# taz.de -- Paris vor den Olympischen Spielen: Nörgeln wird olympisch | |
> Die Sommerspiele bringen für die Bewohner von Paris etliche Zumutungen | |
> mit sich. Die Missstimmung ist deshalb immens groß. | |
Bild: In den Straßen von Paris ist alles auf die Olympische Spiele ausgerichtet | |
Zur Eröffnung der Olympischen Sommerspiele putzt sich Paris heraus. Das | |
Wasser der Seine soll zum Baden locken… oder wenigstens gerade sauber genug | |
sein, damit die Sportschwimmer des Triathlons sich im August keine | |
Hauterkrankungen und Infektionen holen. [1][Obdachlose, die nicht ins | |
retuschierte Bild passen], werden seit Wochen in die Provinz | |
„delokalisiert“. Die Sportstadien sind rechtzeitig – dank Hunderten von | |
Sans-Papiers (illegalen Einwanderern) – für die Wettkämpfe gebaut oder | |
renoviert worden. | |
Im Olympia-Dorf am nördlichen Stadtrand bei Saint-Denis beziehen die ersten | |
Sportler ihre Zimmer, zu Füßen des Eiffelturms, auf dem Concorde-Platz und | |
der Esplanade des Invalidendoms sind die Tribünen für das Publikum | |
installiert. Die omnipräsente Polizei sperrt Straßen und ganze Quartiere | |
und kontrolliert die Autos. Ständig und oft in die Nacht heulen die Sirenen | |
der Patrouillenfahrzeuge, das Olympiafieber steigt. | |
Die Geschäfte haben ihre Schaufenster zum Thema „JO24“ (steht für: Jeux | |
Olympiques 2024) mit den üblichen Klischees der Fremdenverkehrswerbung für | |
Paris dekoriert. Überall werden Tassen, Tücher und andere Souvenirs mit dem | |
offiziellen Logo oder den klassischen fünf Ringen verkauft, und natürlich | |
auch das unförmige JO24-Maskottchen, es soll eine Phrygiermütze (aus der | |
Revolutionszeit) darstellen, ähnelt aber mehr einem kleinen roten | |
napoleonischen Dreizackhut. Seit Monaten werben die Stadtbehörden und das | |
Organisationskomitee für den Anlass, der – den lokalen Miesmachern zum | |
Trotz – ein tolles Fest werden soll. | |
Genau hundert Jahre nach der ersten Olympiade-Organisation in Paris wird | |
die Hauptstadt an der Seine erneut Schauplatz der nach dem dem Vorbild der | |
griechischen Antike vom Franzosen [2][Pierre de Coubertin] erfunden | |
internationalen Wettkämpfe. 10 bis 15 Millionen Besucher werden erwartet. | |
Längst nicht alle dieser Olympia-Touristen kommen ausschließlich für den | |
Sport. Dieser ist oft bloß ein guter Vorwand, um endlich die Stadt der | |
Liebe, der Chansons, der Maler, der Gourmets und anderer Lebenskünstler, | |
oder auch der Clochards unter den Brücken in Augenschein zu nehmen. | |
## Idealisiertes Bild von Paris | |
Dieses Paris, das auch in anderen Jahren mehr Besucher aus aller Welt | |
anzieht als jede andere Kapitale, ist natürlich nicht unbedingt die gleiche | |
Stadt, in der gegenwärtig etwas mehr als 2 Millionen Pariser leben. Ihre | |
Vorstellung ist meistens etwas romantisch und nostalgisch. Mit den fast | |
unvermeidlichen Sehenswürdigkeiten im Blickfeld: Eiffelturm, Moulin Rouge, | |
Montmartre, Triumphbogen und Champs-Elysées, Louvre und all die anderen | |
Museen. Die Touristen aus Europas malen sich ihr Paris aus wie im Film der | |
„Fabelhaften Welt der Amélie“, und die Leute aus Übersee eher wie in der | |
Netflix-Serie „Emily in Paris“. | |
Die wahre und idealisierte Geschichte ist in Paris aber tatsächlich auf | |
Schritt und Tritt anzutreffen. Hereinspaziert ins Freilichtmuseum Paris! | |
Von Zeiten, in denen es sich in Paris (angeblich) besser als heute – oder | |
der Redewendung zufolge wie Gott in Frankreich – leben ließ, zeugen jede | |
Menge von Bauten, die von der nationalen Denkmalpflege eifersüchtig gegen | |
die Modernisierung gehütet werden. | |
Belle Epoque hieß das Zeitalter französischer Pracht und Grandeur, in dem | |
der Stadtplaner Baron Haussmann (sein Titel war übrigens fiktiv und | |
usurpiert) auf kaiserliches Geheiß von Napoleon III. ganze Viertel | |
niederreißen durfte, um entlang der neu konzipierten breiten Boulevards | |
schmucke Gebäude für die neue Bourgeoisie zu erstellen. Eine dieser | |
Prunkstraßen rechts von der Seine trägt den Namen dieses Urbanisten des 19. | |
Jahrhunderts. Die großen Warenhäuser Les Galéries Lafayette und Le | |
Printemps am Boulevard Haussmann zeugen ebenfalls von der prachtvollen | |
Architektur der Jahrhundertwende. | |
Die Folge der vom Denkmalschutz diktierten Stadtplanung ist eine notorische | |
Wohnungsknappheit. Das hat sich in der Zeit vor der Olympiade noch in | |
drastischer Weise verschlimmert. Die Zahl der Wohnungen, die nur noch für | |
kurze Zeit und hauptsächlich an Touristen vermietet werden, ist rapide | |
gestiegen, als in den Medien herumposaunt wurde, dass sich die Eigentümer | |
in den den drei Sommermonaten eine goldene Nase verdienen könnten, weil die | |
Olympiatouristen buchstäblich für jeden Preis eine Übernachtungsmöglichkeit | |
suchen. So zirkulierten Annoncen, in denen Studios in „unmittelbarer Nähe | |
der Wettkämpfe“ für runde 10.000 Euro pro Woche angepriesen wurden. | |
## Unmut der Hauptstadtbewohner | |
Wenige Tage vor der Eröffnung der Spiele am 26. Juli haben eine große Zahl | |
dieser Internetofferten der Vermieter eher wegen allzu übertriebenen | |
Tarifen (noch) keine Interessenten gefunden. Aber der Ärger der Einwohner, | |
[3][die wegen Airbnb etc. immer mehr Mühe bekunden], auf dem | |
Immobilienmarkt eine einigermaßen erschwingliche Wohnung zu finden, wird | |
dadurch nicht geringer. Die Hauptstadtbewohner, die so schon über | |
Frankreich hinaus dafür bekannt sind, dass sie ständig meckern, entdecken | |
ständig noch neue Gründe oder Motive, um über Unannehmlichkeiten bei der | |
Vorbereitung und Austragung der „JO24“ und andere „Kehrseiten der Medaill… | |
zu klagen. | |
Sehr geärgert hatte sie ein Test des Alarmsystems der Polizeipräfektur via | |
Handy. Am 13. Mai schrillten unversehens überall -- im Büro, zu Hause, im | |
Theater oder im Museum -- die Telefongeräte. Mit der empfangenen | |
Mitteilung, die als „absolut dringliche“ Warnung überschrieben war, wurden | |
die Bürgern lediglich informiert, sie könnten jetzt online den Antrag für | |
einen QR-Code stellen, der ihnen den Durchgang durch die streng | |
kontrollierten roten Sicherheitszonen entlang der Seine gewähren werde. Die | |
Ängstlichen hatten schon gemeint, der eigentlich für Extremsituationen | |
vorgesehene Alarm warne sie vor einer Naturkatastrophe oder gar einem | |
Atomkrieg… | |
Die Behörden der Region haben die lokale Bevölkerung aufgefordert, während | |
der Austragung der olympischen Wettkämpfe wenn möglich im Homeoffice zu | |
arbeiten, um nicht die bereits überaus stark frequentierten Metro- und | |
Buslinien und Vorortszüge beim Ansturm der Besucher zu belasten. Was | |
Frankreich bei der Kandidatur in Sachen kostenlosen und ökologische | |
öffentliche Transportmittel versprochen hat, wurde nicht annähernd | |
realisiert. | |
Nur gerade die vollautomatisierte Metro-Linie 14 wurde bis zum Flughafen | |
Orly verlängert, doch der Bau anderer zusätzlicher Metro-, Tramway- und | |
Bahnverbindungen wurde in den meisten Fällen nicht einmal angefangen. Und | |
von wegen Gratis-Transport: Der Preis einer Einzelfahrt wurde auf 4 Euro | |
verdoppelt! | |
## Reservierte Fahrspuren für Olympia | |
Aus Sicherheitsgründen waren aber schon zwei Wochen vor dem offiziellen | |
Start 15 Metro-Stationen, darunter die für Umsteiger wichtige Concorde | |
geschlossen, wegen der Vorbereitungen fielen zudem ständig Buslinien aus. | |
Nur während der großen Streiks sah man so viele Fußgänger auf den Straßen. | |
Auf der Ringautobahn Périphérique und auch auf Achsen innerhalb von Paris | |
wurden Fahrspuren mit der Aufschrift „Paris 2024“ eingerichtet, die für die | |
Delegationen und Offiziellen sowie Ambulanzen und die Polizei reserviert | |
sind. Der ganze restliche Verkehr muss dann mit den bereits total | |
überlasteten Spuren Vorlieb nehmen. Die dabei unvermeidlichen Staus waren | |
absehbar, sie sind für die Einheimischen ein weiterer Grund zu Schimpfen. | |
„Eines ist sicher, in diesem Sommer werde ich aus Paris flüchten!“ Das ist | |
der Standardsatz der schimpfenden Pariser, die sich von Behinderungen | |
persönlich belästigt fühlen. Dabei verlassen dieselben entrüsteten | |
Hauptstadtbewohner ohnehin jedes Jahr während der Sommermonate Paris für | |
den Urlaub in der Provinz oder im Ausland! Die Bürgermeisterin von Paris, | |
Anne Hidalgo, hat die Nase voll von diesem „Olympia-Bashing“ der Nörgler. | |
Sie jedenfalls wolle sich nicht die Festfreude verderben lassen. | |
Um zu beweisen, dass sie Recht habe und nicht die ewigen Stänkerer, ist sie | |
am 17. Juli schon mal vor den Fernsehkameras in der Seine schwimmen | |
gegangen. Dem Publikum ist das Baden in der Seine, in der olympische | |
Schwimmwettkämpfe stattfinden sollen, frühestens ab 2025 erlaubt. | |
Vielleicht denken sie dann in 12 Monaten rückblickend viel weniger kritisch | |
oder sogar wehmütig an den olympischen Sommer in Paris zurück. | |
26 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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