| # taz.de -- Regierungspläne zur Kindergrundsicherung: „Das verfestigt Unglei… | |
| > Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, hält die | |
| > Kindergrundsicherung für gescheitert. Das bestehende System werde nicht | |
| > angetastet. | |
| Bild: Mit Kind im Bio-Supermarkt: alles wird teurer durch die Inflation | |
| taz: Frau Bentele, das Ziel der Kindergrundsicherung war, Kinder aus der | |
| Armut zu holen. Kann das mit den jetzigen Plänen noch klappen? | |
| Verena Bentele: Nein. Die [1][geplanten kleinen Veränderungen] ändern | |
| nichts am System. Sie ändern nichts am grundsätzlichen Problem, dass | |
| Familien, in denen Eltern besser verdienen, durch Steuerfreibeträge stärker | |
| entlastet werden als Familien mit wenig Geld. | |
| Momentan ist zum Beispiel geplant, dass Kindergeld und Kindersofortzuschlag | |
| um je 5 Euro erhöht werden. | |
| Das ist nicht schlecht, aber das hat mit einer Kindergrundsicherung nichts | |
| zu tun. Alles wird teurer, durch die Inflation zum Beispiel frische | |
| Lebensmittel. Diese Beträge sind eher eine dynamische Anpassung, mit der | |
| höhere Kosten ausgeglichen werden. Im Übrigen profitieren auch hier | |
| diejenigen Personen, deren Steuerfreibeträge ebenfalls steigen. Das | |
| verfestigt Ungleichheit. | |
| Man könnte sagen, die Erhöhungen hätte es nicht gegeben, wenn vorher nicht | |
| so hoch gepokert worden wäre. | |
| Das kann sein, und wir befürworten diese Erhöhung auch. Aber wenn sie das | |
| Ergebnis der vielen Verhandlungsrunden zur besseren Förderung von Kindern | |
| und Familien ist, können wir uns darüber nicht freuen. Jedes Taschenbuch | |
| kostet mehr. | |
| Kommen soll nun auch der Kindergrundsicherungscheck. Was ist damit gemeint? | |
| Wir wissen noch nicht genau, wie der Check aussehen wird. Offenbar sollen | |
| Familien angeschrieben werden, wenn sie einen Anspruch auf Kinderzuschlag | |
| haben könnten. Um andere Leistungen wird es da nicht gehen. Zudem soll wohl | |
| ein Kinderchancenportal kommen, wo Familien Leistungen für Bildung und | |
| Teilhabe abrufen können. Aber erstens ist es eine grundsätzliche Aufgabe | |
| des Staates, seine Bürger*innen darauf hinzuweisen, welche Leistungen es | |
| gibt. Und zweitens frage ich mich, ob gerade die Familien, die dringenden | |
| Bedarf haben, damit auch wirklich erreicht werden und die Leistungen bei | |
| ihnen landen. Ich glaube nicht. | |
| Wie würde man diese Eltern erreichen? | |
| Natürlich brauchen sie gute Informationen. Aber die Hoffnung war, dass sie | |
| die Leistungen für ihre Kinder ohne den derzeitigen Aufwand, ohne die enorm | |
| komplizierten Anträge bekommen. Im Zweifel müssen sie dann auch noch | |
| Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid einlegen. Für uns wäre | |
| entscheidend gewesen, dass über die automatisierte Auszahlung eine Umkehr | |
| des Systems eingeleitet worden wäre. Je weniger die Eltern können, desto | |
| mehr Unterstützung gibt es vom Staat. Das war die Idee, die mal hinter der | |
| Kindergrundsicherung stand. | |
| Manche sagen, dass eine automatisierte Auszahlung überhaupt nicht möglich | |
| wäre, weil die Daten, die der Staat dafür braucht, nicht automatisch | |
| erfasst werden können. Zum Beispiel, ob der Ehemann schon ausgezogen ist | |
| oder man sich die Miete teilt oder ob die Tochter BaföG bekommt. | |
| Ich meine schon, dass da Einiges möglich wäre. Wenn zum Beispiel alle | |
| Menschen eine Steuererklärung abgeben würden, wäre auch eine zielgenauere | |
| Unterstützung und Auszahlung möglich. Generell ist es aber natürlich ein | |
| Problem, dass die Behörden in Deutschland so schlecht untereinander | |
| vernetzt sind. Das muss sich perspektivisch ändern. | |
| Was sollte nach dem Sommer bestmöglich noch kommen? | |
| Die Familien sollten nicht an vielen verschiedenen, sondern nur noch an | |
| einer Stelle Anträge für ihre Kinder stellen müssen. Diese Vereinfachung | |
| wäre zentral. Zudem müsste darüber gesprochen werden, ob die | |
| Steuerfreibeträge für Kinder gesenkt werden. Damit würde eben nicht die | |
| Förderung von Wohlhabenden verbessert, was in dieser Koalition aber | |
| natürlich schwierig ist – [2][auch wenn Lisa Paus das wohl möchte]. Leider | |
| kann ich mir derzeit nicht vorstellen, dass solche maßgeblichen Änderungen | |
| noch möglich sind. | |
| Ist das Projekt Kindergrundsicherung damit erstmal auf Jahre erledigt? | |
| Als Zivilgesellschaft, als Bündnis werden wir das Projekt weiter fördern | |
| und verfolgen. Dass das politisch in naher Zukunft nochmal angefasst wird, | |
| da bin ich eher pessimistisch. Man müsste es ja erst mal wieder in den | |
| nächsten Koalitionsvertrag bringen. Wir wissen nicht, ob das die nächste | |
| Regierung machen wird. | |
| Woran genau ist das Projekt gescheitert? | |
| [3][Die Perspektiven der Koalitionsparteien gehen da deutlich auseinander]. | |
| Offenbar war der Einigungswille nicht groß genug: Sich gemeinsam vortasten | |
| und schauen, was möglich wäre, ging wohl nicht. Genauere Infos haben nur | |
| die drei Koalitionäre. | |
| Sie sehen also gar nicht nur Lisa Paus in der Verantwortung? | |
| Keineswegs. Auch SPD und FDP haben es sich recht bequem damit gemacht, nur | |
| mit dem Finger darauf zu zeigen, was schlecht ist. So kann man ein solches | |
| Projekt auch schnell vom Tisch kriegen. | |
| Was heißt das für die Koalition? | |
| Für die hat es keine substanziellen Konsequenzen. Dafür ist das Projekt | |
| wahrscheinlich nicht wichtig genug. Der Kanzler hat für die | |
| Kindergrundsicherung nicht für uns hörbar auf den Tisch gehauen, um eine | |
| Einigung im Sinn armer Kinder zu erzielen. Es macht mehr Eindruck, wenn | |
| Unternehmen vor den drei Koalitionsparteien vorsprechen, als wenn über arme | |
| Kinder gesprochen wird. | |
| 21 Jul 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Patricia Hecht | |
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