| # taz.de -- Blühwiesentrend: Über Schmetterlingsmörder | |
| > Seit einiger Zeit verwandeln Gärtner Grünflächen in opulente | |
| > Blumenwiesen. Das sieht schön aus, aber ist es auch gut für die | |
| > Insektenwelt? | |
| Bild: Ein Schmetterling im Kreuzberger Hinterhof | |
| Hier entsteht ein Schmetterlingsparadies“ verkündet so manches bunt bemalte | |
| Holzschild und dann wird eine weitere brennesselüberwucherte Verkehrsinsel, | |
| ein efeuberankter Hinterhof, ein verwahrloster Vorgarten zu einer | |
| Blühfläche voller Sommerblumen. Schöner mag es aussehen, freuen kann ich | |
| mich darüber nicht, genauso wenig die Schmetterlinge. | |
| Erschreckend wenige flattern über die stetig mehr werdenden Blühflächen. | |
| „Wann kommen denn nun die Schmetterlinge?“, werde ich deshalb oft gefragt. | |
| Artenvielfalt ist mein Beruf und das wissen die Leute. Innerlich seufze ich | |
| über die biologische Nichtbildung meiner Mitmenschen. Allerdings nur an | |
| schlechten Tagen. Artenvielfalt ist auch meine Mission. Also freue ich mich | |
| über die Frage. Wirklich. Und erkläre motiviert und rund um die Uhr, wie | |
| alles mit allem zusammenhängt: | |
| Dass Schmetterlinge erst mal Raupen sind und dass bei Raupen keine Blüten | |
| auf der Speisekarte stehen. Sondern Grünzeug, vielfach in der Menschenwelt | |
| als „Unkraut“ verschrienes Grünzeug: Die gute alte Brennnessel. Oder: | |
| Disteln. Die sind nicht nur wichtig für Distelfalter, die diese Pflanze | |
| sogar im Namen tragen. Brombeeren wiederum ernähren kleine | |
| Nachtpfauenaugen, wilde Möhren Schwalbenschwänze, verschiedene Gräser sind | |
| ebenfalls beliebt. | |
| Um es abzukürzen: jedes Gewächs, vom Moos bis zum Farn, hat spezielle | |
| Raupen, die sich davon und manchmal auch von nichts anderem ernähren. Also | |
| vielleicht hätte die Raupe gerne genau das, was in der Gestrüppecke wuchs, | |
| bevor die zur hübschen Blühfläche wurde. | |
| ## Sauer über den Hype | |
| Richtig sauer werde ich, wenn der Blühwiesentrend gehyped wird von | |
| Menschen, die ihre biologische Bildung nicht aus Raupe Nimmersatt haben. | |
| Sondern deren Beruf „Garten“ ist. Die es also besser wissen müssten! | |
| Gartenmagazine zum Beispiel, die launig erklären, wie ein Schandfleck – | |
| Brennnessel, Efeu, Hinterhof, Sie wissen schon – ganz einfach in eine | |
| „schöne“ Blühfläche voller Mohn, Malven und Ringelblumen verwandelt wird. | |
| Dabei ist nicht nur das Säen von Blühwiesen ein Problem, sondern auch das | |
| Abmähen von verblühtem Grün. Denn Schmetterlinge sind nicht nur Raupen. | |
| Oder Falter. Sondern davor auch noch Eier. Und dazwischen als Puppen völlig | |
| bewegungsunfähig wochen- bis monatelang angepappt an all das verblühte | |
| Gestrüpp, zu dem eine Blühfläche im Spätsommer eben wird. Wird all das | |
| gemäht und gehäckselt, landet Raupe Nimmersatt auf dem Kompost, bevor sie | |
| sich in einen wunderschönen Schmetterling verwandeln konnte. | |
| Auch hier spielen die Berufsgärtner:innen ein falsches Spiel: Da sind | |
| die „Gardenfluencer“, die vor laufendem Smartphone ihre „hässlich | |
| verblühte“ Blühfläche jäten und mit herbstlichen Stauden aus dem | |
| Gartenshoppingcenter wieder social-media-tauglich aufhübschen und dann auch | |
| noch Rabattcodes dafür verteilen. Oder Mitarbeitende des Grünflächenamts, | |
| die nach althergebrachtem Dienstplan mit mähdrescherähnlichen Geräten übers | |
| blühende Grün brettern. | |
| ## Sauer über den Saatguthersteller | |
| Sauer machen mich auch Saatguthersteller, die ihre Angebotsmischungen | |
| voller Mohn und Ringelblumen – die mit einer echten wilden Blumenwiese so | |
| wenig zu tun haben wie ein Fruchtquetschie mit einer Handvoll frisch | |
| gepflückter Brombeeren – trotzdem als Schmetterlingswiese bewerben. | |
| Echte wilde Blumenwiesen sind voller Schmetterlinge, ja. Aber diese | |
| Schmetterlingswiesen sind optisch wenig opulent bestückt mit Blumenblüten, | |
| mehr mit unscheinbaren Kräutern und Gräsern, wie Klee, Giersch, Löwenzahn, | |
| Allerweltsarten, die Schmetterlingsraupen zum Fressen gern haben. Aber das | |
| ist ja „Unkraut“, dafür würde niemand Geld ausgeben. | |
| Alles Öko-Psychopath*innen mit der Handlungsprämisse: „Ordnung muss sein“ | |
| und „schön“ soll es aussehen. Außerdem, das haben wir schon immer so | |
| gemacht – und Geld verdienen muss man ja auch. Schmetterlinge sind denen | |
| egal. | |
| So, und jetzt rege ich mich wieder ab. Ich bin nicht nur Ökologin, sondern | |
| auch Pazifistin, und keine Öko-Terroristin. | |
| 3 Sep 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Sigrid Tinz | |
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