Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Diskriminierung von Ahmadiyya-Muslimen: Ein TikTok-Account voller H…
> Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinde ausgegrenzt und kriminalisiert. In
> Pakistan – und auch in Deutschland. Eine Geschichte nicht nur aus
> Fritzlar.
„Du wirst sehen, was ich mit dir und deiner Glaubensgemeinschaft mache. Ich
werde euch zerstören. Möchtest du, dass dein Sohn als Waisenkind
aufwächst?“, hallt es durch den Flur. Der Nachbar, den ich immer als eher
ruhig und zurückhaltend eingeschätzt hatte, droht meinem Mann und mir in
einem lauten Ton und geht zurück in seine Wohnung. Uns hinterlässt er
schockiert an der Türschwelle – auf meinem Arm mein zehn Monate alter Sohn.
Dieses Protokoll stammt von Rameza Monir. Sie lebt in Fritzlar, einer
kleinen Stadt in Nordhessen. Die junge Mutter und ihr Mann Wasiq gehören
der muslimischen Ahmadiyya Gemeinde an. Vor drei Jahren zog die gebürtige
Schwarzwälderin mit ihrem Mann in das gelbe Mehrfamilienhaus, wo sich die
Familie eigentlich wohl fühlte.
Bereits bevor sie ihren Nachbarn von gegenüber kennen lernten, vermutete
Monir, er komme – wie ihre eigenen Eltern – aus Pakistan. Sie bringt der
Nachbarsfamilie zum Fastenbrechen nach dem Ramadan einen Teller mit
selbstgemachten pakistanischen Köften vorbei. Zurück kommt der Teller mit
einer Überraschung: Anstatt sich für das Geschenk zu bedanken, rät der
Nachbar ihr düster davon ab, noch einmal Essen vorbeizubringen und lässt
sie verwirrt im Türrahmen zurück.
Bei dieser unerwarteten Interaktion bleibt es nicht. Etwa ein Jahr später
kommt der Nachbar auf Ramezas Ehemann zu. Als Monirs Ehemann von der Arbeit
zurückkehrt, erwartet ihn der Nachbar bereits vor dem Haus.
Mit unserer Religion hätte er schon länger ein Problem, teilt er meinem
Ehemann mit einem hämischen Grinsen mit. Bevor er sich abwendet, empfiehlt
er ihm, seinen Account auf TikTok abzuchecken. Nach einer kurzen Recherche
finde ich auch schon sein Konto. In der Sprache Urdu, die er und wir
sprechen, veröffentlicht er Hassvideos gegen die Ahmadiyya-Gemeinde. Jeden
Abend startet er einen Livestream mit Anhängern der
„Tehreek-e-Labbaik“-Bewegung, einer extremistisch-dschihadistischen Partei
aus Pakistan, um gegen unseren Glauben zu hetzen.
## Ein TikTok-Account voll Hass und Hetze
Die Ahmadiyya-Gemeinschaft – oder wie sie sich offiziell selbst nennt, die
„Ahmadiyya Muslim Jamaat“ – versteht sich als zugehörig zum Islam. Die
Lehre, an die sie glauben, basiert auf dem Koran. Doch im Gegensatz zu den
klassischen Islamischen Strömungen sind für sie auch die Schriften von
Mirza Ghulam Ahmad von Bedeutung.
„Sie vertreten die Ansicht, das islamische Prophetentum sei mit dem
Propheten Mohammed nicht beendet und stellen damit eine zentrale Botschaft
des Islams infrage“, sagt Kamal Sido, Referent der [1][Gesellschaft für
bedrohte Völker.] Sie hätten mit ihrem Propheten einen Neuen akzeptiert,
das stelle für den islamischen Glauben einen großen Bruch dar.
Rameza Monir stellt fest, dass der TikTok-Account ihres Nachbarn allein der
Hetze und Hassbotschaften gegen ihre Glaubensgemeinschaft dient. Die Videos
sind stets gleich aufgebaut: Erst geht ein Friedensgruß raus an die
muslimische Gemeinde, gefolgt von einer Beleidigung gegen den Propheten der
Ahmadiyya – meist mit Bezug auf dessen Darmaktivität oder seinen geistigen
Zustand.
In einem Beitrag teilt der Nachbar das Video einer Frau, die in einem
Klassenzimmer zu sitzen scheint und mit todernster Miene in die Kamera
blickt. Leute, die den Propheten beleidigen, gehörten bestraft, indem ihnen
der Kopf abgeschlagen werde. So lautet ihre Botschaft an die
Internetgemeinde, und so lautet auch die Forderung der extremistischen
Partei Tehrik-e-Labbaik Pakistan (TLP).
## Schlimmer als gottlos sein
Die Ahmadiyya-Gemeinde gehört zu einer der muslimischen Minderheiten, die
besonders in Pakistan und Indien stark vertreten sind. In den Augen
muslimischer Extremisten sind sie Häretiker, also Abtrünnige. Häresie – das
ist für extremistische Strömungen fast schlimmer als Unglaube.
“Die Ahmadiyya sind keine liberale Reformbewegung, sondern im Gegenteil
sehr konservativ“, sagt Ruud Koopmans vom [2][Expertenkreis Politischer
Islamismus.] Doch in den Augen vieler macht sie das nicht weniger zu
Abtrünnigen. Koopmans zufolge ist nicht nur unter extremistischen
Islamisten, sondern auch bei gemäßigten Muslimen die abwertende Ansicht der
Ahmadiyya-Gemeinde als Sekte und deren Mitglieder als Apostaten – vom
Glauben Abgewandte – verbreitet.
Ihr Prophet bringe keine neuen Lehren und beziehe sich stets auf den Koran,
sagt die junge Mutter Rameza Monir. Er sei der Messias, auf den andere
Glaubensrichtungen noch warten.
Sie weiß, wie schnell ein Vorurteil durch unseriöse Internetquellen
bestärkt werden kann – aber auch wie schnell Menschen ihre Meinung ändern,
sobald sie einmal mit Angehörigen der Ahmadiyya-Gemeinde ins Gespräch
gekommen sind. Die studierte Politikwissenschaftlerin bemüht sich deshalb
in der Stadt Fritzlar um interreligiösen Dialog.
## Vogelfrei in Pakistan
Das heutige Pakistan ist geprägt von Konflikten und gesellschaftlicher
Segregation: Das hängt mit dem bis heute nicht vollendeten Prozess der
Nations- und Identitätsbildung zusammen. Der sunnitische Islam ist
Staatsreligion und wird eher fundamentalistisch ausgelegt. So gilt seit der
Militärherrschaft in den 1980er Jahren das Blasphemiegesetz, wonach für
Gotteslästerung strenge Strafen bis hin zum Tod verhängt werden. Dafür
setzt sich allen voran die Tehrik-e-Labbaik Pakistan ein.
[3][Angehörigen der Ahmadiyya-Gemeinschaft ist es in Pakistan verboten,
sich Muslime zu nennen]. Sie sind Apostaten per Gesetz. Ihre
Religionszugehörigkeit, die in Pakistan auch im Pass vermerkt wird,
kennzeichnet sie als vogelfrei. Der Alltag der Minderheit ist geprägt von
Ausgrenzung und Kriminalisierung.
Die Machtübernahme der Taliban im benachbarten Afghanistan hat die
politische Instabilität Pakistans zusätzlich befeuert, und islamistischen
Extremisten sowie separatistischen Nationalisten Aufwind verschafft.
„Islamisten, wie die TLP, befinden sich dadurch im Rausch des Sieges“, sagt
Kamal Sido.
Immer wieder gibt es Anschläge auf die Ahmadiyya-Gemeinde, die für die
Täter ohne Konsequenzen bleiben, etwa im Jahr 2010: Bei einem Anschlag der
Taliban auf eine Ahmadiyya-Moschee in der pakistanischen Stadt Lahore
wurden über 80 Menschen beim Freitagsgebet ermordet.
## Die Ahmadiyya ist eine der ältesten muslimischen Gemeinden Deutschlands
Verfolgung aufgrund der Religionszugehörigkeit, das kenne ich nur aus
Erzählungen meiner Eltern. Vor 30 Jahren sind sie vor der systematischen
Diskriminierung in Pakistan nach Deutschland geflohen. Religion wird
politisch instrumentalisiert, um Wählende zu gewinnen.
In Deutschland gehört der Großteil der aus Pakistan stammenden muslimischen
Personen der Ahmadiyya-Gemeinde an. Sie ist außerdem eine der ältesten
muslimischen Gemeinden Deutschlands – der Bau der ersten hiesigen
Ahmadiyya-Moschee begann 1924, lange vor dem Zuzug der meist
sunnitisch-muslimischen Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen in den 1960er
Jahren.
Said Ahmad Arif ist Imam der Khadija-Ahmadiyya-Moschee in Berlin. Vor
offenem Hass wie in Pakistan bräuchten sich Mitglieder der
Glaubensgemeinschaft seiner Einschätzung nach nicht fürchten, sagt er,
denn: „Nicht allein theologische Unterschiede sind es die den Hass schüren,
sondern politische Motive. In Deutschland funktioniert der interreligiöse
Dialog gut. Das liegt auch daran, dass Islamfeindlichkeit die muslimischen
Glaubensgemeinschaften zusammenschweißt“, sagt Imam Arif.
Anfeindungen von Nicht-Muslimen aufgrund ihres Kopftuchs schmerzen Rameza
Monir und sind ihr nicht fremd. Überrascht war sie, mit ihrem Nachbarn nun
Hass von einem anderen Muslim zu ernten. Einer Person, die in der
Ahmadiyya-Gemeinschaft einen persönlichen und politischen Nemesis gefunden
zu haben scheint.
## Die Ahmadiyya-Gemeinde ist vielen unbekannt
Auch liberale Strömungen des Islam werden in Deutschland immer wieder zur
Zielscheibe islamistischen Hasses. [4][Seyran Ateş, Gründerin der liberalen
Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin], erhält seit deren Eröffnung
Morddrohungen und steht unter ständigem Polizeischutz.
Auch andere religiöse Minderheiten werden nicht verschont – nach
Einschätzung von Kamal Sido von der Gesellschaft für bedrohte Völker sind
vor allem Jesiden, Angehörige der Ahmadiyya-Gemeinde, Alawiten sowie Juden
Zielscheiben islamistischer Gewalt. Hatespeech gegen die
Glaubensgemeinschaft ist kein Einzelfall. “Hass seitens extremistischer
Islamisten ernten in Deutschland vor allem andere Muslime“, sagt Sido.
Extreme Fälle von Anfeindungen gegen die Ahmadiyya sind in Deutschland
wenig bekannt – was nicht zuletzt daran liegt, dass die muslimische
Gemeinschaft vielen unbekannt sind. Genau wie die extremistische TLP.
Rameza Monir ist überzeugt: Wäre ihr Nachbar Teil einer bekannteren
islamistischen Organisationen, wie dem sogenannten Islamischen Staat, würde
er weitaus mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Imam Arif berichtet: “Manchmal halten Ahmadis ihren Glauben auch in
Deutschland geheim, um nicht ausgestoßen zu werden. Zuletzt kam ein
begabter Sportstudent zu mir, der klagte, unter muslimischen
Mitstudierenden trotz seiner Leistungen systematisch ausgeschlossen zu
werden, seitdem er sich als Ahmadi 'outete’“.
## Die TLP ist dem hessischen Verfassungsschutz bekannt
Die Familie Monir hat den Nachbarn vor mehreren Monaten bei der
Kriminalpolizei angezeigt. Während die Bearbeitung ihres Falles vor sich
hinplätschert, müssen sie sich seine täglichen Provokationen auf dem
schmalen Hausflur, sowie die Verleumdungen auf TikTok weiter gefallen
lassen. Vom Balkon blicke er beim Betreten des Hauses auf sie herab,
hasserfüllte Kommentare auf Urdu in sich reinmurmelnd, erzählt sie. Auf
TikTok kommentiere er die Meldung seines Accounts bei der Polizei: Ihr habt
es begonnen, ich werde es beenden – ihr habt’s eh nicht drauf, ich werd’s
euch zeigen.
Der hessische Landesamt Verfassungsschutz (LfV Hessen) berichtet der taz
auf Anfrage, dass ihm die TLP vor allem durch ihre Onlineaktivitäten
bekannt sei. Die Ahmadiyya-Gemeinde breche mit den ideologischen
Zielvorstellungen der dschihadistischen TLP und gelte laut
Verfassungsschutz daher als ein Feindbild der Partei.
In seinen TikTok-Live-Schaltungen des Nachbarn schaukeln sich die Emotionen
hoch, seine Follower befeuern ihn in seiner Hetze. In Pakistan sind
Menschen bereit zu töten, deshalb hatten wir erst Angst. Inzwischen haben
wir gemerkt, er redet groß daher, doch der Account dient lediglich seinem
Selbstwertgefühl. Trotzdem ist es schrecklich zu sehen, wie er Hass und
Falschinformationen über uns verbreitet und zu Gewalt aufruft.
Auf Onlineplattformen lassen sich viele Menschen erreichen, Ländergrenzen
verschwimmen. Soziale Medien spielen deshalb bei der Verbreitung
extremistischer Inhalte und Hassbotschaften in allen vom LfV Hessen
beobachteten Extremismusbereichen eine große Rolle. Zur niedrigschwelligen
Meldung von „Hate Speech“ (Hassrede) im Netz hat das Hessische
Innenministerium – das Bundesland, in dem die meisten Anhänger der
Ahmadiyya-Gemeinde wohnhaft sind – im Januar 2020 die Internetplattform
„Hessen gegen Hetze“ eingerichtet.
## Im Europäischen Jugendparlament saß ein TLP-Sympathisant
Der Account von Monirs Nachbarn existiert auf TikTok nicht mehr. Die
Polizei ist laut eigener Angabe noch mit der Übersetzung der Videos
beschäftigt. Die Sperrung geht also wohl nicht auf sie, sondern wohl auf
die vielen Meldungen von TikTok-Nutzern und -Nutzerinnen zurück. Aufgrund
der regelmäßigen Sperrungen führt der Nachbar inzwischen parallel laufende
Accounts. Er selbst möchte sich gegenüber der taz nicht äußern.
Im [5][Europäischen Jugendparlament] – die Plattform für Jugendliche aus
Europa im Parlament – war bis 2019 auch TLP-Symapthisant Taha Cheema
vertreten. Während er sich als Botschafter des Islams darstellt, hetzt er
gleichzeitig auf Twitter gegen muslimische Minderheiten.
Deutschland war das Land, das Monirs Eltern einst als Exil wählten, um frei
leben zu können. Die ruhige hessische Kleinstadt ist die Geburtsstadt ihres
Mannes und der Heimatort ihrer Wahl. Die Sonntage von Monirs Familie sind
gefüllt mit gemeinsamen Besuchen bei den Schwiegereltern und
Basketballspielen mit ihrem Sohn, der mittlerweile ein Jahr und zwei Monate
alt ist. Die Familie erwägt mittlerweile, den Ort zu verlassen.
Während sie nun täglich beim Ein- und Ausgehen in ihr Haus nach dem
Nachbarn Ausschau hält, fragt sie sich: Wie schnell kann diese Heimat zu
einem neuen Ort der Bedrohung werden?
Transparenzhinweis: Die Protagonistin, Rameza Monir, [6][verfasste im März
einen Gastkommentar für die taz].
1 Oct 2022
## LINKS
[1] https://www.gfbv.de
[2] https://www.bmi.bund.de/DE/themen/sicherheit/extremismus/islamismus-und-sal…
[3] /Pakistanische-Gefluechtete/!5854042
[4] /Tag-der-Offenen-Moschee-in-Berlin/!5541394
[5] https://eyp.org
[6] /Unterstuetzung-fuer-die-Ukraine/!5840233
## AUTOREN
Betania Bardeleben
## TAGS
Muslime in Deutschland
Ahmadiyya
Hate Speech
Diskriminierung
Pakistan
GNS
Lesestück Recherche und Reportage
Muslime in Deutschland
Kurden
Pakistan
Pakistan
Muslime in Deutschland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ahmadiyya-Konferenz „Jalsa Salana“: 40.000 Muslime in Mendig
Zum 48. Mal treffen sich die Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinde in
Deutschland. Diesmal findet die „Jalsa Salana“ in Mendig, Rheinland-Pfalz,
statt.
Kurdische Jesid:Innen: Sie brauchen unsere Solidarität
Die vom IS an den kurdischen Jesid:innen verübten Verbrechen müssen als
Völkermord international anerkannt werden. Deutschland sollte dabei helfen.
Stornierung des Abschiebeflugzeugs: Nur vorübergehend frei
Aufgrund technischer Flugprobleme sind pakistanische Geflüchtete
kurzfristig auf freiem Fuß. Grund für Jubel ist das aber nicht.
Pakistanische Geflüchtete: Urteile mit Copy-and-Paste
Die religiöse Minderheit Ahmadiyya ist in Pakistan Angriffen ausgesetzt.
Trotzdem schiebt Deutschland Menschen der Gemeinschaft ab.
Angriffe auf Moschee-Neubau: Immer wieder Scherben
Ende März soll in Husum die erste Moschee Nordfrieslands öffnen. Doch schon
zweimal wurde das Gebäude beschädigt. Wer steckt dahinter?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.