# taz.de -- Zustände im Maßregelvollzug: Kloeimer mit laufender Kamera | |
> Die Nationale Stelle zur Prävention von Folter kritisiert in ihrem | |
> Jahresbericht 2023 menschenunwürdige Zustände im Maßregelvollzug. | |
Bild: Hier machte das Land Sachsen-Anhalt fast 9 Mio Euro für die Umzäunung s… | |
Mitten im Raum steht eine Art Edelstahlbecken. Das soll die Toilette | |
sein. An der Decke hängt eine laufende Kamera. Deren Bilder werden nicht | |
verpixelt. Das Becken nicht zu benutzen ist für die Menschen in diesem Raum | |
nicht möglich, denn sie verbringen hier zum Teil mehrere Monate. | |
Der Raum, ein sogenannter Kriseninterventionsraum, gehört zu einer | |
Einrichtung des Maßregelvollzugs in Bad Schussienried in Baden-Württemberg, | |
wie ihn die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter im vergangenen Jahr | |
vorgefunden hat. „Menschenunwürdige Zustände“ seien das, heißt es in ihr… | |
[1][Jahresbericht für das Jahr 2023], den sie am Dienstag vorgestellt hat. | |
Keine richtige Toilette, Kameraüberwachung: „Eine solche Verfahrensweise | |
vermag Gefühle der Minderwertigkeit auszulösen, die demütigen und | |
erniedrigen können“, heißt es im Bericht. Solche Räume dürften nicht weit… | |
benutzt werden, so die Autor*innen. | |
Im dritten Jahr in Folge hat sich die Nationale Stelle schwerpunktmäßig mit | |
dem [2][Maßregelvollzug] befasst. Dort werden psychisch kranke Straftäter | |
untergebracht, die nicht schuldfähig sind, aber von Gerichten als | |
gefährlich eingestuft wurden. In den Jahren 2021 und 2022 hätten sie „viele | |
kritische Situationen beobachtet, die in einigen Fällen eine schwerwiegende | |
Verletzung der Menschenwürde darstellten“, schreiben die Autor*innen | |
des Jahresberichts in der Einführung. Daher hätten ihre Mitglieder | |
beschlossen, alle forensischen Einrichtungen – eben den Maßregelvollzug – | |
in Deutschland zu besuchen, um sich ein umfassendes Bild zu machen. | |
## Überbelegung und Überbelastung | |
Ihr Fazit: In 14 aller 16 Bundesländer sind die forensischen Kliniken voll | |
belegt oder überbelegt. Einzige Ausnahme bildeten Mecklenburg-Vorpommern | |
und Sachsen. Infolge der Überbelegung seien die Patient*innenzimmer | |
doppelt oder dreifach besetzt. Erforderlich sei aber die | |
Einzelunterbringung. Denn: „Die mangelnde Privatsphäre kann Aggressionen | |
auslösen“, sie könne zu Konflikten führen und die medizinische sowie | |
therapeutische Behandlung deutlich erschweren. | |
Eine weitere Beobachtung: In allen Bundesländern bis auf Rheinland-Pfalz | |
gebe es [3][zu wenig Personal] und einen hohen Krankenstand. Für | |
Untergebrachte bedeute dies weniger Therapien und Beschäftigung. Das | |
verfügbare Personal sei überarbeitet. Das trage alles zu einer | |
„angespannten Situation“ bei. Der Personalmangel sei ein Sicherheitsrisiko | |
sowohl für Patient*innen als auch Mitarbeiter*innen. | |
Im Konkreten beanstandet die Anti-Folterstelle unter anderem den Umgang mit | |
Isolierung. In einigen Isolationsräumen gebe es Urinflaschen und gepresste | |
Pappbecken für Fäkalien. „Das muss morgens durch die gleiche Klappe | |
hinausgereicht werden, durch die dann anschließend das Frühstück | |
hineingereicht wird“, erzählt Rainer Dopp, Mitglied der Nationalen Stelle | |
zur Verhütung von Folter, bei der Vorstellung des Berichts. | |
## „Anders machen kostet nicht immer was“ | |
Er kritisierte auch, dass es in vielen Einrichtungen als einziges Möbel | |
eine auf dem Boden liegende Matratze gebe. „Wenn Sie dort aber länger sind, | |
dann brauchen Sie etwas, um sich hinzusetzen.“ Andere Einrichtungen böten | |
Schaumstoffsessel an. Warum manche Bundesländer diese für eine Gefahr | |
hielten, andere nicht, erschließe sich ihm nicht, erklärte Dopp. Die | |
Anti-Folterstelle wolle mit ihren Besuchen in Einrichtungen dazu | |
„anstacheln, darüber nachzudenken, ob nicht manches anders geht, was als | |
ausgeschlossen galt“. Und: „Anders machen kostet nicht immer was.“ | |
Apropos Kosten: Sowohl Bopp als auch Ralph-Günther Adam, Leiter der | |
Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter, bemängelten die | |
Unterfinanzierung ihrer Einrichtung. Während die Mitglieder alle | |
ehrenamtlich arbeiteten, brauche es lediglich Gelder für das Büro und die | |
Besuchsreisen. Zuletzt sei das Budget im Jahr 2020 erhöht worden, doch | |
seitdem sei alles teurer geworden. | |
In diesem Jahr fehlten noch 60.000 Euro. Aktuell ruhten die Besuche. „Was | |
sollen wir machen?“, fragte Dopp in die Runde. „Sollen wir weitermachen?“ | |
In der Hoffnung, das Geld werde schon noch freigegeben? „Ja, weitermachen“, | |
antwortete Alfred Bindels, der zuständige Abteilungsleiter aus dem | |
Bundesjustizministerium, in Vertretung seines Chefs. Das Geld sei „im | |
Zulauf“. | |
27 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.nationale-stelle.de/fileadmin/dateiablage/Dokumente/Berichte/Ja… | |
[2] /Krise-in-der-Gefaengnispsychiatrie-Berlin/!6027186 | |
[3] /Berliner-Massregelvollzug/!5960940 | |
## AUTOREN | |
Johanna Treblin | |
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