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# taz.de -- S-Bahn Berlin: Fährt sie? Oder fährt sie nicht?
> Zu ihrem 100-Jährigen werden die Weichen für die S-Bahn neu gestellt.
> Oder nicht? Bei der aktuellen Ausschreibung könnte die DB erneut zum Zug
> kommen.
Bild: Zur Abfahrt bereit: S-Bahnen im Stellwerk Friedrichsfelde
Berlin taz | Einen kühlen Kopf bewahren können Fahrgäste der Berliner
S-Bahn im 100. Jahr ihres Bestehens – jedenfalls auf dem Ring und seinen
Ausfallstrecken nach Königs Wusterhausen (S46) sowie Wildau/Hohen Neuendorf
(S8). Dort sind seit Ende letzten Jahres die neuen Züge der Reihe 483/484
unterwegs, mit kantigem Design, großen Flatscreens für Fahrgastinfos – und
einer Klimaanlage, die meist funktioniert.
So viel Luxus gibt es nicht in den in die Jahre gekommenen Fahrzeugen, die
im Rest des Berliner S-Bahn-Netzes rollen – genauer: in den Teilnetzen
Stadtbahn und Nord-Süd. Auch nach dem endgültigen Abschied von den letzten
DDR-Beständen – im S-Bahner-Slang wegen ihrer ursprünglichen Farbgebung
[1][„Coladose“ genannt] – ist die Alt-Flotte nicht mehr auf der Höhe der
Zeit und wartet dringend auf Ablösung.
Wann die tatsächlich kommt, kann niemand mit Sicherheit sagen. Ein
wichtiger Schritt könnte aber in zwei Monaten getan sein: Laut Insidern
werden die Länder Berlin und Brandenburg Anfang Oktober ihre Entscheidung
bekannt geben, wer den Zuschlag für mindestens 1.308 (und bis zu 2.160)
S-Bahn-Wagen sowie deren Betrieb in beiden Teilnetzen erhält.
Das Vergabeverfahren zieht sich mittlerweile schon über vier Jahre hin: Im
August 2020 wurden als Ergebnis einer langen politischen Debatte vier
„Lose“ ausgeschrieben: Züge für das Teilnetz Stadtbahn, Züge für das
Teilnetz Nord-Süd, Betrieb im Teilnetz Stadtbahn, Betrieb im Teilnetz
Nord-Süd. Neu war auch, dass die Fahrzeuge ins Eigentum der extra
gegründeten „Landesanstalt für Schienenfahrzeuge Berlin“ übergehen – d…
Bewerber verpflichteten sich aber, sie 30 Jahre lang zu warten. Der Betrieb
wurde für je 15 Jahre ausgeschrieben.
## Für Alstom stehen die Zeichen schlecht
Um es gleich vorwegzunehmen: Sollte am Ende nicht der Platzhirsch DB den
Zuschlag bekommen, dessen Tochter S-Bahn Berlin GmbH seit Jahrzehnten über
das Schicksal der Berliner S-Bahn bestimmt, würden sich alle
BeobachterInnen die Augen reiben. Zwar bedeutete es, dass am Ende eines
vermeintlichen Diversifizierungsprozesses, der die Monopolstellung des
deutschen Schienenkonzerns aufbrechen sollte, zumindest gefühlt alles beim
Alten bleibt.
Aber die Zeichen stehen schlecht für den einzigen Mitbewerber, den
französischen Fahrzeughersteller Alstom, [2][der in Berlin unter anderem
Trams für die BVG baut]. Alstom will lediglich die Züge liefern und instand
halten, die DB hingegen bildet ein Konsortium mit den Herstellern Siemens
und Stadler und bewirbt sich deshalb für alle vier Lose. Auch die erwähnten
Züge der neuen Reihe 483/484 wurden von Siemens und Stadler produziert.
Bei Alstom fühlte man sich durch dieses faktische Ungleichgewicht von
Anfang an übervorteilt und monierte auch viele andere Details des
Vergabeverfahrens. Der im Detail extrem schwer zu durchdringende Konflikt
zwischen den Franzosen und den ausschreibenden Ländern landete bei der
Justiz. [3][Anfang März fällte das Kammergericht eine Entscheidung], mit
der es nur einigen wenigen der Beanstandungen stattgab und Berlin und
Brandenburg zu kleineren Korrekturen in der Ausschreibung zwang.
Dieser Beschluss war nicht mehr anfechtbar. Sollte sich aber im Oktober nun
doch wieder die DB den ganzen Kuchen mit einem Auftragswert von rund 8
Milliarden Euro sichern, ist nicht ausgeschlossen, dass ein neuerlicher
Rechtsstreit folgt.
Munition für Alstom liefert dabei auch die schriftliche Begründung des
Kammergerichts: Darin heißt es sinngemäß, die gesplittete Ausschreibung,
bei der sich Unternehmen sowohl für einzelne Lose als auch für alle im
Paket bewerben konnten, könne rechtlich problematisch sein: nämlich dann,
wenn die Länder einer Paketbewerbung aus generellen Erwägungen den Zuschlag
erteilen, obwohl konkurrierende Angebote für Einzellose billiger zu haben
wären.
## Irgendwas wird schon rollen
Ursprünglich sah die Zeitschiene vor, dass das Nord-Süd-Teilnetz unter
seinem neuen Betreiber ab Ende 2027 gestaffelt in Betrieb gehen sollte, das
Stadtbahn-Teilnetz dann Anfang 2028. Dass diese Termine zu halten sind, ist
unwahrscheinlich. Am Ende ist das aber fast egal: Die eigentlichen
Verkehrsverträge mit der DB sind schon 2017 ausgelaufen, seitdem wird der
Betrieb über Interimsverträge abgesichert. Irgendwas wird also schon
rollen.
Schaudern lässt allerdings die deutschlandweite Performance der DB AG, bei
der Verspätungen das neue Normal sind, und die einen riesigen
Sanierungsstau vor sich her schiebt. Vor 15 Jahren – im Jahr 2009 – war es
die Sparpolitik der DB gewesen, die der S-Bahn und ihren NutzerInnen die
größte selbst verschuldete Krise ihrer 100-jährigen Geschichte einbrockte.
Bleibt zu hoffen, dass zumindest das neue Modell des landeseigenen
Fahrzeugpools hier auf Dauer einen Unterschied macht.
8 Aug 2024
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## AUTOREN
Claudius Prößer
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Deutsche Bahn
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