# taz.de -- Konzert der queeren US-Popikone Anohni: Schwärmen von Angela | |
> Hoffnung stirbt zuletzt: Anohni, die queere US-Popikone, gastierte am | |
> Dienstag mit ihrem Ensemble the Johnsons in der Berliner Zitadelle | |
> Spandau. | |
Bild: Anohni und the Johnsons auf der Bühne der Berliner Zitadelle Spandau | |
Unlängst hatte Anohni erklärt, für eine:n Künstler:in gäbe es nichts | |
Erfüllenderes, als vor Publikum zu einem „Katalysator für die Fantasie der | |
Leute“ zu werden – [1][obwohl die US-Musikerin 2016 ja angekündigt hatte, | |
nie wieder auf Tournee gehen zu wollen.] Nun ist die New Yorker Queer-Ikone | |
aber wieder auf europäischen Bühnen unterwegs. Das Berliner Konzert ist | |
allerdings das einzige hierzulande – zu dem die 52-Jährige gute Geister in | |
verschiedenen Aggregatzuständen mitbringt. | |
Zum Auftakt tanzt ein Fabelwesen mit Geweih auf der Bühne, das findet | |
allerdings kaum Beachtung, denn das Publikum in der teilbestuhlten | |
Zitadelle Spandau ist mit Hitzemanagement und Getränkebeschaffung | |
beschäftigt. Als die Tänzerin gegen Ende des Konzerts zu verstörenden | |
Dronesounds noch einmal performt, bekommt sie dagegen volle Aufmerksamkeit. | |
Anohni hat die Bühne da gerade kurz verlassen, doch die Verzauberung ihres | |
Publikums hält an. Das Katalysator-Sein funktioniert offenbar. | |
Kurz darauf stellt Anohni ihren Gast als Johanna Constantine vor; mit ihr | |
und der 2018 verstorbenen Julia Yasuda hatte sie Mitte der 1990er Jahre das | |
Performancetrio The Johnsons gegründet. Auch dieser Tage ist Anohni wieder | |
mit den Johnsons unterwegs. | |
## Schwelgerisch musizierende Band | |
In der aktuellen Inkarnation verbirgt sich dahinter eine schwelgerisch | |
musizierende Band: An der Gitarre ist etwa der sonst in eher mainstreamigen | |
Gefilden tätige Jimmy Hogarth; er war zudem Produzent [2][ihres Albums „My | |
Back Was a Bridge for You to Cross“ (2023)]. Auch die Cellistin Julia Kent | |
ist wieder dabei. Sie wirkte schon auf „I Am a Bird Now“ (2005) mit, dem | |
Album, das Anohni (seinerzeit als Antony and the Johnsons) den Durchbruch | |
brachte. | |
Ganz in Weiß sitzen die neun Musiker:innen im Halbkreis, in ihrer Mitte | |
performt Anohni mit schwarzem Gewand und in Seidenhandschuhen. Der | |
flirrende Auftakt „Why Am I Alive Now“ stammt vom neuen, ihrem sechsten | |
Album, doch schon das Nachfolgende „4 Degrees“ signalisiert, dass das | |
Publikum Hits aus allen Schaffensphasen erwarten darf. Die beatgetriebene | |
Hymne reagiert mit Vehemenz auf unser Versagen, auf die Klimakrise zu | |
reagieren; die Leute fächern sich im Takt Luft zu. | |
Auch die anderen Songs des elektronischen, eher harschen Vorgängers | |
„Hopelessness“ (2016) fügen sich erstaunlich geschmeidig in die aktuelle | |
Klangästhetik. Anohni wirkt ähnlich zugänglich wie ihr neuer Sound und hat | |
eine deutlich entspanntere Bühnenpräsenz als auf der letzten Tour 2017. | |
Zunächst kommuniziert sie eher minimalistisch. | |
## Bisweilen nonchalant, oft eindringlich | |
Im zweiten Teil des Konzerts wendet sie sich immer wieder ans Publikum – | |
bisweilen nonchalant, oft eindringlich. Es lässt sich auch vom drögen | |
preußischen Militärambiente der Zitadelle – das eher zu einem Gauklermarkt | |
passt als zu dieser intim-intensiven Kammerpop-Performance – nicht | |
abbringen, aufmerksam zu lauschen. | |
Auch bei zwischendurch eingespielten Audioclips, für deren Verständnis man | |
durchaus die Ohren spitzen muss. Diese stammen etwa von Marsha P. Johnson, | |
Dragqueen, LGBTQI-Aktivistin (der Legende nach trat sie den | |
Stonewall-Aufstand in New York mit los) und Namenspatronin von Anohnis | |
Band; sie erzählt davon, wie sie sich zum Überleben prostituieren muss. | |
Anohni nutzt das, um daran zu erinnern, dass man Held:innen nicht erst | |
nach ihrem Tod feiern sollte – sondern besser zu Lebzeiten als solche | |
erkennen und unterstützen. | |
Für die Zugabe „Hope There’s Someone“ kehrt sie im weißen Gewand zurüc… | |
die Bühne. Gibt es also doch noch Anlass zur Hoffnung? Zuvor hatte Anohni | |
erklärt, dass sie auf die Deutschen setzte – nachdem sie erst einmal | |
erstaunlich ungebrochen von CDU-Altkanzlerin Angela Merkel geschwärmt | |
hatte. Deren Politikstil sei Beleg, dass mächtige Frauen weniger toxisch | |
unterwegs seien als Männer – und dies bedeute die vielleicht einzige | |
Chance, unsere Spezies zu retten. | |
Und immerhin hätten die Deutschen, anders als die US-Amerikaner und Briten, | |
aus ihrer Geschichte gelernt und seien gewappnet, den sich allerorten | |
auftuenden Faschismus-Untiefen etwas entgegenzusetzen. Hmm. Das Publikum | |
tut sich etwas schwer, die Ansage zu bewerten, also sich selbst zu | |
applaudieren. Es bleibt der einzige Moment dieses Abends, bei dem die | |
Reaktion auf Anohni verhalten ausfällt. | |
11 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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