Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Anwohnerprotest im Berliner Norden: Bäume statt Autos
> In Frohnau sollten 80 Ahornbäume einem Parkstreifen weichen. Eine
> Bürgerinitiative stellt sich dagegegen und verhindert die Fällung in
> letzter Minute.
Bild: Über 70 Jahre alt sind die Ahornbäume in der Senheimer Straße. Dank de…
Beriln taz | Sanft scheinen die herbstlichen Sonnenstrahlen durch das noch
grüne Blätterdach der anmutigen Ahornbäume in der Senheimer Straße [1][im
Berliner Ortsteil Frohnau]. Sie fallen auf ein Holzkreuz mit einem Zettel,
das an einem Gartenzaun befestigt ist. „Bäume weg? Nein Danke“, steht auf
dem Papier. Daneben der Link zu einer Petition. Um ein Haar wäre die
östliche Seite der Allee im Rahmen einer Straßensanierung einem
Parkstreifen gewichen. Doch eine Initiative unermüdlicher
Anwohner*innen kämpfte in den vergangenen Monaten um den Erhalt ihrer
Straßenbäume – mit Erfolg.
Durch Zufall erfuhr Cornelia Gumbel im März auf der Homepage des
Reinickendorfer Bezirksamts, dass knapp 80 der zum Teil über 70 Jahre alten
Ahornbäume in ihrer Straße gefällt werden sollen. Von der geplanten
Sanierung und Asphaltierung der Senheimer Straße wusste sie. Doch von den
geplanten Baumfällungen war ihr bislang nichts bekannt.
„Ich dachte, das kann doch nicht sein, dass hier 80 Bäume gefällt werden“,
erinnert sich Gumbel. „Das fällt doch aus der Zeit!“ Denn die Bäume sind
nicht nur charakteristisch für den Nordberliner Ortsteil Frohnau, der
bereits Anfang des 20. Jahrhunderts als [2][sogenannte Gartenstadt]
konzipiert wurde. Bäume haben auch wichtige ökologische Funktionen und
leisten effektiven Klimaschutz: Durch ihre Verdunstung sind sie natürliche
Klimaanlagen, ihre Photosynthese sorgt für Sauerstoff und filtert die Luft
und ihre Baumkronen spenden Schatten und bieten Lebensraum. In Zeiten der
voranschreitenden Erderhitzung sind sie essenziell, um [3][ein lebenswertes
Stadtklima zu bewahren].
## Fünf Familien machten den Anfang
Die Bäume müssen erhalten werden, wusste Gumbel und alarmierte den
Umweltverein BUND und den Frohnauer Bürgerverein. Schnell schlossen sich
ihre Nachbar*innen an. Erwin Reiners ist einer davon. „Wir waren fünf
Familien, die hier zum Teil schon seit 40 Jahren wohnen“, erzählt er. „Und
wir haben uns gesagt: Wir machen da jetzt was!“ Sie verfolgten regelmäßig
Sitzungen der Reinickendorfer Bezirksverordnetenversammlung (BVV) und
reichten dort ihre Fragen zu den Bäumen ein. Unterstützt wurden sie von der
Grünen-Fraktion, die einen Dringlichkeitsantrag stellte. Am 25. Mai
gründeten die Nachbar*innen die Initiative Senheimer Straße. Schnell
wuchs die Gruppe auf 50 Mitglieder, von denen rund ein Dutzend als harter
Kern aktiv blieb.
Die Sanierungspläne für die Senheimer Straße existieren bereits seit 2017.
Damit die Freiwillige Feuerwehr, deren Wache sich seit Januar dieses Jahres
am Ende der Straße befindet, schneller zu ihren Einsätzen fahren kann,
sollte die Fahrbahn asphaltiert und inklusive der seitlichen Parkstreifen
um 50 Zentimeter nach Osten verschoben werden. „Dadurch sollten die
westlichen Bäume vor den Umbaumaßnahmen geschont werden“, erklärt Andreas
Rietz von der Grünen-Fraktion der taz. Die Bäume auf der östlichen Seite
sollten jedoch weg.
Verkehrsstadträtin Julia Schrod-Thiel (CDU) begründete die Baumfällungen
stets mit der eingeschränkten Verkehrssicherheit durch die vermeintlich
kranken Straßenbäume. Dabei bezog sie sich auf ein Gutachten, das 2017 vom
Bezirksamt durchgeführt wurde und zwischen 60 und 80 Bäume identifizierte,
die tot oder „in ihrer Vitalität eingeschränkt“ seien. Die Mitglieder der
Bürgerinitiative konnten das nicht nachvollziehen. „Auf uns wirkten die
Bäume vollkommen gesund“, erklärt Gumbel. Doch das Gutachten war nicht
öffentlich einsehbar.
Acht Wochen lang machten die Nachbar*innen in der BVV Druck, um an das
Dokument heranzukommen. „Wir haben die richtig genervt“, sagt Gumbel.
Während die Stadträtin Schrod-Thiel weiterhin die Notwendigkeit der
Fällungen verteidigte, begannen die Abgeordneten der anderen Fraktionen,
sich für den Fall zu interessieren und forderten ebenfalls Einsicht in das
Gutachten. Mitte Juni kündigte Schrod-Thiel schließlich an, ein neues
Gutachten erstellen zu lassen. Dabei machte sie deutlich, dass sie nicht
davon ausgehe, dass es den Bäumen inzwischen besser geht. Kurze Zeit später
war der Druck so groß, dass das alte Gutachten doch publiziert wurde.
## Wachsende Kritik
Mit der Veröffentlichung wurde die Kritik noch lauter. „Das Gutachten wirft
eine Reihe von Fragen auf und macht es schwer, die bisherigen Aussagen der
zuständigen Stadträtin nachzuvollziehen“, urteilten etwa die Grünen. Es
würde dort keine einzige Fällung empfohlen und auch Erkenntnisse zu
Krankheiten gebe das Gutachten nicht her. Der Bürgerinitiative fiel zudem
auf: Nur die Bäume auf der Ostseite – also die, die den Parkplätzen im Weg
waren – schienen in ihrer Vitalität eingeschränkt zu sein. Die auf der
Westseite sollten dagegen alle gesund sein.
Etwa einen Monat später erschien das neue Gutachten. Statt der ursprünglich
60 bis 80 kranken Bäume, die gefällt werden müssten, war plötzlich nur noch
von elf die Rede. Abgesagt wurden die Pläne zunächst trotzdem nicht, denn
die Abgeordneten befanden sich in der Sommerpause. Mit einer
Online-Petition versuchte die Bürgerinitiative nun, die Fällung der Bäume,
die bereits ab dem 1. Oktober geplant war, zu verhindern. Die Petition
wurde seit dem 20. Juli mehr als 1.000 Mal unterzeichnet.
Es müsse „kein einziger Baum gefällt werden, wenn auf einer Straßenseite
auf den Parkstreifen verzichtet wird“, heißt es in der Petition. Zumal
keinerlei Parkdruck bestehe. Ohne den geplanten Parkstreifen könnten nicht
nur alle gesunden Bäume erhalten werden, die Freiwillige Feuerwehr bekäme
sogar eine noch bessere Durchfahrt. „Hier lag der Grundfehler in der
Planung“, sagt der Grünen-Abgeordnete Rietz. „Man wollte die gesamte Stra�…
verschieben, inklusive der beiden seitlichen Parkstreifen. Aber es hätte
ein Streifen auf einer Seite gereicht.“
Anderthalb Monate später kam dann plötzlich die Wendung: Mitte September
verkündete Stadträtin Schrod-Thiel: „Die Fällungen von Bäumen auf der
östlichen Seite zur Sanierung der Senheimer Straße wurden verworfen.“ Die
Abgeordneten der anderen Fraktionen beglückwünschten die Bürgerinitiative.
Es sei „beeindruckend“, in welch kurzer Zeit diese es geschafft habe, „hi…
einen ganz grundsätzlich neuen Weg zu eröffnen“, lobte etwa David Jahn von
der FDP.
## Initiative will wachsam bleiben
Ob sie zufrieden sind mit den Planänderungen? Ja, antworten Gumbel und
Reiners. Das Hauptziel haben sie erreicht, die Bäume können bleiben –
zumindest ein Großteil von ihnen. Doch das reicht ihnen nicht. Auch die elf
Bäume, die laut neuem Gutachten gefällt werden sollen, wollen sie noch
retten. „Wir werden die Baumaßnahmen bis zum Schluss begleiten“, betont
Gumbel. Erst wenn diese abgeschlossen sind, würden sie die Bürgerinitiative
auflösen. Zumindest so halb. Denn es gibt bereits weitere Sanierungspläne
in der Umgebung. Sollten sie von Initiativen aus anderen Straßen hören,
würden sie wieder aktiv werden und helfen. „Wir sind ja jetzt Experten“,
sagt Reiners lachend.
26 Sep 2024
## LINKS
[1] https://www.berlin.de/ba-reinickendorf/ueber-den-bezirk/ortsteile/frohnau/a…
[2] https://www.frohnau-berlin.de/frohnau/die-gartenstadt.html
[3] /!s=lebenswertes+Stadtklima/
## AUTOREN
Tabea Kirchner
## TAGS
Reinickendorf
Bezirksamt
Feuerwehr
Bäume
Bäume
Wohnungsbau
Straßenverkehr
## ARTIKEL ZUM THEMA
Start der Fällsaison: „Als Ultima Ratio die Polizei“
Der Herbst bringt Sägen: Baumschutzexperte Uwe Bahr vom BUND Berlin
erklärt, was im Falle des Fällens getan werden kann.
Baumfällungen auf der Landsberger Allee: 63 Bäume für sechs Spuren
Damit der Autoverkehr weiter rollt, wurden auf der Landsberger Allee 63
Bäume gefällt. Anwohner sind empört, selbst Autofahrer sind dagegen.
Umstrittenes Gesobau-Projekt in Pankow: „Die Beteiligung war eine Farce“
Noch im November könnte der Rodungsstopp an der Ossietzkystraße aufgehoben
werden. Die Wut der AnwohnerInnen über die landeseigene Gesobau ist groß.
Baumfällungen für Straßenausbau: Abgeholzte Alleen
Im Kreis Cloppenburg werden Hunderte Bäume für breitere Straßen gefällt.
Der CDU-geführte Kreis ziele damit nur auf Fördergeld ab, vermutet der
Nabu.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.