# taz.de -- Aufenthalt in Deutschland: Schuften fürs Bleiberecht | |
> Geduldete haben über das Chancen-Aufenthaltsrecht 18 Monate Zeit, eine | |
> Arbeit zu finden. Viele blicken auf erzwungene Untätigkeit zurück. | |
Bild: Szene bei der Berliner Firma Florida Eis: Hier sind fast 50 Prozent der B… | |
Berlin taz | Die Uhr läuft. „Wir haben nicht viel Zeit, um eine Ausbildung, | |
eine Arbeit zu finden“, sagt Nadia Hadid*. Seit Anfang des Jahres verfügen | |
die 38-Jährige und ihr Mann über einen sogenannten | |
[1][„Chancen-Aufenthalt“.] Das neue Gesetz gewährt geduldeten Geflüchteten | |
eine Aufenthalts- und Beschäftigungserlaubnis für 18 Monate, in denen sie | |
eine Arbeit finden müssen, die ihren Lebensunterhalt überwiegend sichert. | |
Sie können auch eine Ausbildung beginnen, die ihre finanzielle | |
Unabhängigkeit in der Zukunft erwarten lässt. | |
Klappt es mit der Job- oder Ausbildungssuche, bekommen die Hadids eine | |
reguläre längerfristige Aufenthaltserlaubnis. Andernfalls fallen sie wieder | |
zurück in die Duldung. „Das Jobcenter hat gesagt, wir müssen uns selbst | |
etwas suchen“, erzählt Nadia Hadid. | |
Es ist heute zwar leichter als früher, dass Geduldete eine | |
Beschäftigungserlaubnis von den Ausländerbehörden bekommen, wenn sie ein | |
Jobangebot vorweisen können. Doch Arbeit allein verschafft Menschen, die in | |
Deutschland nur geduldet sind, keinen Abschiebeschutz. Der | |
Chancen-Aufenthalt beinhaltet dagegen eine befristete Aufenthaltserlaubnis. | |
Dies verbessert auch die Chancen auf einen Job, da allein das dazugehörige | |
Dokument die Aufschrift „Aufenthaltstitel“ trägt und die Duldung ablöst. … | |
einer „Duldung“ steht in roten Lettern und mit Ausrufezeichen versehen: | |
„Aussetzung der Abschiebung (Duldung). Kein Aufenthaltstitel! Der Inhaber | |
ist ausreisepflichtig!“ So etwas schreckt Arbeitgeber ab. | |
„Wer den Chancen-Aufenthalt nutzen kann, für den ist das Gesetz eine tolle | |
Sache“, sagt Nyla Becker. Sie ist Coach bei einer Hamburger Gesellschaft | |
namens Passage, in der in einem Projektverbund auch die Hadids beraten | |
werden. | |
## Die Zielgruppe ist klein | |
Die Geduldeten haben oft sehr wechselhafte Erfahrungen mit | |
Arbeitsgenehmigungen und der Jobsuche hinter sich und mitunter viele Jahre | |
gar nichts machen können. Ihr Mann habe eine Weile als Küchenhelfer in | |
einem Restaurant gearbeitet, berichtet Hadid. Doch dann erhielt er keine | |
Arbeitsgenehmigung mehr und verlor seinen Job. Sie wollte eine Ausbildung | |
machen, was ihr die Behörden nicht gestatteten. Auf der Abendschule lernte | |
sie Deutsch. | |
Die Hadids waren mit zwei Söhnen im Jahre 2015 aus Bagdad nach Hamburg | |
gekommen und stellten einen Asylantrag. Dieser wurde abgelehnt, die Familie | |
aber geduldet wegen der prekären Sicherheitslage im Irak. | |
Der 22-jährige Sohn ist heute Industriemechaniker mit Berufsabschluss und | |
will seinen Meister machen, erzählt die Mutter. Der 13-jährige Sohn geht | |
auf das Gymnasium. Jetzt, mit dem Chancen-Aufenthalt möchte Nadia Hadid ein | |
Praktikum in einem Krankenhaus beginnen. „Danach arbeite ich vielleicht in | |
der Pflege“, erzählt sie. Mittelfristig würde sie gerne eine Ausbildung zur | |
Arzthelferin machen. Früher, in Bagdad, habe sie als Kosmetikerin | |
gearbeitet. Ihr Mann habe in Deutschland eine Weiterbildung zum Busfahrer | |
gemacht und suche einen Job. | |
Zum Mai diesen Jahres besaßen fast 70.000 Personen das | |
Chancen-Aufenthaltsrecht nach Paragraph 104c des Aufenthaltsgesetzes, so | |
die Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Auf den Paragraph, | |
der seit Januar 2023 gilt, können sich jedoch nur Geflüchtete beziehen, die | |
zum Stichtag am 31. Oktober 2022 mindestens fünf Jahre ununterbrochen in | |
Deutschland gelebt haben. Für die 18 Monate im Chancen-Aufenthalt haben sie | |
dann auch Anspruch auf Bürgergeld. | |
## Der erste Job nach acht Jahren in Deutschland | |
„Das Gesetz öffnet ein Tor“ sagt Bojan Mijalkovic*, 30 Jahre alt. Er kam im | |
Jahre 2016 mit seiner Frau und der ersten Tochter, damals ein Baby, aus | |
Nordmazedonien nach Deutschland. Der Asylantrag war chancenlos, aber die | |
Familie wurde nicht abgeschoben, aus medizinischen Grünen, die Tochter ist | |
schwerstbehindert. | |
Als Geduldete aus einem sicheren Herkunftsland bekamen die Mijalkovics hier | |
keine Beschäftigungserlaubnis, keine Sprachkurse. „Es war schade, dass wir | |
so viele Jahre nicht arbeiten konnten“, sagt der Vater, „Deutsch haben wir | |
uns selbst beigebracht, auch durch das Fernsehen.“ Inzwischen hat er einen | |
Abschluss auf dem Level B1 und kann sich gut verständigen. | |
In Nordmazedonien hatte er eine Ausbildung zum Bankkaufmann gemacht und | |
dort in einem Supermarkt gearbeitet, erzählt er. Hier möchte er im | |
September eine Ausbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik beginnen. Es wäre | |
nach acht Jahren in Deutschland, in denen er nicht arbeiten durfte, der | |
erste Job. „Die Duldungen wurden immer wieder verlängert, dieses Warten ist | |
ein dauernder Stress“, schildert Mijalkovic. | |
Becker von der Initiative Passage erzählt, sie habe Geflüchtete beraten, | |
die inzwischen bei der Deutschen Bahn in der Wartung hälfen, in die Pflege | |
gingen oder bei der Post Briefe sortierten. Nur wenige Menschen seien im | |
Chancen-Aufenthaltsrecht. „Die Voraussetzungen erfüllt nur eine kleine | |
Gruppe“, so Becker. Schon allein der Stichtag grenze die Gruppe ein. | |
## Die Ausbildungsbildung | |
Becker erlebt öfter, dass ihre Klient:innen in prekären Jobs arbeiten, | |
etwa bei Lieferdiensten und im Versandhandel. „Oft geht es darum, die | |
Probezeit zu überstehen, die Firmen können es sich leisten, die Leute | |
schnell rauszuwerfen“, berichtet sie. Unternehmen mit Arbeit, für die nur | |
geringe oder gar keine Deutschkenntnisse erforderlich sind, können auf | |
einen Pool an Migrant:innen zugreifen, die auf Jobs mit wenig | |
Anforderungen an Deutschkenntnisse angewiesen sind. | |
„Zum Beispiel große Logistikunternehmen stellen ständig neue Leute ein, die | |
nicht Deutsch sprechen. Die Arbeit ist hart. Und sie tun nicht viel, um die | |
Leute zu halten“, berichtet Becker, „die Unternehmen profitieren letztlich | |
von der prekären aufenthaltsrechtlichen Situation der Arbeitssuchenden“. | |
Frank Langner ist Berater für Geflüchtete mit unsicherem Aufenthaltsstatus | |
bei einem Hamburger Projekt des Trägers Basis und Woge. Er habe Geduldete | |
in Mechaniker-Lehren und Ausbildungen als Altenpflegehelfer:innen | |
vermittelt, erzählt er. Seine Klient:innen profitieren von der | |
[2][„Ausbildungsduldung“,] einem Gesetz, das Geduldeten während der Zeit | |
der Lehre und einer Beschäftigungszeit danach einen Abschiebeschutz | |
gewährt. „Es gibt unseriöse Ausbildungsbetriebe“, so Langner, „aber die | |
vermeiden wir. Die unseriösen Ausbildungsverhältnisse kommen manchmal | |
zustande, wenn die Leute sich selbst etwas suchen“. | |
## Bakar spricht von „Verschwendung“ | |
Langner beriet auch Anwar Bakar*, der mit 14 Jahren als unbegleiteter | |
minderjähriger Flüchtling aus Ägypten nach Hamburg gekommen war und dessen | |
Asylantrag abgelehnt wurde. Bakar hatte damals keinen Pass, also konnte er | |
nicht zurück nach Ägypten abgeschoben werden. Er erhielt eine Duldung, | |
besuchte die Schule, bekam aber lange Zeit keine Erlaubnis, zu arbeiten | |
oder eine Ausbildung zu machen. Als er sich aus der Heimat einen Pass | |
beschaffen konnte, war für ihn [3][der Weg in eine Ausbildungsduldung] | |
frei. | |
Bakar, heute 25, absolvierte in einer Baufirma ein Praktikum und fiel dort | |
durch gute Arbeit auf. „Ein Praktikum schlägt alles, wenn es die | |
Arbeitgeber überzeugt“, sagt Langner. | |
Inzwischen ist Bakar gelernter Tiefbaufacharbeiter und sattelt noch ein | |
Jahr Ausbildung drauf, dann ist er auch Straßenbauer mit Berufsabschluss, | |
erzählt er. Sein Unternehmen will ihn unbedingt halten. Er hat jetzt eine | |
reguläre Aufenthaltserlaubnis. „Viele Jahre nicht arbeiten zu dürfen“, sa… | |
Bakar, der fließend Deutsch spricht, „was ist das für eine Verschwendung“. | |
*Namen geändert | |
22 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/schwerpunkte/DE/einwanderungsland/chance… | |
[2] https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&st… | |
[3] /Gefluechtete-Auszubildende/!6014016 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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