# taz.de -- Online-Datenbank „LostLift“: Dem NS-Raubgut auf der Spur | |
> Die Nazis beschlagnahmten die Frachtcontainer von Menschen, die vor ihnen | |
> flüchteten. Das Deutsche Schifffahrtsmuseum holt die Enteignungen ans | |
> Licht. | |
Bild: Erst geraubt, dann versteigert: Zeitungsanzeige aus dem Jahr 1941, fotogr… | |
Lübeck taz | „Freiwillige Versteigerung für die gesamte Einrichtung der | |
Wahnschaff-Schule“, heißt es in der Zeitungsannonce. Am 24. und 25. Mai | |
1940 sollen „Mobilien aus 15 Klassenzimmern“ versteigert werden: | |
Schulbänke, Sessel und Bücherregale, Weltkarten und Turnpferde, | |
Mikroskope, eine Schmetterlingssammlung. | |
Doch freiwillig war diese Versteigerung nicht. Die liberale jüdische | |
Mädchenschule musste 1939 schließen. Nach der Reichspogromnacht verließen | |
Tausende als jüdisch verfolgte Menschen das Land. Ihre Sachen verpackten | |
sie in „Lifts“, Holzcontainer für die Verschiffung. Was darin lagerte, war | |
ihr ganzer Besitz im Exil, oft auch Material für einen beruflichen Neustart | |
– wie die Einrichtung einer Schule. Das Verschicken der Dinge war teuer: | |
Neben dem Transport mussten die Flüchtlinge eine Reichsfluchtsteuer | |
bezahlen und eine Gebühr, die den gleichen Wert hatte wie die Fracht. | |
Doch viele der Exilanten warteten umsonst auf ihr Umzugsgut. Nach | |
Kriegsbeginn 1939 durften keine Frachtschiffe mehr den Hafen verlassen. Die | |
Umzugs-Lifts wurden beschlagnahmt und versteigert. Viele dieser | |
Versteigerungen fanden im Auktionshaus W.C.H. Schopmann & Sohn statt, das | |
sich als „ältestes Auktionshaus Deutschlands“ bezeichnete und noch bis 2010 | |
in Hamburg Auktionen durchführte. Bei der Versteigerung der | |
Schuleinrichtung nahm es 15.290,60 Reichsmark ein, wovon es knapp 13.000 an | |
die Gestapo überwies. Viele der Dinge hatte die Hamburger Sozialverwaltung | |
gekauft. So [1][profitierten Behörden], Auktionshäuser, die wirtschaftliche | |
Konkurrenz und viele [2][Privatleute] vom Massen-Exodus. | |
Das Deutsche Schifffahrtsmuseum Bremerhaven untersuchte die Geschichte | |
seiner Objekte und wurde so auf die verlorenen Umzugscontainer aufmerksam. | |
Es startete das „LostLift“-Forschungsprojekt. Seine Mitarbeiter:innen | |
werteten 900 Versteigerungsanzeigen in den Bremer Nachrichten aus und | |
verglichen sie mit Frachtscheinen, besuchten Archive, lasen | |
Auswanderungsdokumente und Listen von Spediteuren, sprachen mit Nachkommen | |
der Geflüchteten. | |
## Hinter jedem Eintrag steckt eine Lebensgeschichte | |
„Wir setzen Puzzlesteine zusammen“, beschreibt die Leiterin des Projektes, | |
Susanne Kiel, ihre Arbeit. Inzwischen hat sie eine Kollegin, die die | |
Vorgänge im Hamburger Hafen untersucht, unterstützt von je zwei | |
wissenschaftlichen Hilfskräften. Aus ihren Recherchen haben sie die | |
[3][„LostLift“-Datenbank] erstellt, die seit letzten Herbst online frei | |
zugänglich ist. Darin sind bis jetzt 3.378 Frachtsendungen wie Liftvan, | |
Kisten und Kolli sowie 6.450 beteiligte Institutionen, Firmen oder Personen | |
gelistet. Die Datenbank bezahlt das Museum, die Personalstellen fördert das | |
Deutsche Zentrum Kulturgutverluste. | |
Hinter jedem Eintrag in der Datenbank steckt eine Lebensgeschichte, | |
Schicksale wie das des Geigers und Komponisten Julian Gumpert, der im Juli | |
1939 übereilt über Amsterdam nach Ecuador floh. Dort starb er zwei Wochen | |
nach seiner Ankunft an einem Herzinfarkt. Weil seine Familie nichts von der | |
Flucht wusste, stellte sie nie einen Rückerstattungsantrag für den | |
verlorenen Besitz. Erst durch das Projekt erfuhren seine Nachkommen, was | |
mit ihm geschehen war. | |
Wichtiger als der materielle Wert der Dinge in den Lifts ist für die | |
Familien, dass sie durch die Forschung „weiße Flecken der | |
Familiengeschichte aufarbeiten können“, sagt Susanne Kiel. Forschungen | |
dieser und anderer Vorgänge während der NS-Zeit können dazu beitragen, | |
Traumata zu heilen. | |
In den Familien der Täter wurde geschwiegen. Zum Beispiel darüber, wo die | |
schönen Teppiche, die Antiquität oder der Persermantel der Mutter so | |
plötzlich herkamen. Diese Gegenstände sind noch immer belastet. Kiel | |
wünscht sich, dass viele Menschen sich beim Stöbern auf dem Dachboden | |
fragen: „Welche Geschichte haben diese Dinge?“ | |
26 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Forscher-ueber-Finanzbehoerde-im-NS/!5996275 | |
[2] /Arisierungs-Mahnmal-in-Bremen/!5956447 | |
[3] https://lostlift.dsm.museum/ | |
## AUTOREN | |
Friederike Grabitz | |
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