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# taz.de -- Behörden ignorierten Gerichtsbeschluss: Wende in Chemnitzer Abschi…
> Ein Gericht entscheidet, dass ein abgeschobener Marokkaner doch nicht
> zurückgeholt wird. Gleichzeitig gestehen Behörden erstmals Fehler ein.
Bild: Abschiebung gegen juristischen Widerstand: Sachsen fährt schon lange ein…
Berlin taz | Die sächsischen Behörden müssen den abgeschobenen Marokkaner
Mehdi Nimzilne doch nicht nach Deutschland zurückholen. Das
Oberverwaltungsgericht Bautzen hob einen entsprechenden Beschluss auf und
kassierte auch noch eine weitere Entscheidung, laut der Nimzilne [1][gar
nicht erst hätte abgeschoben werden dürfen]. Die Anwältin des Betroffenen
will nun eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht prüfen.
Der Fall ist komplex: Am 11. Juli sollte der 34-jährige Mehdi Nimzilne, der
bis dahin geduldet in Deutschland gelebt hatte, in sein Herkunftsland
Marokko abgeschoben werden. Während er auf dem Weg zum Flughafen war,
entschied das Verwaltungsgericht Chemnitz, dass die Abschiebung gestoppt
werden muss, weil Nimzilne mit einer Deutschen verheiratet ist.
Dies gaben die sächsischen Behörden jedoch nicht an die
Bundespolizist*innen weiter, die die Abschiebung durchführten.
Nimzilne wurde nach Casablanca ausgeflogen. Die Folge war ein öffentlicher
Aufschrei. Das Verwaltungsgericht Chemnitz urteilte kurz nach der
Abschiebung, dass der Mann zurückgeholt werden muss.
Am Montag kam dann die Wendung: Das Oberverwaltungsgericht Bautzen hob
beide Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Chemnitz auf. Laut den
Beschlüssen, die der taz vorliegen, war die Abschiebung rechtens, weil
nicht vorgetragen worden sei, „dass die Ehepartner im besonderen Maße
aufeinander angewiesen seien“. Zur Begründung verweisen die
Richter*innen darauf, dass Nimzilne in Chemnitz wohnte, seine Frau aber
im weit entfernten Bochum lebt. Sonstige Gründe, die gegen eine Abschiebung
sprechen, gebe es nicht. Auch die Entscheidung der Chemnitzer
Richter*innen, dass Nimzilne zurückgeholt werden muss, kassierte das
Oberverwaltungsgericht.
## Anwältin prüft Anzeigen gegen Behörden-Personal
Die Anwältin des Abgeschobenen, Inga Stremlau, sagte der taz am Donnerstag,
rein juristisch seien die Entscheidungen „vertretbar“. Sie kündigte aber
an, eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht in
Karlsruhe zu prüfen. Grundlage könne etwa eine Verletzung von Artikel 6 des
Grundgesetzes sein, der Ehe und Familie unter besonderen Schutz stellt.
Zur Argumentation des Bautzener Gerichts, wonach Nimzilne und seine Ehefrau
zu weit voneinander entfernt gewohnt hätten, um die Ehe als
Abschiebungshindernis zu werten, sagt Stremlau: „Das lag nicht in der
Kontrolle meines Mandanten.“ Als Geduldeter unterlag er der sogenannten
Wohnsitzauflage, durfte also nicht ohne Erlaubnis aus Chemnitz wegziehen.
Den nötigen Antrag für den Umzug habe ihr Mandant vor Monaten bei der
Ausländerbehörde Chemnitz gestellt, so Stremlau, dieser sei aber nicht
bearbeitet worden. Die Stadt Chemnitz äußerte sich auf taz-Anfrage dazu
nicht und verwies auf Datenschutzbestimmungen.
Stremlau betont außerdem, dass die Entscheidungen der Bautzner
Richter*innen am ursprünglichen Skandal nichts änderten: Die Behörden
schoben eine Person ab, obwohl eine zum damaligen Zeitpunkt gültige
Gerichtsentscheidung dies klar untersagte. „Die Exekutive hat sich hier
über bindende Beschlüsse der Judikative hinweggesetzt“, so Stremlau. Sie
will deshalb Strafanzeigen und Dienstaufsichtsbeschwerden gegen die
beteiligten Sachbearbeiter*innen bei der Stadt Chemnitz und der
Landesdirektion prüfen. „Ein solcher Angriff auf rechtsstaatliche
Grundsätze muss Konsequenzen haben.“
Dass bei der Abschiebung Fehler passiert sind, räumen inzwischen sogar
[2][die sächsischen Behörden] ein, nachdem sie dies in der letzten Woche
noch abgestritten hatten. Eine Sprecherin der Landesdirektion Sachsen (LDS)
sprach am Donnerstag erstmals von „juristischen Fehleinschätzung der damit
befassten Bediensteten“. Es sei „insbesondere ein Anliegen, klar und intern
sicherzustellen, dass die Bindungswirkung von Gerichtsentscheidungen durch
die LDS und ihre Bediensteten selbstverständlich beachtet und respektiert
wird.“
26 Jul 2024
## LINKS
[1] /Trotz-Gerichtsbeschluss-ausgeflogen/!6024509
[2] /Saechsischer-Innenminister-ueber-Asyl/!6020725
## AUTOREN
Frederik Eikmanns
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Abschiebung
Sachsen
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