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# taz.de -- Stasi-Vorwürfe gegen Ulli Blobel: Der DDR-Jazz und das Spitzelsyst…
> Eine Diskussion in Leipzig befasst sich kaum mit Stasi-Vorwürfen gegen
> den Jazz-Organisator Ulli Blobel. Im Podium bleibt man sich weitgehend
> einig.
Bild: Ulli Blobel: deutscher Musikmanager, Konzertveranstalter und Plattenprodu…
Beim Podium „Herkunft und Freiheit“ der Leipziger Jazzwerkstatt am
Sonnabend hatte Ulli Blobel als Zentralfigur des DDR-Jazz gleich das erste
Wort. Launig, eloquent und leicht berlinernd stellte er „DAS Bassposaune“
vor, die [1][Legende Conny Bauer]. Nach dessen langem Solo setzte die
Diskussion nicht minder launig fort, und teils weit angereiste Mitglieder
der DDR-Jazzgemeinde hatten ihre Freude an eingestreuten Anekdoten. Vor
allem aus Peitz nördlich von Cottbus, dem Woodstock der Szene.
Gerade dieses Symbol einer nonkonformen Jazzkultur im Land der
FDJ-Singeklubs aber hätte den erfreulichen Anlass auch sprengen können. Die
Deutsche Nationalbibliothek übernimmt jetzt die Archive der Peitzer
Jazzwerkstatt. [2][Am 15. Juni dieses Jahres erschien aber in der taz eine
Doppelseite, die sich mit möglichen Staatssicherheitsverstrickungen des
populären Mitgründers des Peitzer Jazzmekkas Ulli Blobel befasste]. Der
bestreitet im Artikel Kontakte zur Stasi nicht, um Konzerte durchführen zu
können, wohl aber jede formelle Verpflichtungserklärung als Inoffizieller
Mitarbeiter „Thomas“.
In der Leipziger Diskussion waren zwar mit dem exponierten [3][Historiker
Ilko-Sascha Kowalczuk] und dem seit 24 Jahren amtierenden Präsidenten der
Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, zwei im taz-Artikel
zitierte damalige Zeitzeugen anwesend.
Kowalczuk hatte die Vermutung Blobels für äußerst unwahrscheinlich erklärt,
seine Akte könne gefälscht sein, und bedauert, dass er nicht selbst in die
Offensive gegangen sei und damit auch dem Ruf von Peitz geschadet habe. Der
Fall Blobel aber kam nur mittelbar über das allgemeine Spannungsverhältnis
zwischen Jazzern und dem SED-Staat zur Sprache.
## Freundschaftliche Stimmung nicht stören
Er habe diese offenen Fragen nicht angeschnitten, um „nicht wieder als
Störenfried dazustehen“ und die freundschaftliche Stimmung nicht zu stören,
plauderte Kowalczuk nach der Diskussion. Fast 35 Jahre nach dem Sturm auf
die Stasi-Zentralen ist gerade er als exzellenter Kenner des
DDR-Spitzelsystems kein Jakobiner.
Was Kowalczuk beisteuerte, entlastete Blobel sogar indirekt. „Die
Staatssicherheit machte keine eigenständige Kulturpolitik“, weiß er, und
ein suspekter Ort wie Peitz habe in der Hand der sozialistischen
Einheitspartei SED gelegen. Der Jazz sei ohnehin „kein Schwerpunkt der
Beobachtung gewesen“, seine Anhänger „habituell nicht auffällig“ im
Gegensatz zu Bluesern, Punks, Hippies oder Skins.
Das nonverbale Kunstgenre habe Jazzmusik auch weniger angreifbar gemacht,
war man sich im Podium einig. Der nach der Wende durch zahllose
MDR-Sendungen bekannter gewordene Bert Noglik stufte sie eher maßvoll ein.
Der Musikjournalist sprach von „Musik für die, die Grenzen überschreiten
wollten“, von „interkommunikativer Musik“ und von einem „alternativen
Segment“.
## Tausend Flaschen Wein
Und Blobel selbst? Mit seinen Erinnerungen erntete er reichlich Heiterkeit,
zumal er sie mit vielen der etwa 120 Gäste teilen konnte. In der Startphase
der Jazzwerkstatt Peitz 1973 „waren Genehmigungsverfahren weniger schwierig
als die Versorgung der Teilnehmer“, schildert er Vorgänge, die an die
biblische Geschichte von der wunderbaren Brotvermehrung bei einer Predigt
Jesu erinnern. Tausend Flaschen Wein mussten übers Jahr eingelagert werden,
damit jeder Fan vielleicht eine halbe bekam.
Ansprechpartner war erst einmal der Dorfpolizist, später zwei Typen in
Lederjacken, das Finanzamt. Mit „Westausländern“ wurde es komplizierter,
Blobel musste Berichte schreiben, wer da war. Er habe dann improvisiert und
Namen verdreht, „damit es gut ausgeht“. „Man wollte, dass ich mehr
erzähle“, lässt er den Ausgang offen. Als 1982 Peitz verboten wurde, habe
er faktisch Berufsverbot erhalten und sei zur Ausreise gedrängt worden,
stellt er die Phase bis zur Übersiedlung nach Wuppertal 1984 dar.
Nach der Diskussion angesprochen, bezeichnete Ulli Blobel den taz-Artikel,
gegen den er erfolglos geklagt hatte, als verletzend. „Ich habe meine Akte
seit 35 Jahren nicht mehr gelesen, weil ich mir mein Leben danach nicht
kaputtmachen wollte.“ Seit 2011 gibt es Peitz wieder, von seiner Tochter
Marie geleitet. Den finalen Satz der Diskussion steuerte der damalige
Bürgerrechtler Thomas Krüger bei: „Wer über Vergangenheit redet, redet üb…
die Gegenwart.“
23 Sep 2024
## LINKS
[1] /Jazz-in-der-DDR/!5947506
[2] /Wie-verstrickt-war-Ulli-Blobel/!6015075
[3] /Ostdeutsche-Friedensbewegung/!5990106
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Jazz
DDR
Stasi
Free Jazz
DDR
Nato
Jazz
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