| # taz.de -- Parlamentswahl in Frankreich: Wie es jetzt weitergeht | |
| > Eine Mehrheit in der Nationalversammlung zu finden, wird nicht einfach. | |
| > Das Linksbündnis sucht jetzt nach einem Kandidaten für das Amt des | |
| > Premiers. | |
| Bild: Freudenfeier in Nantes: Eine Frau schwenkt die französische Flagge | |
| Paris dpa | Die Ereignisse bei der Parlamentswahl in Frankreich haben sich | |
| überschlagen. [1][Überraschend gewinnt das linke Lager]. Die | |
| Rechtsnationalen legen zu, haben aber keine Chance auf eine eigene | |
| Regierung. Und der Premier kündigt an, zurücktreten zu wollen. Wie es in | |
| Frankreich nun weitergeht: | |
| ## Kommt das Linksbündnis jetzt an die Macht? | |
| Das linke Bündnis Nouveau Front Populaire ist stärkste Kraft in der | |
| Nationalversammlung geworden. Der frühere Parteichef der | |
| linkspopulistischen Partei La France Insoumise (LFI), [2][Jean-Luc | |
| Mélenchon, erhob noch am Wahlabend Anspruch auf die Regierungsbildung für | |
| sein Wahlbündnis]. LFI bildet die größte Gruppe innerhalb des Bündnisses, | |
| Mélenchon ist bei den anderen beteiligten Parteien aber unerwünscht. | |
| Das neue Linksbündnis in Frankreich will sich jetzt auf einen Kandidaten | |
| für das Amt des Premierministers verständigen. Das aus Grünen, Sozialisten, | |
| Kommunisten und der Linkspartei bestehende Bündnis war ohne | |
| Spitzenkandidaten in die von Präsident Emmanuel Macron kurzfristig | |
| angesetzte Wahl gegangen, die es in der zweiten Wahlrunde am Sonntag für | |
| sich entschied. Einen Favoriten für das Amt des Regierungschefs, der von | |
| Macron ernannt werden muss, hat das Bündnis noch nicht. | |
| „Wir müssen innerhalb einer Woche in der Lage sein, eine Kandidatur für das | |
| Amt des Premierministers zu präsentieren“, sagte Sozialistenchef Olivier | |
| Faure dem Sender Franceinfo. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass | |
| das Linksbündnis nicht in der Lage sei, zu regieren. Über einen Kandidaten | |
| für das Amt des Premiers müsse in dieser Woche entschieden werden, entweder | |
| im Konsens oder über eine Abstimmung in den zum Linksbündnis gehörenden | |
| Parteien. | |
| ## Mélenchon noch im Rennen? | |
| Die bisherige Fraktionschefin von Frankreichs Linkspartei, Mathilde Panot, | |
| sagte dem Sender RTL, dass das Linksbündnis in dieser Woche einen | |
| Premierminister und eine Regierung präsentieren werde. Der wegen seines | |
| polemischen Auftretens umstrittene Gründer der Linkspartei, Jean-Luc | |
| Mélenchon, ist aus Panots Sicht dabei weiterhin im Rennen. Mélenchon habe | |
| der Linken erst wieder das Siegen beigebracht und habe die Formierung eines | |
| Linksbündnisses vor der Parlamentswahl 2022 und auch jetzt erst möglich | |
| gemacht. | |
| Grünen-Generalsekretärin Marine Tondelier plädierte im Interview des | |
| Senders France Inter für einen Konsens, was die Frage des Premiers angeht, | |
| statt eines Kräftemessens zwischen den verschiedenen Parteien. Wichtiger | |
| noch als die Frage, wer die Regierung leiten solle, sei die Frage, welche | |
| Politik ein künftiger Premierminister umsetzen wolle. | |
| ## Macron kann auch Premier auswählen | |
| Als Präsident obliegt es Emmanuel Macron, den Premierminister zu ernennen. | |
| Noch ist nicht klar, ob er das Rücktrittsgesuch von Premier Gabriel Attal | |
| annehmen wird. Auch wen er in einem solchen Fall mit der Regierungsbildung | |
| beauftragt, ist nicht abzusehen. | |
| Trotz ihres Überraschungserfolgs bleiben die Linken weit von einer | |
| absoluten Mehrheit entfernt. Damit könnten die anderen Fraktionen eine | |
| linke Regierung nicht nur per Misstrauensvotum stürzen. Auch haben die | |
| vergangenen zwei Jahre, in denen das Macron-Lager nur eine relative | |
| Mehrheit in der Parlamentskammer hatte, gezeigt, wie schwer es in | |
| Frankreich ist, ohne absolute Mehrheit zu regieren. Ob dies den Linken | |
| besser gelingen würde, ist unklar, zumal sie noch über weit weniger Sitze | |
| verfügen dürften als Macrons Mitte-Kräfte vor der Auflösung der | |
| Nationalversammlung vor wenigen Wochen. | |
| Theoretisch ist auch eine Koalition aus Linken und Mitte-Kräften möglich. | |
| Aus dem Linksbündnis heraus kamen jedoch bereits klare Absagen an eine | |
| solche Allianz. | |
| ## Welchen Zeitplan gibt es für die Regierungsbildung? | |
| Hierzu gibt es keine genauen Vorgaben. Macron könnte mit der Ernennung | |
| eines Premiers auch bis nach der parlamentarischen Sommerpause warten. | |
| Allerdings kommt das neu gewählte Parlament am 18. Juli zu seiner ersten | |
| Sitzung zusammen. Dabei wird die Parlamentspräsidentin oder der | |
| Parlamentspräsident gewählt. Am Folgetag wird über die Vizepräsidenten und | |
| die Besetzung von Ausschüssen entschieden. | |
| ## Was passiert, wenn keine Regierung gefunden wird? | |
| Wenn keines der politischen Lager eine absolute Mehrheit erhält oder in | |
| einer Koalition oder unter Duldung zur Bildung einer Regierung in der Lage | |
| ist, kann Macron Premierminister Gabriel Attal trotz dessen | |
| Rücktrittsankündigung bitten, mit der aktuellen Regierung zunächst | |
| geschäftsführend im Amt zu bleiben. Diese Übergangszeit kann etliche Wochen | |
| dauern, auch mit Blick auf die Olympischen Spiele, die am 26. Juli in Paris | |
| starten, sowie die politische Sommerpause. Macron könnte dann eine aus | |
| Experten, hohen Verwaltungskräften und Ökonomen zusammengestellte | |
| technische Regierung bilden. Eine Auflösung des Parlaments und Neuwahlen | |
| sind erst in einem Jahr wieder möglich. | |
| ## Was sind die Auswirkungen auf Deutschland und Europa? | |
| Das ist nicht klar. Das Linksbündnis hat die Führungsfrage bisher offen | |
| gelassen und auch kein gemeinsames Programm. Insofern ist noch nicht | |
| ausgemacht, welche Politik es umsetzen will, wenn es an die Regierung | |
| kommt. Fest steht aber, dass das Bündnis bis auf einzelne Teile am linken | |
| Rand klar proeuropäisch eingestellt ist und auch fest zur Unterstützung der | |
| Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg steht. | |
| Bei politischem Stillstand in Frankreich könnten Berlin und Brüssel nicht | |
| weiter auf Frankreich als starken Partner setzen. Das Land wäre mehr auf | |
| das Verwalten als auf das Anstoßen neuer Vorhaben ausgerichtet. | |
| ## Profitiert Le Pen dennoch vom Wahlausgang? | |
| Auch wenn das Rassemblement National anders als prognostiziert nicht | |
| stärkste Kraft geworden ist und selbst hinter dem Präsidentenlager landen | |
| könnte, verbucht die Partei von Marine Le Pen erhebliche Zugewinne in der | |
| Nationalversammlung. Sie ist dort stärker denn je vertreten. Damit wächst | |
| der Einfluss der Partei in der Parlamentsarbeit und sie erhält mehr Geld | |
| aus der Parteienfinanzierung, mit dem sie bereits die Vorbereitung der | |
| Präsidentschaftswahl 2027 und der spätestens dann auch anstehenden nächsten | |
| Parlamentswahl vorbereiten kann. | |
| ## Was ist mit Macron? | |
| Ob Macron noch etwas von seinem ursprünglichen Anspruch als Frankreichs | |
| Reformer und Verfechter eines starken Europas wird retten können, wird sich | |
| in den nächsten Tagen und Wochen zeigen. Sollte es ihm mit Taktieren und | |
| Zugeständnissen entgegen der überwiegenden Erwartung gelingen, eine auf | |
| Dauer regierungsfähige Mehrheit unter Beteiligung seines Regierungslagers | |
| auf die Beine zu stellen, käme er möglicherweise noch mit einem blauen Auge | |
| davon. | |
| Da es aber bereits in den vergangenen zwei Jahren unter wesentlich klareren | |
| Machtverhältnissen nicht gelang, eine Koalition zu schmieden, wird Macrons | |
| bleibende Amtszeit möglicherweise eher aus dem Verwalten instabiler | |
| Verhältnisse und Stillstand in Frankreich bestehen. Innen- und | |
| außenpolitisch wäre er geschwächt. Obwohl ein Sieg der Rechtsnationalen bei | |
| der Parlamentswahl verhindert wurde, hat Macron sich und seinem Vermächtnis | |
| durch die Neuwahl mehr geschadet als geholfen. | |
| 8 Jul 2024 | |
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