# taz.de -- Behandlungsfehler in der Medizin: Am falschen Bein operiert | |
> Nur ein Bruchteil der schweren Behandlungsfehler wird erfasst. Der | |
> Medizinische Dienst fordert Meldepflicht und kritisiert Untätigkeit der | |
> Regierung. | |
Bild: Meistens geht im Operationssaal alles gut – aber was, wenn nicht? | |
Das falsche Bein operiert, versehentlich sterilisiert, Tupfer im Bauchraum | |
vergessen – die Klassiker der Behandlungsfehler kommen Jahr für Jahr vor | |
und sind noch am leichtesten nachzuweisen. Knapp 2.700 Fälle hat der | |
Medizinische Dienst der Krankenkassen 2023 begutachtet, in denen ein | |
Behandlungsfehler die klare Ursache für einen Schaden der Patient*innen | |
war. Bei einem Drittel der Fälle war dieser Schaden dauerhaft – bis hin zur | |
Pflegebedürftigkeit. Knapp 3 Prozent verstarben. | |
Und das ist nur ein klitzekleiner Ausschnitt des Ausmaßes: 97 Prozent der | |
Behandlungsfehler würden nie nachverfolgt, sagte Stefan Gronemeyer, | |
Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes Bund, am Donnerstag bei | |
der Vorstellung der Zahlen. Er wirft dem Bundesgesundheitsministerium | |
Untätigkeit vor. | |
Behandlungsfehler sind keine hinzunehmenden Nebenwirkungen, für die | |
Patient*innen vorab einen Aufklärungsbogen unterschreiben. Sondern eine | |
vermeidbare Verletzung der Sorgfaltspflicht, ein unerwünschtes Abweichen | |
vom medizinischen Standard. „In der Regel ist das nicht der Fehler eines | |
Einzelnen“, betont Gronemeyer. Besonders die sogenannten Never Events – | |
schwere Fehler wie die OP am falschen Körperteil – wiesen auf systematische | |
Probleme bei den Behandlungsabläufen hin. | |
In einem 2018 veröffentlichten [1][Weißbuch des Aktionsbündnisses | |
Patientensicherheit] gehen die Autor*innen davon aus, dass in einem | |
Prozent aller Krankenhausbehandlungen (2022: 16,8 Millionen) | |
Behandlungsfehler unterlaufen, 0,1 Prozent würden zu vermeidbaren | |
Todesfällen führen. | |
Die [2][vom Medizinischen Dienst vorgestellten Zahlen] betreffen dagegen | |
nur die von Patient*innen an die Krankenkassen gemeldeten Fälle. Rund | |
12.400 Gutachten erstellte deren Medizinischer Dienst 2023. Bei einem | |
Viertel der Fälle konnte ein Schaden und ein Behandlungsfehler festgestellt | |
werden. Bei einem Fünftel – den erwähnten 2.700 – betrachteten die | |
Gutachter*innen den Fehler als ursächlich für den Schaden. | |
Doch selbst dann ist der Weg zum Schadenersatz weit und führt über | |
Gerichte, vor denen die Beweislast, außer in Fällen offensichtlicher grober | |
Fahrlässigkeit, beim Patienten liegt. Wie hoch die Erfolgsquote solcher | |
Verfahren ist, werde nicht systematisch erhoben, sagt Gronemeyer. Der | |
Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze (SPD), | |
kritisiert, dass die Hürden für die Patient*innen vor Gericht zu hoch | |
seien. Er fordert eine Absenkung des Beweismaßes auf eine „überwiegende | |
Wahrscheinlichkeit“, so wie es in anderen Ländern üblich sei. | |
In Ländern wie Großbritannien und Schweiz hat sich auch eine systematische | |
Erfassung und Veröffentlichung schwerer Behandlungsfehler etabliert, so der | |
Medizinische Dienst. Die Weltgesundheitsorganisation hält in ihrem | |
[3][globalen Aktionsplan für Patientensicherheit] fest, dass bis 2030 90 | |
Prozent der Mitgliedsländer ein System zur Erfassung von Never Events | |
einführen soll. Ziel solcher Register ist die Prävention von | |
Behandlungsfehlern und die Bewertbarkeit von Maßnahmen zur Sicherung der | |
Behandlungsabläufe. | |
„Von einer systematischen Vermeidung von Behandlungsfehlern sind wir in | |
Deutschland weit entfernt“, sagt Gronemeyer und drängt genau wie der | |
Patientenbeauftragte der Bundesregierung auf eine Meldepflicht für Never | |
Events – über eine Vertrauensstelle, an die Kliniken ohne die Gefahr von | |
Sanktionen schwerwiegende Fehler in der Behandlung melden können. In | |
Richtung der Ärzteverbände kritisiert Gronemeyer eine problematische | |
Sicherheitskultur, in der Ärzt*innen keine Fehler machen (dürfen) und | |
Transparenz angeblich das Vertrauen der Patient*innen erschüttere. „Ich | |
bin überzeugt, das Gegenteil ist der Fall“, so Gronemeyer. | |
Vom Bundesgesundheitsministerium gab es auf Anfrage kein Bekenntnis zu | |
einem Never-Event-Melderegister. Das Ministerium befürchtet zu viel | |
Bürokratie und verweist auf bestehende und im Rahmen der Krankenhausreform | |
geplante Maßnahmen zur Qualitätssicherung sowie freiwillige Initiativen der | |
Kliniken. | |
22 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.aps-ev.de/wp-content/uploads/2018/08/APS-Weissbuch_2018.pdf | |
[2] https://md-bund.de/presse/pressemitteilungen/neueste-pressemitteilungen/beh… | |
[3] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/user_upload/WHO_Globa… | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
## TAGS | |
Gesundheitswesen | |
Karl Lauterbach | |
Patientenrechte | |
Patientensicherheit | |
GNS | |
Karl Lauterbach | |
Krankenhausreform | |
Krankenhausreform | |
Krankenhausreform | |
Ärzte | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gesetz für bessere Krankheitserkennung: Viel zu viele kranke Herzen | |
Jeder dritte Sterbefall wird durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursacht. | |
Die sind oft vermeidbar. Kann das „Gesundes-Herz-Gesetz“ Abhilfe schaffen? | |
Krankenhausreform beschlossen: Die Reform ist notwendig, ihre Finanzierung aber… | |
Um das Kliniksterben abzuwenden, braucht es eine Reform. Dass dafür aber | |
ausschließlich gesetzlich Versicherte zahlen sollen, ist nicht | |
vermittelbar. | |
Lauterbach stellt Krankenhausreform vor: Klinikrettung oder Kahlschlag? | |
Nach langen Verhandlungen stellt der Gesundheitsminister die | |
Krankenhausreform im Bundestag vor. Was geplant ist und was die Opposition | |
dazu sagt. | |
Klinik-Spezialisierungen in Deutschland: Der Zufall operiert | |
Würden Sie Ihr Kind von einem Chirurgen behandeln lassen, der das nur | |
einmal im Jahr macht? Bei seltenen Fehlbildungen passiert das immer wieder. | |
Wenn ÄrztInnen Fehler machen: Pfusch oder Behandlungsrisiko? | |
Opfer von vermeintlichen Behandlungsfehlern müssen selbst nachweisen, dass | |
der Arzt Schuld trägt. Betroffene wollen die Beweislast umkehren. |