| # taz.de -- Femnet-Chefin über Bangladesch: „Können Gewalt nicht nachweisen… | |
| > Die Lage in Bangladesch ist instabil. Die Textilbranche hat großen | |
| > politischen Einfluss. Was die Arbeit dort mit den Unruhen zu tun hat, | |
| > erklärt Gisela Burckhardt. | |
| Bild: Die Proteste in Bangladesch halten an. Tonangebend sind die Studierenden,… | |
| taz: Die jüngsten Proteste in Bangladesch werden als Studierendenproteste | |
| bezeichnet. Sind es denn auch Arbeiter:innenproteste? | |
| Gisela Burckhardt: Ja, sind sie. Viele Arbeiter:innen sind bei den | |
| Protesten umgekommen. Die National Garment Workers Federation (NGWF), eine | |
| Gewerkschaft von Arbeiter:innen der Bekleidungsindustrie, hat | |
| mitgeteilt, dass 50 ihrer Mitglieder verletzt und 11 | |
| Textilarbeiter:innen, 36 Verkäufer:innen, 17 Bauarbeiter:innen | |
| und 21 Rikscha-Fahrer:innen getötet wurden – auch wegen des brutalen | |
| Vorgehens der Polizei. | |
| taz: Welche Rolle spielen die Gewerkschaften in den Protesten? | |
| Burckhardt: Die Gewerkschaften spielen keine führende Rolle, sie beteiligen | |
| sich aber aktiv. In Bangladesch sind die Gewerkschaften eher schwach, nur | |
| rund fünf Prozent der Beschäftigten sind gewerkschaftlich organisiert. Sie | |
| haben gar nicht das Potenzial, so eine große Protestbewegung auf die Straße | |
| zu bringen. | |
| taz: Warum sind so wenige in Gewerkschaften aktiv? | |
| Burckhardt: Es ist wirklich gefährlich, sich einer Gewerkschaft | |
| anzuschließen. Man wird schnell und zuerst entlassen, wie es auch in der | |
| Corona-Zeit der Fall war. Um einen Betriebsrat zu gründen, müssen sich rund | |
| 20 Prozent der Beschäftigten einer Fabrik organisieren. Das muss man bei | |
| Fabriken mit über 1000 Beschäftigten erstmal hinkriegen. Und eine | |
| Dach-Organisation, wie der Deutsche Gewerkschaftsbund bei uns, gibt es in | |
| dem Sinne nicht. | |
| taz: 80 Prozent des bangladeschischen Exports entfallen auf Schuhe und | |
| Kleidung. Trotz der Unruhen beschwichtigen Unternehmer:innen in | |
| Bangladesch, dass die Geschäfte wie gewohnt weiterlaufen. Was würde ein | |
| temporärer Einbruch der Textilindustrie in Bangladesch bedeuten? | |
| Burckhardt: In dem Moment würden ganz viele Arbeiter:innen ihren Job | |
| verlieren. Wenn die Fabriken wegen Unruhen schließen, wird nach dem Prinzip | |
| „keine Arbeit, kein Lohn“ auch nicht weiterbezahlt. Fast jedes große | |
| Bekleidungsunternehmen – [1][ob H&M, Kik oder Zara – lässt dort | |
| produzieren]. Daher ist es wichtig, dass diese Konzerne ihre Aufträge nicht | |
| zurückziehen, sondern weiter Aufträge platzieren und auch akzeptieren, wenn | |
| die Lieferungen mal nicht pünktlich ankommen. | |
| taz: Der Ökonom und Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus ist jetzt Chef | |
| der Übergangsregierung. Yunus hat sich in Bangladesch einen Namen als | |
| Armutsbekämpfer gemacht, indem er Menschen Mikrokredite gab. Gibt es | |
| Hoffnung, dass er die Armut im Land weiterhin bekämpft? | |
| Burckhardt: Natürlich hofft man darauf, weil Yunus bekannt ist für die | |
| Grameen Bank, die Bank der Armen. Er hat ein Herz für die Armutsbekämpfung, | |
| ist aber gleichzeitig ein Banker. Ihm ist es sicher wichtig, dass die | |
| Bekleidungsindustrie nicht abzieht. Ich glaube, dass der | |
| Unternehmensverband der Bekleidungshersteller, die Bangladesch Garment | |
| Manufacturers and Exporters Association, der in Bangladesch wie ein Staat | |
| im Staat agiert, weiterhin eine große Rolle spielen und dass Yunus sich mit | |
| denen gutstellen wird. Deswegen glaube ich nicht, dass er für | |
| existenzsichernde Löhne in der Textilindustrie sorgen wird. | |
| taz: Wer sitzt neben ihm noch in der Übergangsregierung? | |
| Burckhardt: Es sind Menschen, die teils aus der Menschenrechtsbewegung | |
| kommen oder aus dem ökologischen Bereich, wie die Umweltjuristin Rizwana | |
| Hasan. Das klingt eigentlich nach Leuten, die sehr engagiert sind. Man kann | |
| also hoffen, das sich etwas verbessert. | |
| taz: Ihre Organisation Femnet setzt sich für fairere Arbeitsbedingungen in | |
| der Textilindustrie ein, vor allem für Frauen. Sie sitzen aber in Bonn, | |
| nicht in Dhaka. Was können Sie von Deutschland aus tun? | |
| Burckhardt: Wir üben Druck auf deutsche Unternehmen aus, die | |
| Arbeitsbedingungen bei ihren Zulieferern zu verbessern. Außerdem arbeiten | |
| wir mit Partnerorganisationen vor Ort zusammen und stimmen mit ihnen | |
| Strategien ab, zum Beispiel beim Vorgehen gegen Arbeitsrechtverletzungen. | |
| Mit der bangladeschischen Gewerkschaft NGWF haben wir eine [2][Beschwerde | |
| gegen Amazon und Ikea eingereicht, weil in deren Lieferketten | |
| Arbeitsrechtsverletzungen vorkommen]. | |
| taz: Stichwort Lieferketten: In Deutschland gibt es seit 2023 ein Gesetz, | |
| das die unternehmerische Verantwortung für die Einhaltung von | |
| Menschenrechten in globalen Lieferketten regelt. [3][Auf EU-Ebene soll ein | |
| leicht strengeres Lieferkettengesetz kommen]. Wie kann sichergestellt | |
| werden, dass soziale Standards in Textilfabriken in Bangladesch eingehalten | |
| werden? | |
| Burckhardt: Die Einkäufer müssen sicherstellen, dass in ihrer Lieferkette | |
| keine Sozial- und Umweltstandards verletzt werden. Es ist zu befürchten, | |
| dass sie das hauptsächlich über Sozialaudits vor Ort und Zertifikate | |
| regeln, die ihnen bescheinigen, dass in den Subunternehmen und | |
| Zulieferbetrieben alles in Ordnung ist. | |
| taz: Wie laufen solche Audits ab? | |
| Burckhardt: Die Prüfer:innen besuchen und inspizieren die Fabriken, oft | |
| nur für einen Tag. Sie sprechen dann zwar mit den Mitarbeiter:innen, | |
| daneben steht aber der Chef, der sagt: „Du musst berichten, dass alles | |
| wunderbar ist, sonst verlierst du deine Arbeit“. Inzwischen gibt es viele | |
| Belege, dass Audits die wirklichen Probleme in einer Fabrik nicht | |
| aufdecken. Die Sozialstandards sind schwer zu überprüfen; Audits können | |
| nicht nachweisen, ob es geschlechtsspezifische Gewalt am Arbeitsplatz gibt | |
| oder ob es Gewerkschaftsfreiheit gibt. | |
| taz: Wenn nicht mit den Audits, wie kann sich die Situation sonst | |
| verbessern? | |
| Burckhardt: Es braucht einen anderen Zugang, der Vertrauen zu den | |
| Arbeiter:innen schafft, sodass sie wagen, sich zu beschweren. Beide | |
| Lieferkettengesetze verlangen auch ein funktionierendes Beschwerdesystem, | |
| das ist ein wichtiger Fortschritt. | |
| taz: Das EU-Lieferkettengesetz bedeutet einen spürbaren Mehraufwand für die | |
| Unternehmen. Besteht die Gefahr, dass internationale Konzerne deswegen aus | |
| Bangladesch abwandern, weil das Land ein zu hohes Sicherheitsrisiko | |
| darstellt? | |
| Burckhardt: Ja, natürlich, die Gefahr gibt es immer. Ich halte sie aber | |
| nicht für groß, denn in anderen Ländern sind die Arbeitsbedingungen nicht | |
| viel besser. Außerdem: Letztlich sind die Löhne entscheidend, weil die | |
| Unternehmen so billig wie möglich produzieren wollen – und das ist in | |
| dieser Größenordnung nur in Bangladesch möglich. | |
| taz: Nach dem Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza 2013 und dem Tod von | |
| 1135 Menschen wurde ein rechtsverbindliches Abkommen zur Gebäudesicherheit | |
| in Bangladesch unterzeichnet. | |
| Burckhardt: Wir haben bereits vor der Katastrophe von Rana Plaza versucht, | |
| dieses Abkommen vorzuschlagen… | |
| taz: … in der gleichen Form, wie es dann auch unterzeichnet wurde? | |
| Burckhardt: … ja. Damals wollte aber kein Unternehmen unterzeichnen. Erst | |
| mit dem Rana-Plaza-Einsturz wurde der Druck zu groß, sodass fast 200 | |
| Unternehmen unterschrieben. Das hat dazu geführt, dass sich die Statik, | |
| Elektrik und der Brandschutz in den Fabriken verbessert hat. Einige | |
| Fabriken mussten auch zumachen. Die Arbeitsbedingungen haben sich dadurch | |
| aber nicht verbessert. Hungerlöhne und geschlechtsspezifische Gewalt am | |
| Arbeitsplatz lassen sich eben nicht allein mit einer besseren Infrastruktur | |
| abschaffen. | |
| 16 Aug 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Unterstuetzung-fuer-Protest-in-Bangladesch/!5968356 | |
| [2] https://www.business-humanrights.org/de/neuste-meldungen/erste-beschwerde-i… | |
| [3] /EU-Staaten-fuer-Lieferkettengesetz/!5998529 | |
| ## AUTOREN | |
| Clemens Schreiber | |
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