| # taz.de -- Entrechtet in der Haftanstalt: Gefesselt bis der Arzt kommt | |
| > Die Inhaftierte Natasa L. muss bei jedem Krankenhaustermin gefesselt | |
| > sein. Das ist unwürdig, findet das Gericht. Die JVA setzt es trotzdem | |
| > durch. | |
| Bild: Gefesselter Fuß von Natasa L. zwei Tage nach einer OP im Universitätskl… | |
| Hamburg taz | Als die Anwältin Lea Mechsner am vorvergangenen Sonntag die | |
| Onkologiestation im Hamburger Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) | |
| betrat, erlebte sie eine unschöne Überraschung. „Man wollte mich zuerst gar | |
| nicht rein lassen“, berichtet Mechsner der taz. Zwei Justizvollzugsbeamte | |
| des Gefängnisses Billwerder bewachten das Behandlungszimmer von Natasa L. | |
| Als Mechsner sich schließlich doch Zugang zu ihrer Mandantin verschaffte, | |
| war diese mit Fußfesseln ans Bett gekettet. „Man behandelte sie wie eine | |
| Schwerverbrecherin“, kritisiert Mechsner. Die Anweisung dazu sei von der | |
| Leiterin des Frauengefängnisses Billwerder gekommen, die sich damit über | |
| ein Gerichtsurteil hinwegsetzte. | |
| Dabei ist Natasa L. keine Schwerverbrecherin. Seit 2022 sitzt sie [1][in | |
| der Justizvollzugsanstalt (JVA)] Billwerder, im Frauenknast. Ihre | |
| Inhaftierung beruht auf zahlreichen Diebstahl- und | |
| EC-Kartenbetrugsdelikten. L. klaute in Supermärkten, Bekleidungsgeschäften | |
| und Restaurants, entwendete Brieftaschen und Handtaschen. Im | |
| Bundeszentralregister liegen 47 Einträge zu ihrer Person vor, fast alle | |
| davon sind Diebstähle oder EC-Karten-Betrüge, oft auch unter | |
| Bewährungsauflagen. L. ist spielsüchtig. | |
| L.s Haftstrafe ist derzeit bis zum Jahr 2032 angeordnet, doch das wird sie | |
| wahrscheinlich nicht mehr erleben. Die 53-Jährige ist unheilbar krebskrank, | |
| sie hat Metastasen im Darm, in den Knochen und der Lunge. Sie hat | |
| Operationen, Chemotherapie und Bestrahlung hinter sich, aber mittlerweile | |
| dient die Behandlung nur noch der Lebenserhaltung und Schmerzlinderung. | |
| Wenn die Inhaftierte zur Behandlung ins UKE muss, fährt ein | |
| Gefangenentransporter sie dort hin. Zwei [2][Justizvollzugsbeamte fahren | |
| mit ihr]. An Händen oder Füßen werden L. zudem Stahlfesseln angelegt, die | |
| ihr weder in den Fluren des Krankenhauses noch auf der Station abgenommen | |
| werden. Wenn es nach der JVA geht, soll L. selbst in der Röhre zur | |
| Magnetresonanztomographie (MRT) gefesselt sein. Ihre Stahlfesseln könnten | |
| zu diesem Zweck abgenommen und gegen Kunststofffesseln getauscht werden, | |
| empfiehlt die Haftanstalt in einem Schreiben. | |
| ## Zusätzliche Belastung | |
| Ist es wirklich nötig, die schwerkranke Frau durchgehend zu fesseln? | |
| „Natürlich nicht“, sagt Mechsner. „Es ist ein unnötiger und | |
| unverhältnismäßiger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht meiner Mandantin.�… | |
| Die Fesselung stelle eine zusätzliche Belastung für die ohnehin schwer | |
| belastete Patientin dar, außerdem stigmatisiere es sie gegenüber dem | |
| Klinikpersonal. Der zusätzliche Stress könne sich negativ auf die | |
| Gesundheit ihrer Mandantin auswirken. | |
| Anfang Juli musste Natasa L. einige Tage im UKE verbringen. Durch eine | |
| Operation an der Lunge wollten die Ärzte Klarheit darüber gewinnen, ob sich | |
| dort weitere Primärkarzinome befänden. Im April beantragte Mechsner bei | |
| Gericht, dass die Behandlung ohne Fesseln erfolgen würde. „L. wird nicht | |
| fliehen“, argumentierte Mechsner. „Dazu ist sie körperlich gar nicht mehr | |
| in der Lage.“ Zudem wolle sie die wenige Zeit, die ihr noch vom Leben | |
| bliebe, mit ihren fünf Kindern verbringen. Außerdem habe sich L. in der | |
| Vergangenheit kooperativ gezeigt, sich ihrer Haft freiwillig gestellt und | |
| keine Fluchtversuche unternommen. | |
| Die [3][Leiterin des Frauengefängnisses] argumentierte dagegen. L. habe ja | |
| gar keine Chance mehr auf Heilung. Daher würde sie es wohl bevorzugen, den | |
| Rest ihres Lebens mit ihren Kindern in Freiheit zu verbringen. „Als | |
| serbische Staatsangehörige und Mitglied der Volksgruppe der Roma ist | |
| außerdem anzunehmen, dass sie über eine erhebliche Anzahl an Kontakten in | |
| Serbien und Umgebung verfügt, um eine Flucht zu ermöglichen“, schreibt die | |
| JVA. L. besitze derzeit nicht mal einen Aufenthaltstitel. | |
| Das Hamburger Landgericht folgte der Anwältin. „Eine Fesselung in den | |
| Behandlungszimmern verstößt gegen die Menschenwürde“, stellte die Kammer | |
| fest. Die Richterin ordnete an, Natasa L. dort die Fesseln abzunehmen. Auf | |
| dem „unübersichtlichen Gelände des Universitätsklinikums“ solle sie | |
| hingegen weiter gefesselt sein. | |
| Doch Mechsner misstraute der JVA-Leitung. Sie befürchtete, diese würde die | |
| Anordnung des Gerichts so auslegen, dass Natasa L. lediglich im OP-Saal | |
| ungefesselt sein dürfte. „Bitte versichern Sie mir, dass die ‚Behandlung‘ | |
| von Frau L. bis zu ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus andauert“, schrieb | |
| die Anwältin der JVA. „Sehr geehrte Frau Mechsner, Ihre Mandantin wird | |
| während der gesamten im UKE stattfindenden Behandlung nicht gefesselt“, | |
| antwortete der stellvertretende Leiter der Einrichtung, Martin Höfinghoff. | |
| Doch die JVA hielt sich nicht an ihr Wort, wie Mechsner bei ihrem Besuch am | |
| Sonntag nach der OP feststellen musste. Mit „Behandlungszimmer“ sei nicht | |
| das Stationszimmer gemeint gewesen, interpretierte die JVA den | |
| Gerichtsbeschluss, wie Mechsner es bereits befürchtet hatte. Dass die | |
| JVA-Leitung dies in der schriftlichen Kommunikation auch noch zu | |
| verschleiern versucht habe – „Das macht mich unfassbar wütend!“, sagt | |
| Mechsner gegenüber der taz. | |
| ## Falsche Absage des OP-Termins | |
| Die Patientin sei auf dem Stationszimmer an ein Beatmungsgerät | |
| angeschlossen sowie mit Drainage und Schmerzmedikation versorgt, daher sei | |
| es sehr wohl ein Behandlungsraum. Und selbst, wenn nicht: „Zwei | |
| JVA-Bedienstete im Zimmer der gerade an der Lunge operierten Krebspatientin | |
| sollten wohl ausreichen, um die Fluchtgefahr zu bannen.“ L. sei rigoros von | |
| ihrer Familie abgeschirmt worden, hätte keinen Besuch empfangen dürfen. | |
| Einige Tage vor ihrer OP hätten ihr die Justizbediensteten sogar gesagt, | |
| der OP-Termin sei abgesagt worden – damit niemand aus ihrer Familie auf die | |
| Idee kommen würde, sie zu besuchen. | |
| Erst auf Druck der Anwältin teilte die Anstalt ihr mit, der Termin würde | |
| doch stattfinden. L. sei wütend und traurig gewesen, berichtet Mechsner. | |
| „Dass die JVA nicht in der Lage oder willens ist, eine schwerkranke Frau | |
| würdig zu behandeln, finde ich sehr bedenklich“, sagt Mechsner. Die für die | |
| JVA zuständige Justizbehörde schaffte es nicht, sich innerhalb von zwei | |
| Tagen auf entsprechende taz-Anfragen zu äußern. | |
| Mechsner kündigte an, Fachaufsichtsbeschwerde gegen die JVA-Leitung | |
| einzulegen. Außerdem beantragte sie bei Gericht die Feststellung der | |
| Rechtswidrigkeit. Ihre Mandantin ist zwar mittlerweile aus dem UKE | |
| entlassen und zurück in der JVA. Doch ins UKE wird sie noch einige Male | |
| gebracht werden müssen. | |
| 16 Jul 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Schipkowski | |
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