# taz.de -- Immobilienaufwertung in Berlin: Wenn die Verdrängung klingelt | |
> In einem Neuköllner Milieuschutzgebiet wertet ein Eigentümer sein Haus | |
> auf – ohne Genehmigung. Kein Einzelfall: Die Bewohner fühlen sich | |
> machtlos. | |
Bild: An einem Ministerium ist eine Klingel mit Kamera üblich – bei Mietshä… | |
Berlin taz | Sie ist nicht groß. Acht mal acht Zentimeter misst die | |
Glasscheibe am Klingelbrett der Niemetzstraße 8 in Neukölln. Doch für die | |
Mieter und den Kiez macht sie einen großen Unterschied. | |
Seit 2022 hat das Haus eine Videogegensprechanlage. Dank derer können die | |
Mieter nicht nur mit denen sprechen, die an der Haustür klingeln. Sie sehen | |
auch ein Bild, das die hinter der kleinen Glasscheibe gelegene Kamera vom | |
Hauseingang aufnimmt. Doch ob die Anlage auch dorthin gehört, darüber | |
streitet sich der Eigentümer nicht nur mit seinen Mietern, sondern auch mit | |
dem Bezirk. | |
Zu sehen, wen man ins Haus lässt, kann zweifelsohne Vorteile haben. Deshalb | |
werden insbesondere hochpreisige Neubauten regelmäßig mit solchen | |
Videogegensprechanlagen ausgestattet. Doch genau da liegt das Problem: Die | |
Niemetzstraße 8 ist kein Neubau. Zudem liegt sie im Neuköllner | |
Milieuschutzgebiet Rixdorf. | |
In [1][Milieuschutzgebieten] müssen Modernisierungen durch das Bezirksamt | |
genehmigt werden. Ein Eigentümer [2][kann nicht ohne Erlaubnis] bauliche | |
Aufwertungen an einem Haus vornehmen. Damit soll verhindert werden, dass | |
sich infolge von Mieterhöhungen nach Modernisierungen die Zusammensetzung | |
der Bevölkerung in den Quartieren verändert. | |
## Mehrere Fälle | |
Erst im Juni hatte die taz über einen Fall im Milieuschutzgebiet | |
[3][Rixdorf berichtet], bei dem das Unternehmen Covivio ohne Genehmigung | |
energetische Sanierungen durchführte. Auch der Eigentümer in der | |
Niemetzstraße 8 hatte für den Einbau der Videosprechanlage keine | |
Genehmigung. Den Mietern wurde der Einbau trotzdem als | |
Modernisierungsmaßnahme angekündigt. | |
Erst nach Aufforderung des Bezirksamtes stellt der Eigentümer einen Antrag, | |
den das Bezirksamt im Dezember 2022 ablehnte. Für den Bezirk ist die | |
Modernisierung nicht mit dem Milieuschutz vereinbar. Warum die Anlage trotz | |
fehlender Genehmigung dennoch eingebaut wurde, beantwortet der Eigentümer | |
auf taz-Anfrage nicht. Ein Mitarbeiter will stattdessen wissen, woher die | |
taz von der Angelegenheit erfahren hat. | |
Der Eigentümer Armin H. hat auch in Kreuzberg in der Oppelner Straße 20 | |
bereits den Unmut der Nachbarschaft auf sich gezogen. [4][Im Wrangelkiez] | |
hatte der Kinderladen „Irgendwie Anders“ lange Zeit gegen eine Mieterhöhung | |
durch H. protestiert. Mittlerweile ist er deswegen aus dem angestammten | |
Kiez nach Mitte gezogen. | |
Auch die Mieter aus der Niemetzstraße 8 sind nicht gut auf den Eigentümer | |
und die wechselnden Hausverwaltungen zu sprechen. Die Namen der Mieter sind | |
der taz bekannt, aus Angst vor negativen Konsequenzen wollen sie aber | |
anonym bleiben. Die Bewohner berichten, dass den Mietparteien, die die | |
Modernisierungsarbeiten nicht geduldet haben, über Monate hinweg Klingel, | |
Gegensprechanlage und Türöffner abgestellt worden seien. Dadurch sei es | |
ihnen nicht mehr möglich gewesen, Besuch über die Klingelanlage ins Haus zu | |
lassen. | |
## Nachgeben auf Druck hin | |
Manche hätten wegen des Drucks der Hausverwaltung und dem Wunsch nach einer | |
funktionierenden Gegensprechanlage schließlich nachgegeben. Mit anderen hat | |
sich der Eigentümer vor Gericht geeinigt. Inzwischen habe nur noch eine | |
Mieterin im Haus den Einbau nicht akzeptiert, die sei vom Eigentümer auf | |
Duldung des nicht genehmigten Einbaus verklagt worden. Gleichzeitig | |
versucht er, die fehlende Genehmigung vom Bezirk einzuklagen – bisher | |
erfolglos. | |
In der Begründung des Verwaltungsgerichts zur Abweisung der Klage, die der | |
taz vorliegt, heißt es, dass solch eine Videogegensprechanlage einen | |
teureren Weiterverkauf von Wohneinheiten und eine höherpreisige Vermietung | |
ermöglicht. Dazu komme, wenn einmal eine solche Anlage genehmigt werde, | |
könnten Eigentümer umliegender Häuser nachziehen – was letztlich eine | |
Aufwertung des ganzen Quartiers nach sich ziehe. | |
Der Eigentümer ist gegen das Urteil in Berufung gegangen. Sollte die | |
abgewiesen werden, muss der Eigentümer die Anlage zurückbauen. „Innerhalb | |
des Ordnungswidrigkeitsverfahrens kann dann auch ein Bußgeld verhängt | |
werden“, heißt es seitens des Bezirksamts. Bis dahin kann jedoch noch | |
einige Zeit vergehen. „Es kann doch nicht sein, dass offensichtlich | |
rechtswidriges Verhalten von Eigentümern solange nicht sanktioniert wird, | |
bis alle Mieter resigniert haben“, zeigt sich eine Mietpartei frustriert. | |
19 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.berliner-mieterverein.de/recht/infoblaetter/info-68-milieuschut… | |
[2] https://www.berlin.de/sen/wohnen/wissen-fuer-mieter/berliner-mietratgeber/m… | |
[3] /Milieuschutz-in-Berlin-Neukoelln/!6015658 | |
[4] /Wrangelkiez/!t5021975 | |
## AUTOREN | |
Yannic Walther | |
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