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# taz.de -- Manu Chaos neues Album: Du hast nur ein Leben
> Plausch mit der Nachbarin statt Global Pop. Manu Chao kehrt nach 17
> Jahren mit dem Album „Viva Tu“ auf die große Bühne zurück.
Bild: Mano Chao in Barcelona, 2023
So ganz weg war er nie, er blieb musikalisch aktiv – nur eben tat er das
nicht für alle sichtbar, sondern als Lokalheld. Für viele machte es dennoch
den Anschein, als sei [1][Manu Chao] gänzlich von der Bildfläche
verschwunden. Dabei hat der „Desparecido“, der Vermisste, nicht aufgehört,
Musik zu machen.
Jetzt endlich, 17 Jahre nach seinem letzten Album „La Radiolina“ aus dem
Jahr 2007, erscheint ein neues Werk unter dem Titel „Viva Tu“. In der
Zwischenzeit war der rebellische Troubadour, der um die Jahrtausendwende
als Stimme des Globalen Südens galt, wie ein ruheloser Nomade um die Welt
gereist. Südamerika, Afrika, Europa und immer wieder zurück nach Barcelona,
wo der 63-Jährige seine eigene Bar Mariatchi betreibt.
Manu Chao, der Baske, der vor allem auf Spanisch, Französisch, Englisch und
Portugiesisch singt, der Weltstar des Mestizo-Stils, des von ihm
mitgeprägten Kauderwelschs aus Reggae, Ska, Rock und folkloristischen
lateinamerikanischen Elementen, gab keine Konzerte mehr außerhalb von
Barcelona.
Stattdessen trat er mit befreundeten Musiker*innen in Theatern,
Zirkuszelten, städtischen Parks und in seiner Taverne auf. Weiterhin
bereit, die Stimme zu erheben, für jene, die sich für „[2][Pacha Mama]“,
die von den Quechua und Aymara als allmächtige Göttin verehrt wird, und für
die Gerechtigkeit einsetzen.
Fast ein Jahrzehnt blieb der King of Bongo – der mit der Neuversion „Bongo
Bong“ im Jahr 2000 seinen internationalen Durchbruch schaffte – dem
Medienrummel fern, er gab keine Interviews mehr. Jetzt also plötzlich „Viva
Tu“, 13 neue Songs.
## Eine emotionale Reaktion auf das Weltgeschehen
Manu Chaos Gitarre schlägt zu Beginn seines neuen Albums nachdenkliche,
fast zarte Töne an. Für einen kurzen Augenblick kommt Sorge auf, dass dem
Weltstar im jahrzehntelangen Kampf gegen Ungerechtigkeit seine Leichtigkeit
abhanden gekommen sein könnte.
Wer genau hinhört, merkt aber schnell, „Viva Tu“ ist nach gewohnter
Manu-Chao-Manier choreografiert und stellt seine glaubwürdige und
emotionale Reaktion auf das Weltgeschehen dar. Dem Aufmarsch des
Rechtspopulismus begegnet Manu Chao mit mehr Melancholie und weniger Rock,
das ist mehr als nur eine Geste.
Die Musik oszilliert wie in seinen vorherigen Alben zwischen punkiger
Aufrichtigkeit, die benennt, wie verkehrt unsere Welt doch tickt, und
karibisch anmutenden Melodien, die fröhlich antreiben.
## Alltägliche Rebellion
Schon im Titelsong, „Viva Tu“, zelebriert der Künstler mit seinen typisch
minimalistischen Gitarrenriffs die kleinen Gesten der Held:Innen des
Alltags. Er feiert seine Nachbarinnen, deren Lächeln im Vorbeigehen einen
kurzen Moment von Zusammenhalt stiftet. Vielleicht ist dies das Geheimnis,
dass Manu Chaos Musik dabei überhaupt nicht revolutionär klingt – weder
technisch noch in ihrer Botschaft. Aber hier poppt auf, was den Kern dieser
Musik ausmacht: Es ist die alltägliche Rebellion gegen die
Schwerfälligkeit, eine Feier der schlichten Existenz.
Das gesamte Album stellt eine Hommage an das Banale dar – an die Nachbarn,
die man auf dem Weg zur Bäckerei trifft, die Leute von der Straßenreinigung
und alle anderen, die das städtische Miteinander überhaupt ermöglichen und
lebenswert gestalten.
Der Reggae-lastige Track „São Paulo Motoboy“ ist den Motorradkurieren in
der brasilianischen Metropole gewidmet, die unter prekären
Arbeitsbedingungen tagtäglich wie unsichtbare Superhelden durch den dichten
Verkehr sausen. Musikalisch bringt der Song die hektische, chaotische
Atmosphäre der Stadt zum Ausdruck: treibende Rhythmen und ein roher Sound
spiegeln die Rastlosigkeit, den Stress des urbanen Lebens wider.
## Verliebt ins Leben
Um dem Banalen seinen Glanz zu verleihen, packt Chao seinen Zaubertrank
aus: Er verliebt sich immer wieder neu – ins Leben. Noch einmal müssen wir
zum Titeltrack „Viva Tu“ zurückspulen. Darin fordert er seine Mitmenschen
auf zu leben. Viva Tu! Lebe! Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Manu
Chaos Gitarre, melancholisch, verträumt, fegt den Albdruck der Existenz weg
und lässt die Zuhörenden wieder im altbekannten Klanguniversum des
Global-Pop-Meisters ankommen.
Zärtliche Chansons, belebende, fröhliche Rumba und federnder Dub stehen
dabei im Kontrast zu seinen teils düsteren Songtextzeilen. Chao lässt es
sich nicht nehmen, von einer Geschichte der Verrückten zu erzählen, einer
Welt, in der alle blind im Stehen träumen: „C’est une histoire de fous/
Aveuglés de partout/ Qui rêvent debout.“ In „La Couleur du Temps“ warnt…
Baske vor einem kollektiven Suizid. Gut getarnt im Mantel des
Neoliberalismus soll dieser nicht mit Erfolg oder gar Fortschritt
verwechselt werden.
## Momente zum Durchatmen
Trotz der harten Themen gelingt ihm der Kniff, mit seiner fast kindlichen
Freude glimmende Hoffnung in seinen Liedern durchscheinen zu lassen. Es ist
nicht das große politische Statement, das die Fans vielleicht von ihm
erwartet haben. Stattdessen ist „Viva Tu“ ein Album der kleinen
Mosaiksteine, Facetten der alltäglichen Konflikte.
Eine Erinnerung daran, dass es den Mühlstein des Seins jeden Tag aufs Neue
ins Rollen zu bringen gilt. In einer Zeit, in der große gesellschaftliche
Themen und politischen Krisen die Nachrichten dominieren, lässt sich mit
Manu Chaos Musik einen Moment durchatmen.
20 Sep 2024
## LINKS
[1] /Biografie-von-Manu-Chao/!5041775
[2] /Die-Indigenas-in-Ecuador/!5174667
## AUTOREN
Hannah Möller
## TAGS
Musik
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