sogar erstmals in Deutschland.
## Dass Menschen Elche essen, gehört auch dazu
Wir sitzen mitten in dieser Landschaft, die längst nicht mehr nur auf
Einheimische vertraut wirkt. Eine Stunde verbringen wir auf dem Fluss, eine
herrliche und gerade passend aufregende Stunde, dann gibt die Strömung uns
wie versprochen an dem Ufer ab, wo ein „Wildnis-Lunch“ angekündigt ist.
Hier lächelt uns Emilia schon entgegen, sie steht hinter einer riesigen
Pfanne. Emilia ist Köchin, Jägerin, Bäuerin und Bäckerin in einem. Heute
serviert sie Elch. Die Tiere bewundern und sie dann essen: Das scheint hier
niemandem einer Erwähnung wert. Der Ausflug heißt „Die Geschichte der
Elche“. Dass Menschen sich von ihnen ernähren, gehört dazu.
Emilia serviert das gebratene Fleisch in selbst gebackenem Pitabrot, mit
eingelegten Zwiebeln und einem leichten Dressing. Begeisterung
allenthalben, so feines Essen mitten im Wald! Für die beiden
Vegetarierinnen gibt es Halloumi, auch eine vegane Variante wäre im Angebot
gewesen.
Leif postet die ersten Fotos in die Facebook-Fangruppe der Sendung. Dort
hatte Patrik auch seine Marktforschung betrieben und zur Premierenfahrt
eingeladen. Der 67-jährige Leif mag vor allem die „beruhigenden
Naturgeräusche“ der Sendung, und alle am Tisch können nur zustimmen. Er
schwärmt aber auch von der App, über die Fans mit den Menschen hinter den
Kulissen kommunizieren können. Die Community ist für viele ein wichtiger
Teil des Vergnügens.
## Nicht nur ein Drehort, ein ganzer Elchkosmos
Für den Schlussakkord dieses Tages wechseln wir die Location, der Bus fährt
uns zum Nämforsen und seiner steinzeitlichen Felskunst. Arne übergibt an
Peter, den Experten für Felsritzungen. Während der Wasserfall neben uns
lautstark Strom produziert, scharen wir uns am Ufer um die Spuren, die
Menschen vor Tausenden von Jahren hier hinterlassen haben. Damit auch
ungeübte Augen sie erkennen, sind sie teilweise rot ausgemalt. Peter
erzählt so laut er kann. Er stelle sich gerne vor, wie hier eine Frau saß
und in die Felsen einritzte, was in ihrem Leben wichtig war. Natürlich
waren das, neben Schiffen und Fischen: Elche.
Der Tag endet, wie er begonnen hat, mit einem gemeinsamen Kaffeetrinken.
Serviert wird im Hällristningsmuseum, mit Blick über den Fluss. Ich sitze
bei Roger und Susanne, den Gästen mit der kürzesten Anreise. Sie kommen
auch aus Junsele, produzieren dort Essigspezialitäten aus Waldbeeren. Es
sei toll, wenn jemand im Ort etwas Neues ausprobiert, finden sie. Sie
wünschen Patrik, dass seine Idee Früchte trägt. Im nächsten Jahr will er
die Tagestour regulär anbieten.
An der örtlichen Tankstelle hängt ein handgeschriebener Zettel, ich sehe
ihn beim Tanken auf dem Heimweg. „Wir haben geräucherte Elchherzen im
Kühlschrank. Oh, wie herrlich!“ Ich habe nicht nur einen Drehort
besichtigt, sondern einen ganzen Elchkosmos durchstreift.
30 Sep 2024
## LINKS
[1] https://algenshistoria.se/
[2] /Slow-TV-in-Skandinavien/!5767246
[3] https://plus.rtl.de/video-tv/shows/die-grosse-elchwanderung-990275?utm_sour…
## AUTOREN
Anne Diekhoff
## TAGS
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