# taz.de -- Ahmadiyya-Konferenz „Jalsa Salana“: 40.000 Muslime in Mendig | |
> Zum 48. Mal treffen sich die Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinde in | |
> Deutschland. Diesmal findet die „Jalsa Salana“ in Mendig, | |
> Rheinland-Pfalz, statt. | |
Bild: Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinschaft auf dem ehemaligen Flugplatz in Men… | |
Mendig taz | Am Freitagmorgen herrscht in der rheinland-pfälzischen Stadt | |
Mendig ein ungewöhnliches Treiben. Kilometerlange Staus auf den | |
Zufahrtsstraßen und hunderte Menschen am Bahnhof – alle mit demselben Ziel: | |
den Flugplatz Mendig. Hier, etwa 25 Kilometer westlich von Koblenz, war es | |
zuletzt 2016 während des Festivals „Rock am Ring“ so voll. An diesem | |
Wochenende jedoch zieht die „Jalsa Salana“ über 40.000 Muslime und | |
Musliminnen an – die Jahreskonferenz der [1][Ahmadiyya Muslim Jamaat], | |
einer der größten islamischen Gemeinschaften in Deutschland | |
Nach einer gründlichen Sicherheitskontrolle erreichen die | |
Besucher:innen das Gelände auf dem ehemaligen | |
Bundeswehr-Heeresflugplatz. Heute dient er als Testgelände für Fahrzeuge. | |
Ein massiver Zaun trennt die Bereiche in einen für Männer und einen für | |
Frauen. Kontrolleurinnen lassen die Frauen in ihren Bereich, während | |
tausende Männer in weißem Gewand, dem traditionellen Thawb, über das | |
Gelände spazieren. Die weißen Zelte reihen sich aneinander: rund 200 für | |
Veranstaltungen, Ausstellungen und Gebete, weitere 800 als Unterkünfte. Das | |
alles ist in wenigen Wochen entstanden, vor allem durch die ehrenamtliche | |
Arbeit von Hunderten von Gemeindemitgliedern. | |
„Das ist das größte Zelt Europas“, erklärt Wahaj bin Sajid stolz und zei… | |
auf eines der riesigen Zelte. „Liebe für alle, Hass für keinen“, steht auf | |
großen Bannern an der Decke. Vor dem gemeinsamen Freitagsgebet lauschen | |
Hunderte Männer gespannt der auf vielen Bildschirmen übertragenen Ansprache | |
des Kalifen genannten Oberhaupts der Ahmadiyya-Gemeinschaft, Mirza Masroor | |
Ahmad. Viele tragen Kopfhörer, denn die Rede wird simultan in 13 Sprachen | |
übersetzt. | |
Einige sind enttäuscht, dass der Kalif nicht persönlich anwesend ist, | |
sondern sich krankheitsbedingt aus einem britischen Dorf zuschalten lässt. | |
„Islamabad, UK“, steht unter seinem Bild. „Das ist ein Anwesen in England, | |
nicht die Hauptstadt Pakistans“, flüstert der 42-jährige Jurist mit dem | |
schwarzen Bart. Das Grundstück gilt als Hauptsitz der Ahmadiyya-Gemeinde. | |
## „Ein großes Familientreffen“ | |
Dass das Gelände nach der pakistanischen Hauptstadt benannt wurde, ist | |
jedoch kein Zufall. Ein Großteil der Ahmadiyya-Gemeinde stammt aus | |
Pakistan, wo sie durch die Verfassung als nicht-Muslim:innen [2][anerkannt | |
und verfolgt] werden. Viele flohen schon in 1970er nach England oder | |
Deutschland. So kamen auch die Eltern von Rameza Monir nach Deutschland. | |
Die Jalsa Salana, die in diesem Jahr zum 48. Mal in Deutschland | |
stattfindet, sei ein wichtiger Teil ihrer Kindheit gewesen, erinnert sich | |
die 28-jährige Politikstudentin freudig. | |
Jetzt ist sie mit ihrem dreijährigen Kind und ihrem Mann da und freut sich, | |
dass auch ihr Kind diese Erfahrung machen kann. „Jalsa Salana war schon | |
immer ein Höhepunkt für unsere Familie. Es ist wie ein großes | |
Familientreffen.“ Man merkt, wie sehr sie das Gemeinschaftsgefühl schätzt: | |
„Wir freuen uns vor allem auch auf viele Leute, die man sonst ein Jahr lang | |
nicht sieht“. Nach dem Wochenende habe man ein besonderes Gefühl der | |
Gemeinschaft und „einen spirituellen Boost – man kommt gemeinsam Gott | |
näher“. | |
Monir ist eine von vielen Frauen, die das Wochenende auf dem Flugplatz | |
verbringen. Viele engagieren sich bei dem selbstorganisierten Treffen | |
ehrenamtlich. Für die Frauen sei es empowernd, an diesem Wochenende neue | |
Rollen zu übernehmen, die sie sonst nicht ausprobieren würden, erzählt | |
Monir – so arbeiten die Frauen als Sicherheitskräfte, in der Anmeldung oder | |
im Presseteam, wie zum Beispiel Rabea Rehman. „Oh, das sind ja meine | |
Kinder!“, ruft die 29-Jährige freudig aus, als sie ihren Mann und ihre | |
Kinder auf dem Gelände sieht. Frauen können sich im Männerbereich frei | |
bewegen, umgekehrt ist dies jedoch nicht erlaubt. | |
Die Ahmadiyya-Gemeinschaft, die sich als liberal, aber wertekonservativ | |
bezeichnet, wird häufig für ihre strikte Geschlechtertrennung kritisiert. | |
Die Gemeinde betont jedoch die Gleichwertigkeit von Mann und Frau und sieht | |
„Women-Only-Spaces“ als förderlich für die persönliche und berufliche | |
Entfaltung von Frauen. So nutzen an diesem Wochenende auch verschiedene | |
Berufsgruppen der Gemeinde, wie Ärztinnen oder Architektinnen, die | |
Gelegenheit, sich zu vernetzen. | |
## Unpolitisch ist die Gemeinde nicht | |
Tatsächlich hat die Ahmadiyya-Gemeinde liberalere Ansichten zum Islam als | |
viele andere muslimische Gruppen. Sie befürwortet eine säkulare | |
Regierungsform und betont die klare Trennung von Staat und Religion. | |
Inzwischen ist die Gemeinde in Deutschland so etabliert, dass das Land | |
Hessen ihr 2013 den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts | |
verliehen hat. Damit ist sie bislang die einzige in Deutschland ansässige | |
muslimische Religionsgemeinschaft, die den gleichen Rechtsstatus wie die | |
christlichen Kirchen hat. Die Gemeindemitglieder betonen daher immer | |
wieder, völlig frei von ideologischer Einflussnahme und unpolitisch zu | |
sein. Doch so unpolitisch sind sie nicht. | |
„[3][Eine Antwort auf die Vorwürfe der AfD]“ steht auf einem blauen Heft im | |
Pressezelt. Auf 70 Seiten äußert sich ein Pressesprecher der Gemeinde zur | |
AfD. Die Gemeinde gehört schon lange zu den Feindbildern der AfD. Wer | |
Mitglied bei der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland ist, darf kein | |
Mitglied der AfD sein, steht beispielsweise auf der Unvereinbarkeitsliste | |
der Partei. Der Vorsitzende der Gemeinde, Abdullah Uwe Wagishauser, sagt, | |
dass man auch mit der AfD reden müsse und mit ihren Anhängern in den | |
kritischen Diskurs gehen sollte. | |
Rabea Rehman und Wahay bin Sajid sehen Parallelen zur Verfolgung ihrer | |
Eltern in Pakistan. „Auch wenn es hier nicht so extrem ist, spüren wir eine | |
zunehmende Fremdenfeindlichkeit im Alltag“, sagt Rehman. Die Gemeinde | |
versuche, Aufklärungsarbeit zu leisten und sich in die Gesellschaft zu | |
integrieren. Doch man erwarte auch Unterstützung von der Politik. „Der | |
Staat, auch die Regierung, muss gerade in Orten, wo die AfD immer weiter | |
Zuwachs gewinnt, mehr tun und aktiv Aufklärungsarbeit leisten“, fordert | |
sie. | |
Auch Sajid erwartet mehr von der Politik. „Manchmal hat man das Gefühl, | |
dass man sich nur auf die AfD konzentriert, aber die Stimmen, die man von | |
anderen politischen Parteien oder von Einzelpersonen in den sozialen Medien | |
hört, sind genauso schlimm“, so Sajid. Die AfD sei sicherlich nicht die | |
einzige oder entscheidende Kraft. „Rassismus ist leider mitten in der | |
Gesellschaft angekommen“, meint der Frankfurter Jurist. Trotzdem wolle man | |
in die Offensive gehen, denn das Thema Rassismus spiele eine Hauptrolle in | |
der verfolgten Gemeinde. | |
## Frieden in Gaza und der Ukraine | |
Auch der Nahostkonflikt ist an diesem Wochenende ein zentrales Thema. | |
„Waffenstillstand jetzt – in Gaza und in der Ukraine“, steht auf einem | |
blauen Sticker der Gemeinde, der auf vielen Autos zu sehen ist. Die | |
Mitglieder betonen stets ihren Wunsch nach Frieden und Gerechtigkeit, was | |
die Lösungen für die Konflikte in der Ukraine oder in Gaza betrifft, habe | |
die Gemeinde keine konkreten Vorschläge, dies sei Aufgabe der Politik, | |
erzählt Sajid. | |
Dennoch gehen ihre Forderungen über das Unpolitische hinaus: „Wir fordern | |
die Vereinigten Staaten und andere einflussreiche Nationen auf, sich | |
jeglicher Handlungen oder Erklärungen zu enthalten, die die instabile | |
Situation weiter anheizen könnten“, hieß es vor einigen Monaten von der | |
Gemeinde zum Nahostkonflikt. „Weil die alten Deutschen oder die alte | |
deutsche Regierung, die Hitler-Regierung, Unrecht an den Juden begangen | |
haben“, glaubten manche, dies gebe den Juden die Lizenz, es anderen | |
Nationen gleichzutun, sagte der Kalif im April der Berliner Zeitung. „Wenn | |
sie sich rächen wollen, dann an Deutschland, nicht an den Palästinensern.“ | |
Am Sonntag neigt sich die Jalsa Salana dem Ende entgegen, doch die gute | |
Stimmung auf dem Gelände wird von dem [4][Anschlag in Solingen] | |
überschattet. „Solche Angriffe, die das Leben und die Sicherheit | |
unschuldiger Menschen bedrohen, dürfen und werden wir nicht hinnehmen“, | |
heißt es von der Gemeinde. Deutschland müsse weiterhin entschlossen und mit | |
aller Härte gegen jegliche Form von Gewalt und Terrorismus vorgehen, um den | |
Schutz und die Sicherheit aller Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. | |
25 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Jahrestreffen-der-Ahmadiyya/!5533814 | |
[2] /Pakistanische-Gefluechtete/!5854042 | |
[3] https://ahmadiyya.de/bibliothek/broschueren/islam-fakten-argumente/ | |
[4] /Anschlag-in-Solingen/!6032053 | |
## AUTOREN | |
Yağmur Ekim Çay | |
## TAGS | |
Muslime in Deutschland | |
Ahmadiyya | |
Islam | |
Solingen | |
GNS | |
Demonstration | |
Islam | |
Muslime in Deutschland | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nach Hamburger Islamisten-Demo: Großer Aufmarsch gegen das Kalifat | |
Vor einer Woche forderten radikale Islamisten in Hamburg ein Kalifat. Am | |
Samstag demonstrierten rund 1.000 Menschen gegen Islamismus und | |
Antisemitismus. | |
Imam-Ausbildung in Deutschland: Austausch auf Augenhöhe | |
Die Ausbildung von Imamen in Deutschland ist nicht nur für Muslime wichtig. | |
Auch für den interreligiösen Dialog ist Schulung auf Deutsch förderlich. | |
Diskriminierung von Ahmadiyya-Muslimen: Ein TikTok-Account voller Hass | |
Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinde ausgegrenzt und kriminalisiert. In | |
Pakistan – und auch in Deutschland. Eine Geschichte nicht nur aus Fritzlar. |